Hans-Peter Martin verlässt die Politik. Er wird kein drittes Mal zur EU-Wahl mehr antreten. Dabei war er – an den Wahlergebnissen gemessen – einer der erfolgreichsten politischen Quereinsteiger.
Ich habe zu diesem Thema ja meine Diss geschrieben – und dafür auch mit HPM ein stundenlanges Interview geführt. Aus diesen Interviews ist damals ein Porträt-Band entstanden: „Promi-Politik“ (gem. mit Euke Frank, Czernin-Verlag 2006). Darin findet sich auch das folgende Kapitel über HPM. Es ist nun sieben Jahre alt – aber viel hat sich seither nicht geändert.
Was ich damals beachtlich fand, war HPMs Offenheit im Interview -alle seine Zitate stammen aus diesem Gespräch:
„VIKTOR KLIMA WAR DER MANN, ICH WAR DIE FRAU.“
Hans-Peter Martin hat es geschafft. Der Mann im weißen Leinen-Sakko, mit der schnarrenden Stimme und dem ausgeprägten Ego wechselte vom Journalismus in die Politik, führte die SPÖ zu einem Wahlsieg, holte mit seiner eigenen Partei auf Anhieb 14 Prozent, darf jeden Sonntag drei Millionen „Krone“-Lesern seine Meinung verkünden.
Und im Frühling 2006 rätseln die Strategen aller Parteien besorgt, ob er im Herbst zur Nationalratswahl antreten wird. Nicht, dass eine „Liste Martin“ die geringste Chance auf eine Mehrheit hätte, aber sie würde alle Parteien Stimmen kosten – und die meisten koalitionären Sandkastenspiele zunichte machen.
Wenn Aufmerksamkeit tatsächlich die neue Währung des „mentalen Kapitalismus“ ist, dann ist HPM, wie er oft genannt wird, ein sehr reicher Mann. Auch wenn er ständig darüber klagt, dass er von den heimischen Medien „totgeschwiegen“ wird. Aber Klagen, das ist Martins allerliebstes Hobby. Der Mann – vielen so lästig wie ein ewig nörgelnder Nachbar, für manche ein notorischer Querulant im Ego-Rausch – ist nie zufrieden. Grundsätzlich. Das widerspräche seiner Natur.
Im Juni 2004 schaffte er mit Spesendebatte, Spitzelei und einer Schlammschlacht aus dem Stand den dritten Platz bei den EU-Wahlen. Das Profil titelte: „HPM frisst FPÖ“. Aber selbst diesen Triumph konnte er nicht richtig genießen, er grämte sich lieber über die „schlechte Behandlung durch den ORF“ und dass nicht ein drittes Mandat auch noch drinnen war.
„Ich war ein Wallraff wider Willen“
Hans-Peter Martin hält sich für einen aufrechten, unbestechlichen Volksvertreter mit einer Mission: „Ich bin der Kontrolleur und der, der gegen die Mächtigen auftritt.“ Da kann man bei der Wahl der Mittel nicht heikel sein: Knopflochkamera, versteckte Mikrofone, für seine Kritiker „Stasi-Methoden“ – es musste einfach sein: „Ich war ein WWW – ein Wallraff wider Willen. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Dinge offen zu legen. Ich habe die offen gelegt, weil es wichtig ist, dass die Leute davon erfahren.“
Professionelle Beobachter sehen ihn anders: „Sein ganzer öffentlicher Lebensweg ist geprägt von Egozentrik und Selbstinszenierung“, schrieb Peter Rabl im „Kurier“. Ein „als Politik getarnter Egotrip.“
Hans-Peter Martin war schon immer so: „Im Wesentlichen mache ich immer das Gleiche“, sagt er – und meint damit seinen Kampf „gegen die Übermächtigen“.
