Innenpolitische Sensationen werden eigentlich immer vorab bekannt, wenn auch mitunter nur wenige Minuten vorher, wie der Rücktritt von Michael Spindelegger im Sommer 2014. Aber heute hat Werner Faymann wirklich die gesamte Republik überrascht. Kein einziger Journalist wusste von seinem Rücktritt, als er kurz nach halbeins auf einer ganz kurzfristig einberufenen Pressekonferenz zu sprechen begann.
Eine knappe Stunde vorher war Michael Häupl – soweit man weiß der stärkste Mann der SPÖ – gefragt worden, ob Faymann am Abend noch Parteichef sein werde. „Na sicher“, hatte Häupl gebrummt – entweder wissentlich falsch oder tatsächlich uninformiert. Es klang nach Zweiterem.
„Dieses Land braucht einen Bundeskanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht“, sagte Werner Faymann kurz darauf vor der Presse: „Diese Regierung braucht einen Neustart mit Kraft, zur Bewältigung dieser Aufgaben. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten.“ Sprach’s und trat zurück.
Und jetzt?
Häupl wird vorläufig die Partei führen, wer auch sonst. Er muss einen Parteitag vorbereiten, auf dem einE neueR SPÖ-ChefIn gewählt wird. Aber viel dringender braucht die SPÖ einen Kanzler oder eine Kanzlerin. Faymann hat bereits beim Bundespräsidenten demissioniert – und der wird ÖVP-Chef Mitterlehner noch heute Nachmittag mit der Fortführung der Geschäfte beauftragen.
Das kann man durchaus als Foul Faymanns an der eigenen Partei interpretieren – er hätte auch im Amt bleiben können, bis ein neuer SPÖ-Kanzler angelobt wird oder wohl auch mit dem Bundespräsidenten vereinbaren können, dass dieser eineN SPÖ-MinisterIn vorläufig betraut.
Faymann hat auch nicht mehr versucht, seine Nachfolge zu regeln – weder in der Partei noch im Kanzleramt. Er hat einen klaren Schnitt gemacht, wohl wissend, dass er heute im Parteivorstand wohl nocheinmal eine Mehrheit hinter sich gebracht hätte, aber maximal für ein paar mühsame Monate, bevor es wirklich vorbei gewesen wäre.
Zeiler oder Kern?
Spannend wird, ob sich der SPÖ-Parteivorstand heute auf einen neuen Kanzler oder eine Kanzlerin einigen kann. Mitten in ihrer tiefsten Krise seit dem erzwungenen Gang in die Opposition Anfang 2000 hat sie quasi ein Luxusproblem: Zwei Kandidaten, die wohl jeder für sich recht problemlos mehrheitsfähig werden, würde nur einer von ihnen antreten.
So aber muss sich die Partei zwischen Ex-ORF-Chef Gerhard Zeiler und ÖBB-Chef Christian Kern entscheiden. Michael Häupl tritt für Zeiler ein, die Gewerkschaft für Kern, sonst scheinen die Sympathien noch relativ offen. Die beiden stehen auch nicht für verschiedene Flügel in der Partei (wie Einem und Schlögl nach dem Abgang Klimas) sondern gelten als pragmatische Macher.
Laut „Kleiner Zeitung“ ist Zeiler derzeit am Weg nach New York. Schwer vorstellbar, dass die Entscheidung ohne Gespräch mit ihm fällt. Es ist also eher wahrscheinlich, dass der Parteivorstand die Entscheidung heute abend vertagt. Und falls es weder für Zeiler noch für Kern eine klare Mehrheit gibt, könnte es auch auf einE KompromisskandidatIn hinauslaufen – wie Ex-Siemens-Managerin Brigitte Ederer oder die populäre Gesundheitsministerin (und Gewerkschafterin) Sabine Oberhauser. Andererseits: In der SPÖ sind alle Prognosen derzeit ohnehin sinnlos, wie wir spätestens heute Mittag gelernt haben.
Apropos Prognosen: Dass die ÖVP bis 2018 dabei zuschaut, wie sich ein neuer SPÖ-Kanzler im Amt profiliert, ist eher nicht plausibel. Neuwahlen im Herbst sind heute jedenfalls nicht unwahrscheinlicher geworden.