Aus aktuellem Anlass eine (leicht aktualisierte) Wiederholung vom Mai:
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Es scheint erstaunlich viele Menschen zu geben, die am Sonntag eine ungültige Stimme abgeben wollen, weil sie „mit beiden Kandidaten nichts anfangen“ können“, „beide nicht aushalten“ oder „von beiden nicht begeistert“ sind.
Und immer, wenn mir jemand so was erzählt, bin ich bass erstaunt.
Wir wählen morgen einen Bundespräsidenten – keinen Lebenspartner. Wir müssen ihn (Frau steht ja keine mehr zur Wahl) nicht mögen und nicht sonderlich sympathisch finden. Er wird den meisten von uns nur selten bis nie begegnen.
Wir müssen auch politisch nicht hundertprozentig von ihm überzeugt sein. Wenn Sie in der Politik auf die perfekten Kandidatin oder die perfekte Partei warten, werden Sie ziemlich selten wählen, wahrscheinlich sogar nie. Oder Sie müssen selber kandidieren.
Das “geringere Übel” wählen?
Der Spruch vom „geringeren Übel“ gefällt mir nicht besonders, weil er voraussetzt, dass alle Kandidaten mehr oder weniger übel sind. Aber selbst wenn Sie das so sehen, sind ziemlich sicher nie alle Kandidaten exakt gleich übel.
Der große Denkfehler ist aber, zu glauben, dass Weißwählen irgendeinen Unterschied macht. Man würde damit signalisieren, dass man mit dem Angebot nicht einverstanden ist und damit würde vielleicht beim nächsten Mal das Angebot besser.
Das Wahllokal wäre demnach eine Art politischer Supermarkt und wenn alle Waren liegen bleiben, wird sich der Greißler um ein neues Sortiment bemühen. Aber das ist ein grundlegender Irrtum. Erstens wird im „politischen Supermarkt“ viel zu selten „eingekauft“ (nur alle paar Jahre), um die Auswahl durch Kaufverweigerung zu beeinflussen.
Weißwählen ist kein “Signal”
Zweitens ist Weißwählen so selten, dass es keine merkbare Rolle spielt. Die meisten Verweigerer gab es 1980 und 2010, bei der Wiederwahl von Rudolf Kirchschläger bzw. Heinz Fischer, als die ÖVP keine Gegenkandidaten nominiert hatte. Damals waren es rund 7 Prozent, normalerweise sind es nicht mal halb so viel.
Vor allem aber spielt es keinerlei Rolle, selbst wenn es viel mehr Weißwähler gäbe. Wahlsieger wird, wer die Mehrheit der gültigen Stimmen erreicht, nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten. Selbst wenn 80 Prozent ungültig wählten, wird derjenige Bundespräsident, der von den 20 Prozent gültigen Stimmen um eine mehr hat.
Ganz anders wäre es natürlich, hätte Weißwählen oder Zuhausebleiben irgendeine konkrete Folge: Zum Beispiel, dass neu gewählt werden müsste, wenn weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Oder wenn bei Parlamentswahlen nur 70 Prozent der Mandate vergeben würden, wenn nur 70 Prozent der Wahlberechtigten gültig wählen. Dann wäre weiß wählen tatsächlich eine strategische Option.
Daheim bleiben würde wenigstens Zeit sparen
So ist es aber nicht. Wer morgen weiß wählt, wählt den mit, den die anderen wählen. Sie verzichten auf Ihr Mitspracherecht – das wichtigste Recht in einer Demokratie. Wer weiß wählt, gibt damit kein Statement ab, sondern schweigt. Auch das ist natürlich ein Recht, es ist nur so sinnlos. Da können Sie auch gleich gar nicht hingehen. Macht auch keinen Unterschied, aber es spart wenigstens Zeit.
Ich meine ja, die paar Minuten alle paar Jahre sollte es einem wert sein, in einer Demokratie leben zu dürfen. Und ich persönlich halte es auch für unvorstellbar, dass jemand beide Kandidaten exakt gleich unfähig, gleich ungeeignet oder gleich unsympathisch findet.
Gut möglich, dass viele Wähler beide Herren nicht besonders schätzen – immerhin haben 44 Prozent von ihnen im ersten Wahlgang jemand anderen gewählt und 32 Prozent der Wahlberechtigten gar nicht. Nur: einen anderen oder besseren Bundespräsidenten kriegen Sie nicht mehr – einer der beiden Herren wird’s. Das ist schon heute sicher.
Wie können Sie sich trotzdem entscheiden?
Wenn Sie noch völlig unentschlossen sind, überlegen Sie sich doch drei oder fünf Eigenschaften, die Sie an einem Präsidenten wichtig finden. Und dann geben Sie jedem der beiden Kandidaten für jede Eigenschaft Punkte. Und den, der mindestens einen Punkt mehr hat, wählen Sie. Bei einem Unentschieden überlegen Sie sich weitere Eigenschaften. Bis einer vorne liegt.
Am Montag können Sie sich über das Wahlergebnis nur mehr ärgern. Morgen können Sie noch mitreden.
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Nachtrag:
In der Stichwahl vom 22. Mai haben 164.875 Menschen ungültig gewählt. Das waren 3,55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Als „Signal“ taugte das wohl kaum, die 7 Prozent Nichtwähler von 1980 und 2010 haben jedenfalls gar nichts bewegt.
Im Endergebnis lagen die beiden Kandidaten aber gerademal um 30.863 Stimmen auseinander. Die 164.875 Menschen, die weiß gewählt haben, hätten also mit ihren Stimmen die Wahl entscheiden können. So oder so. Aber sie haben sich dafür entschieden, dass ihnen egal ist, wer gewinnt.