<p“>Schon als 16jähriger Mittelschüler in Bregenz ging es in seiner Schülerzeitung „Rübe und Zwiebel“ darum „prügelnde Lehrer bloßzustellen und auch Nazi-Lehrer“. Irgendwann im letzten Wahlkampf hat ihn dann ein Jugendfreund angerufen und gemeint: „‚Jetzt verstehe ich, was du da machst – das ist ‚Rübe und Zwiebel’ in Brüssel und Straßburg.’ Und ich habe gelacht und gesagt: Genau.“
„Ich habe das Leben eines Popstars geführt.“
Nach Matura und Jus-Studium blieb Martin im Journalismus – beim „Profil“, später beim deutschen „Spiegel“. Er schrieb am Bestseller „Bittere Pillen“ mit und 1996, gemeinsam mit seinem „Spiegel“-Kollegen Harald Schumann, „Die Globalisierungsfalle“. Das Buch verkaufte sich weltweit vier Millionen mal. Martin war beim „Club of Rome“, im Aufsichtsrat von „Greenpeace“ und Dauergast bei Vorträgen, Konferenzen und Talk-Shows: „Ich habe damals das Leben eines internationalen Popstars geführt.“
Auch die SPÖ lud den damaligen Österreich-Korrespondenten des „Spiegel“ als Referenten ein, auf eine Klubklausur im burgenländischen Bad Tatzmannsdorf Anfang 1997: „Und mir war damals aufgefallen, dass in der ersten Reihe fußfrei, mit seiner später legendär gewordenen zähnefletschenden Freundlichkeit, Viktor Klima saß. Das einzige Regierungsmitglied der SPÖ, das ich nicht persönlich gekannt hatte. Und aus journalistischem Instinkt heraus bin ich auf ihn zugegangen, wir haben uns ganz kurz danach getroffen. Es lief dann innerhalb von Tagen. Es war so, dass da etwas passiert ist zwischen Viktor Klima und mir. Ich habe das dann später als für mich unbegreifliche Form von einer gewissen Homoerotik bezeichnet.“
Ersatz für die eigentliche Nummer Eins
Wenige Monate später war Klima als Nachfolger von Franz Vranitzky Bundeskanzler und SPÖ-Chef, der frühere ORF-Manager Andreas Rudas organisierte als Geschäftsführer für ihn die Partei. Man blieb mit Martin in Kontakt, immer wieder kam es zu Treffen.
Rudas war jedes mal dabei, oft auch Josef Cap und einige Intellektuelle aus dem Umfeld der SPÖ. Sehr bald, sagt Martin, sei in diesen Gesprächen die Idee aufgekommen, ihn und andere unabhängige Kandidaten für die 1999 anstehenden EU-Wahlen an Bord zu holen.
Rudas’ zahlreiche Umfragen hätten gezeigt, dass sich ein großer Teil der Wähler für Brüssel unabhängige Experten wünschte: „Jedenfalls kam mir dann zu Ohren, dass tatsächlich eine Liste gebaut wird mit der Hälfte ‚Anderer’. Es war auch immer die Rede davon, die da draußen [im EU-Parlament], völlig auszuwechseln. Und in diesen Planspielen war ich schon ein Jahr vor der Wahl immer wieder die Nummer 1, Eva Nowotny die Nummer 2, dann wieder anders herum, das ging so hin und her.
Im Frühjahr 1999 sah es dann ganz nach Spitzenkandidat Petritsch aus. Es ist mir erst später klar geworden, dass Rudas, mit den Einflussmöglichkeiten, die er hatte und permanent ausgenützt hat, andere getestet hat. Da war Petritsch plötzlich mehr im Fernsehen, ich war immer wieder in der ZiB 3. Wie das zustande gekommen ist, weiß ich nicht, es fiel mir nur auf. Da wurde ich aus deren Sicht auch mal getestet.“
Andreas Rudas hat den damaligen Ablauf so in Erinnerung: „Chronologisch kann man sagen, dass Wolfgang Petritsch für uns die klassische Nummer 1 war und wir mit zwei Quereinsteigern in die Wahl gehen wollten. Wir hatten Hans-Peter Martin als Nummer 6 auf der Liste durch. Mehr wollten wir nicht, weil wir nicht hundertprozentig wussten, ob Martin das Zeug zum Spitzenkandidaten hat.“
Eines war aus der Sicht des SPÖ-Wahlkampfchefs aber entschieden – man wollte erstmals einen Quereinsteiger an der Spitze: „Für uns war klar, dass eine Neuauflage des Duells ‚Swoboda gegen Stenzel’ nicht zugunsten der SPÖ ausgehen konnte. Es war klar, dass wir einen neuen Mann holen mussten.“
