Krone-Cover

Millionen – nicht Milliarden

Es war wirklich eine entzückende Hochzeit in Windsor – und ein Riesen-Fernsehereignis: „2 Milliarden sahen den Kuss des Brautpaares“, schreibt etwa die KRONENZEITUNG. Das allerdings ist frei erfunden.

Mal abgesehen davon, dass niemand die geringste Ahnung von den Fernsehquoten der Übertragung hatte, als die KRONE in Druck ging, weil sie da noch gar nicht erhoben waren, ist die Zahl bei weitem zu hoch, realistischerweise mindestens um das Vierfache, eher mehr.

Ich habe zu dem Thema schon einmal einen Text geschrieben – anläßlich des „Stratos“-Sprungs von Felix Baumgartner. Auch damals kursierte die absurde Zahl von zwei Milliarden TV-Zusehern – auch damals war sie bei weitem zu hoch. Allerdings hatte der Sprung damals deutlich mehr Zuseher als die gestrige Hochzeit.

Es gibt keine weltweiten Quoten-Messungen, aber allein die bereits bekannten Reichweiten aus Österreich, Deutschland, Großbritannien und den USA ermöglichen eine grobe Einschätzung, was denn plausibel ist.

Aus Österreich haben wir die detailliertesten Zahlen: Im ORF haben gestern laut Teletest am Höhepunkt 922.000 Zuseher die Live-Übertragung verfolgt. Im Durchschnitt wurde die fünf Stunden lange Sendung von 665.000 Menschen gesehen, insgesamt 1,904 Millionen haben irgendwann für mindestens eine Minute hineingezappt (der sogenannte „weiteste Seherkreis“).

Das ist eine gigantische Quote für eine derart lange Sendung untertags, aber sie wird nicht mal annähernd unter den meistgesehenen ORF-Sendungen des Jahres landen. Praktisch jede ZiB1 hat mehr Zuseher als der Kuss des Brautpaares gestern, die Opernball-Übertragung oder der Nachtslalom in Schladming haben sehr viel mehr. (Die Übertragung auf Puls4 hat es nicht mal unter die drei meistgesehenen Puls-Sendungen des gestrigen Tages geschafft.)

In Deutschland hatte die Royal Wedding auf ZDF und RTL gemeinsam rund 9 Millionen Zuseher – auch das ist eine hervorragende Quote für eine lange Übertragung mitten am Tag (und nicht zur Hauptsendezeit zwischen 20h15 und 22h00), aber weit von absoluten Spitzenzahlen entfernt. Zum Vergleich: Fast jeder Tatort erreicht 10 Millionen Seher, ein starkes Fußball-Länderspiel an die 20 Millionen, ein WM-Finale mit deutscher Beteiligung 30 Millionen.

In den USA, wo Meghan Markle mit der Serie Suits prominent geworden ist, haben 22,4 Millionen Menschen die Hochzeit auf einem der sechs großen Sender verfolgt. Das ist etwa ein Fünftel der Quote des Superbowl, des traditionell größten amerikanischen TV-Events (und etwas mehr als 2011 bei der Hochzeit von William und Kate). Das heißt, von den 325 Millionen Amerikanern haben gestern knapp sieben Prozent zugeschaut.

Mit Abstand am höchsten waren die Zuseherzahlen erwartungsgemäß in Großbritannien. Etwas mehr als ein Viertel der 65 Millionen Briten haben zugeschaut, in Summe waren fast 18 Millionen vor dem Fernseher dabei. Damit war die Übertragung die bisher populärste Sendung dieses Jahres im Vereinigten Königreich.

Aber in den allermeisten der rund 200 Länder der Welt war sie das wohl nicht – auch deswegen, weil sie kaum wo zur Hauptsendezeit gelaufen ist. Um aber zwei Milliarden Zuschauer zu erreichen, müssten mehr als 25 Prozent der gesamten Weltbevölkerung die TV-Übertragung verfolgt haben. Tatsächlich waren es in den USA knapp sieben Prozent und in den meisten Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens ziemlich sicher (deutlich) weniger.

Sieben Prozent der Weltbevölkerung wären rund 500 Millionen. Die wirkliche Zuseherzahl gestern liegt mit größter Wahrscheinlichkeit darunter. Die Hochzeit von Harry und Meghan hat im Fernsehen sehr, sehr viele Menschen gerührt – aber Milliarden waren es ganz sicher nicht.

PS: Ich lese auf Twitter, die absurden „zwei Milliarden“ seien auch im ORF zu hören gewesen. Ich hoffe das stimmt nicht, falls doch, werden sie allerdings auch nicht plausibler. Sorry!

PPS: In den USA wurden die Seherzahlen mittlerweile nach oben korrigiert – auf insgesamt 29 Millionen auf 15 verschiedenen Sendern. Das sind knapp neun Prozent der US-Bevölkerung. In die Nähe eines Milliarden-Publikums kommen wir damit allerdings noch immer nicht.