Wolfgang Petritsch, einst Pressesprecher von Bruno Kreisky und zuletzt als Verhandler im Bosnien-Konflikt zum internationalen Diplomatie-Star aufgestiegen, schien ideal. Man war sich einig, sagt Rudas, alles war fix. Bis zum Tag der entscheidenden Sitzung in der Parteizentrale: „Um sieben Uhr früh kam der Anruf von Wolfgang Petritsch: ‚Nein, er macht es nicht’. Er hat sein Handy abgedreht und war fortan für mich nicht mehr erreichbar. Und ich hatte bis zum Parteipräsidium ein paar Stunden später eine hektische Zeit. Wir hatten auch zwei andere Kandidaten im Visier, die beide entweder nicht erreichbar waren oder nicht bereit waren es zu machen. Das heißt, wir hatten bis knapp vor der Präsidiumsliste nur mehr einen Kandidaten und das war Hans-Peter Martin.“ *
„Ich bin da voll hinein.“
Der Journalist war plötzlich die Nummer Eins: „Es kam der Anruf von Andreas Rudas am Morgen des 7. April. In seiner so bezeichnenden, durchaus unnachahmlichen, verlogenen Art: ‚Hans-Peter, der Kanzler freut sich so’.“
Martin saß gerade an einem neuen Buch – „Der Geldkrieg“ sollte es heißen, „es wäre ein Riesen-Bestseller geworden“ – als ihn Rudas mit der Bestellung zum Spitzenkandidaten überraschte. Schon vor Monaten hatte er sich zum Seitenwechsel in die Politik entschlossen. Die Chance zu ergreifen, nicht zur zu reden, zu kritisieren, zu beklagen sondern selbst zu gestalten – vom „teilnehmenden Beobachter zumindest zum beobachtenden Teilnehmer“ zu werden, wie er in einem noch unveröffentlichten Buchmanuskript formulierte – dieser „Versuchung“ wollte er nicht widerstehen:
„Ich habe geglaubt: Jawohl, das schaffe ich auch noch. Es war ein beispielloser Höhenflug. Ich kam mir vor, wie ein Vogel, der schon auf vielen Inseln gelandet ist und plötzlich war da so eine ganz schillernde Insel und ich habe mir gedacht: ‚Die besuche ich auch noch, die nehme ich auch noch mit.’ So wie Touristen, die so ihre Häkchen machen: Dort war ich auch schon, in der Karibik fehlt mir noch … Aruba, aber sonst war ich schon überall. Und im Landeanflug habe ich gemerkt, dass diese Insel, die ich da angesteuert habe, nämlich Spitzenkandidat der SPÖ, ist eine große Öllacke. Nur das Bremsen ist sich nicht mehr ausgegangen. Ich bin da voll hinein.“
Innerhalb von Stunden nach Rudas’ Anruf gab es die ersten Probleme. Die Partei habe voreilig die Medien informiert, klagt Martin, so habe es die „Spiegel“-Chefredaktion aus den Nachrichtenagenturen erfahren. Er war mit dem Lebenslauf nicht einverstanden, den die SPÖ-Presseleute verteilten. Vor der Pressekonferenz am frühen Abend wäre noch ein Gespräch mit Klima vereinbart gewesen, das nie zustande kam.
„Dann kam ein Anruf von Rudas: ‚Du, wir haben ein Problem. Kann es nicht sein, dass du schon seit 5 Jahren Parteimitglied bist und nur vergessen hast, deine Parteibeiträge einzubezahlen?’. Ich sage: ‚Was?’ – ‚Ja, du weißt schon, der Vorstand…’. Und im Hintergrund der Kanzler … Und dann wollten die mich wirklich rückwirkend zum Parteimitglied machen, um dieses aktuelle Problem des Vorstands zu lösen. Das war furchtbar. Da war es eigentlich vorbei, bevor es noch richtig begonnen hat. Einerseits diese wirkliche Verbundenheit …
„Um Gottes Willen, der stinkt.“
Ich habe Klima gemocht. Ich habe das auch richtig machen wollen. Letztendlich war es ein Mann-Frau-Verhältnis zwischen Viktor Klima und mir. Er war der Mann, ich war die Frau. Die Grundbegegnungsform war, dass es ein wechselseitiges Werben gab. Sicherlich stärker ausgehend von der Frau. Und bevor es zur Vereinigung kam, war schon bei ihm ganz klar spürbar das Gefühl: ‚Die ist aber zickig, schwierig, wird nicht rückwirkend Parteimitglied’. Und bei mir: ‚Um Gottes Willen, der stinkt’. Dieses Grundgefühl gibt es zwischen Viktor Klima und mir seit dem 7. April 1999, 18.15 Uhr, seit diesem Telefonanruf.“
Während des Wahlkampfs wurde es nicht besser. Martin fühlte sich von der SPÖ-Zentrale – vor allem von Rudas – ferngesteuert, dort war man entsetzt über den unberechenbaren Kandidaten. In Magazinen erschienen erste Berichte über einen cholerischen Eigenbrötler auf Wahlkampftour, der Mitarbeiter drangsalierte und in Wutanfällen auf Autos eintrat.
Der Kandidat erlebte es ganz anders, wie er in seinem Buchmanuskript beschreibt: „Parteiangestellte und Chauffeure arbeiteten wie Spitzel und informierten unverzüglich die Parteiführung. ‚Ich bin der Chef’, brüllte Geschäftsführer Rudas wiederholt, ‚und zwar von Klima und Dir’. Auch im Privatleben wurde geschnüffelt.“ Rudas kontert: „Er war sprunghaft, undiszipliniert, nicht sehr gut in der Personenführung. In der Partei haben wir immer Probleme gehabt.“
„Die Partei hat von Anfang an revoltiert.“
Dass Nicht-Parteimitglieder für die SPÖ kandidieren konnten, war erst seit kurzem möglich, nach einer Änderung des Parteistatuts. Martin war der erste Kandidat ohne Parteibuch. Seine Aufnahme in der über 100 Jahre alten, traditionsbewussten Organisation beschreibt er so: „Mit völlig unerwarteter Eiseskälte. Intrige von vorn herein. Dieses völlige Abgestoßen werden: ‚Was will der überhaupt?’ … Die Partei hat von Anfang an revoltiert. Die wollten niemanden Fremden haben.“
Er habe sich als Zuwachs gesehen, als Bereicherung aber die Funktionäre hätten nur den Konkurrenten und die Bedrohung wahrgenommen: „Ich denke, dass der eine Witz alles über mich sagt, der kursiert – ich weiß nicht, woher er kam: ‚Das allerschlimmste an Hans-Peter Martin? Dass man ihn nicht aus der Partei ausschließen kann.’ Der Witz kam ganz schnell. Das hat nicht einmal 14 Tage gedauert.“
Schnell habe er erkannt, dass es der SPÖ gar nicht um seine politischen Konzepte ging – „Ich wollte am Umbau Europas aktiv beteiligt sein“ – sondern nur um den Wahlerfolg. Und da hätten die Umfragen von Rudas eben für einen Quereinsteiger gesprochen: „Letztlich sehe ich es so vom Mechanismus her kaum anders als wenn Herr Lugner sich irgendeine Film-Ex-Schönheit einlädt, um damit am Opernball zu glänzen. Da gehören aber immer zwei dazu. Ich wurde da missbraucht und eingesetzt, ich habe mich aber auch missbrauchen lassen.“
Das Kalkül ging jedenfalls auf. Die SPÖ hatte mit einer hochgetrommelten Neutralitätsdebatte ein griffiges Wahlkampfthema gefunden, der Kanzler war damals noch populär – und der Spitzenkandidat kam gut an: „Das Wahlvolk hat durch die Bank positiv reagiert“, sagt Rudas auch heute noch über Martin: „Bei den Veranstaltungen war er ein Star und er hat mehr Stimmen für die SPÖ aquiriert und mehr dazu beigetragen, dass die SPÖ gewählt wird als es Stenzel für die ÖVP getan hat. Eindeutig.“
Die SPÖ bügelte die Schlappe von 1996 aus, am Wahlabend lag sie um knapp 30.000 Stimmen vorn und Rudas will aus seinen Nachwahl-Umfragen wissen: „35 Prozent der Stimmen, die die SPÖ bekommen hat, waren ausschließlich wegen des Spitzenkandidaten.“
„Das Unabhängige ist der SPÖ wesensfremd.“
Wenn es so war, dann wurde es ihm nicht gedankt. Noch am Wahlabend entbrannte – live im Fernsehen – ein Streit um die Leitung der neuen Brüsseler SP-Delegation („Das war extrem unprofessionell auch von Seiten der Partei“, sagt Rudas heute). Martin versichert, Klima habe ihm diesen Posten persönlich versprochen – geworden ist es der Partei-Routinier Hannes Swoboda.
Der übergangene Spitzenkandidat hat für den „Wählerbetrug“ inzwischen eine Erklärung: „Es ist ein strukturelles Problem und das mündet in dem Satz: Das Unabhängige ist der SPÖ wesensfremd. Es ist eine absolute Unverträglichkeit. Die derzeitigen Führungsgarnituren aller europäischen sozialdemokratischen Parteien sind in ihren Grundreflexen geprägt von stalinistischen Reflexen.
Die Sozialdemokratie und praktisch alle eingesessenen Parteien in ihrer bisherigen Form in Westeuropa sind aufgestellt wie im Industriezeitalter, als Armeen. Wenn da plötzlich ein Quereinsteiger reinkommt, das kann strukturell nicht gut gehen. Außer der Quereinsteiger ist eigentlich nicht mehr das, wofür man ihn genommen hat, und er gibt sich selbst auf.“
Der neue Abgeordnete saß im EU-Parlament, fühlte sich ohnmächtig und zur Seite geschoben. Es blieb ihm nur der Vorsitz im „Gemischten parlamentarischen Ausschuss mit der Slowakei“ – „ein besserer Reiseleiter einer zweifelhaften Einrichtung“, spottet er in seinem Buchmanuskript. Dabei wäre doch so viel zu tun gewesen:
„In dieser historischen Situation 1999 wäre es noch möglich gewesen, da hätten wir noch dieses Europa hinbekommen. Die Sozialdemokratie hat versagt. Die Sozialdemokratie ist hauptschuldig an dem Desaster, das wir jetzt haben. Sie hat zugelassen, dass die Erweiterung zu schnell kommt. Sie managt das alles ganz schlecht. Und da hat mich mein Blick dazu gebracht – mit dem enormen Privileg durch diese Welt zu reisen für den „Spiegel“, so einen tollen Job zu haben, so viel Zugang zu haben … In der konkreten Phase hat mich das Politikmachen interessiert.“
„Das funktioniert nach dem Mafia-System.“
Ganz schnell habe er jedoch erkennen müssen, dass die Politik, die ihm begegnete, vor allem aus Intrigen, Ränkeschmieden und dem Aufbauen von Zwickmühlen bestand: „Da funktioniert das nach dem Mafia-System. Es wird von dir erwartet, dass du selbst ein Verbrechen begehst. Sobald du das begangen hast, gehörst du dazu, wirst geschützt, aber gleichzeitig erpressbar. Mir wurden immer wieder solche Anträge gemacht.“
Hat ihn irgendetwas an der Politik positiv überrascht? „Nichts. Das ist die ehrliche Antwort.“
Die inhaltliche Arbeit und die Organisation fand er simpel. Routine und Kontakte aus 20 Jahren Journalismus hätten sehr geholfen. Für ihn sein es eben kein Problem gewesen, „schon am ersten Tag, als ich nach Brüssel gekommen bin, mit drei Kommissaren Termine zu haben. Das war für einen üblichen Abgeordneten undenkbar.“
Das Verhältnis zwischen Martin und seinen sechs Fraktionskollegen – vor allem zu Delegationschef Swoboda – verbesserte sich nie. Im Gegenteil. Nach etwa einem Jahr drangen die lange internen Konflikte immer lauter nach außen. Swoboda kritisierte öffentlich die „höchst unterdurchschnittliche Arbeitsleistung“ des „unabhängigen Abgeordneten in der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten“, wie sich Martin beharrlich nannte.
Der war empört, nannte die Vorwürfe „völlig unbegreiflich und widerlegbar“ – und rückte zum Gegenschlag aus. Wenig später präsentierte Martin erstmals eine Anwesenheitsliste der österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament, das Magazin „News“ druckte sie in großer Aufmachung.
Der Schrecken der „Spesenritter“
Ein Mann hatte – endlich – seine Mission gefunden: nicht mehr die globalisierten Finanzmärkte Europas, sondern die Finanzen seiner Kollegen: Tagesdiäten, Flugbelege, Hotelrechnungen. Hans-Peter Martin wurde zum selbsternannten Schrecken der europäischen „Spesenritter“, ausgerüstet mit Kamera und Mikrofon, sekundiert von „News“, „Krone“, „Stern-TV“ und „Bild“.
Ein besonderes Talent half ihm dabei: „Die Fähigkeit, schnell an Leute, die mir wichtig sind, heranzukommen. Da bin ich sehr berechnend. Wenn ich das will, schaffe ich es häufig, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.“
Bei seinen Kollegen im EU-Parlament war der Eindruck so bleibend, dass sie ihn schließlich aus der Fraktion warfen – ein Abgeordneter sollte „nicht wie ein Polizist dem anderen folgen“, argumentierte der Fraktionschef der Europäischen Sozialdemokraten. Martin war jetzt tatsächlich parteilos, auch formal nun der Einzelkämpfer, der er sowieso war.
Aber seine fünf Jahre im EU-Parlament neigten sich dem Ende zu: „Da haben mir viele gesagt: ‚Hans-Peter, du hast da was an die Öffentlichkeit gebracht, da wird heftig darüber diskutiert, du musst jetzt auch dazu stehen und das durchziehen. Sonst ändert sich nichts und sonst ist es auch nur so ein Medienereignis ohne Wirkung’.“
Und dann war da noch etwas. Schon 1999 hatte er in seinem ganzen Frust den SPÖ-Wahlkampf nur durchgestanden, „weil wenn ich es nicht mache, dann gewinnt es der Haider, das war klar.“ Und jetzt, fünf Jahre, später das gleiche: Würde er nicht mit einer eigenen Liste antreten, „dann würde natürlich Jörg Haider ganz locker durchmarschieren. Und da war es wieder ein Stück Verantwortung. Aber auch Lust. Ein bisschen anders als 1999.“
Mister 14 Prozent
Monatelang zieht Martin im Frühling 2004 im stets gleichen weißen Leinensakko durchs Land. Weil ihm Umfragen bis zu 15 Prozent versprechen, holt er sich die prominente Fernseh-Journalistin Karin Resetarits auf seine Liste, die fehlenden Strukturen und Finanzen macht die „Kronenzeitung“ mit einer massiven Kampagne wett. Das Ergebnis ist eindrucksvoll: Aus dem Stand überholt die „Liste Martin – für echte Kontrolle in Brüssel“ die FPÖ und die Grünen, schafft 14 Prozent und zwei Mandate. Zwei Drittel ihrer Wähler nennen in Umfragen als wichtigstes Wahlmotiv: den Spitzenkandidaten.
Aber schon im Wahlkampf hatte sich der Listenführer mit Resetarits, seiner Nummer 2, zerstritten. Dass er sie damals geholt hat, nennt er heute ein „Blackout“ und „die größte berufliche Fehlentscheidung meines Lebens“. Sie sagt, sie habe in ihrem ganzen Leben „noch nie mit einem so bösen Menschen zu tun gehabt.“
Dass er einfach nicht teamfähig sei – das bestreitet Martin mit Verve: Er habe zahllose internationale Kontakte und auch im EU-Parlament arbeite er klaglos mit anderen Abgeordneten zusammen, die – wie er – an Aufklärung, Transparenz und echter Demokratie interessiert seien.
Nicht teamfähig sei er nur „mit hörigen Haberern“ und: „In den üblichen politischen Tugenden wie Mauscheln und Intrigieren – da bin ich untalentiert.“ Seine Stärken? „Neugierde. Menschen mögen und wirklich an ihren Meinungen interessiert sein. Ich glaube, mich gut organisieren zu können und nie gebrochen worden zu sein.“
„Ich habe mich als absolut gescheitert gesehen.“
Dabei hatte er nach seinem turbulenten und frustrierenden Einstieg in die Politik lange an sich gezweifelt: „Ich habe mich als absolut gescheitert gesehen, weil ich mir nicht und nicht erklären konnte, wie ich in so etwas hineingeraten konnte. Wie ich Herrn Rudas nicht durchschauen konnte, wie ich Herrn Klima und die Strukturen nicht durchschauen konnte … Letztendlich ist für mich der subjektive Moment der persönlichen Anziehung geblieben. Wobei ich überhaupt im erotischen Bereich keinerlei … Ich mag Frauen … Es war irgendetwas.“
Heute kann sich der „liberale soziale Demokrat“ kein positives Wort über die Sozialdemokratie mehr abringen. Und man darf vermuten, dass ihn der Gedanke, diese „rote Sekte“ bei der Nationalratswahl 2006 mit einer eigenen Liste zu ärgern, nicht gerade demotiviert. Offiziell geht es natürlich um etwas ganz anderes: „Es bedarf glaubwürdiger Funktionsträger in der Politik, die eben von Altem nicht angepatzt sind, die tatsächlich nach bestem Wissen und Gewissen und möglichst frei entscheiden.“
Spätestens 37 Tage vor der Wahl müsste er seine Kandidatur bekannt geben, betont er immer wieder. Er will sich Zeit lassen. Er will es spannend machen.
Das garantiert die maximale Aufmerksamkeit.
* Wolfgang Petrisch stellt den Ablauf anders dar: „Meine Absage konnte keinen der Beteiligten überrascht haben.“ Er habe schon sehr lange vorher abgewunken, aber Parteichef Klima wollte „meine mündlichen Argumente einfach nicht zur Kenntnis nehmen“.