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Warum ich Twitter und Facebook beliefere

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Das hat der Welterklärer Niklas Luhmann 1995 geschrieben – und wenig von dem, was er geschrieben hat, ist so überholt.

Was wir über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen heute immer mehr Menschen aus Social Media. Knapp vier Millionen Österreicher nützen regelmäßig Facebook, mehr als drei Millionen Youtube, fast zwei Millionen Instagram und rund eine halbe Million Twitter. Vor allem unter 40-Jährige bekommen ihre Nachrichten nicht mehr via PRESSE– oder KLEINE-Abo oder pünktlich um halb acht aus der ZIB, ja nicht einmal aus standard.at oder orf.at, sondern aus ihrem Social-Media-Newsfeed. Das ist die Nachfrageseite.

30 Jahre vor Luhmann hat der FAZ-Journalist Paul Sethe einen anderen klugen Satz geschrieben: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Auch das war sehr lange wahr. Ein Massenmedium zu gründen war teuer (und im Radio und Fernsehen sogar unmöglich).

SOCIAL MEDIA KÖNNEN GROSSARTIG SEIN

Heute kann jeder Teenager einen YouTube-Channel mit potenziell weltweitem Publikum starten, einen hochprofessionell aussehenden Blog aufsetzen oder auf Instagram mehr Abonnenten sammeln als der Kurier (die 18-jährige Wiener Schülerin Celina Blogsta hat auf Instagram 330.000 und auf YouTube 180.000 Fans). Heute ist Pressefreiheit die Freiheit von rund drei Milliarden Menschen mit Internetzugang, ihre Meinung ins Netz zu stellen. Das ist die Angebotsseite.

Social Media können großartig sein: Wir können dort alte Freunde wiederfinden, weltweit in Kontakt bleiben, Hilfsaktionen starten, uns mit Gleichgesinnten vernetzen, unsere Talente zeigen, uns informieren oder einfach unterhalten. Social Media schaffen eine völlig neue Form von Öffentlichkeit – auf eine gewisse Weise sogar den von Habermas erträumten „herrschaftsfreien Diskurs“. Jeder und jede kann mitreden, zumindest potenziell können alle gehört werden.

SOCIAL MEDIA HABEN DEN DISKURS VERSAUT

Gleichzeitig haben Social Media den öffentlichen Diskurs versaut. So viel Hass, so viel Propaganda und Desinformation war nie. Es gibt wohl nicht mehr Narren und Nazis als früher. Schon immer saßen die in jedem Dorf am Stammtisch. Nur waren sie dort ziemlich allein. Heute haben die Narren und Nazis eigene Facebook-Gruppen – und die Gewissheit, dass sie keineswegs allein sind. Sondern ziemlich viele. Und ziemlich laut.

Extremisten verteilen keine Flugzettel mehr, sondern suchmaschinenoptimierte Social-Media-Postings, mit wenigen Euro zielgruppeneffektiv beworben. Politiker müssen sich nicht mehr auf Wahlveranstaltungen vor 200 Leuten quälen, sondern haben auf Facebook hunderttausende Fans. Dort verteilte, auf Krawall getrimmte Boulevardschlagzeilen erreichen Millionenquoten.

Aber soll man Plattformen mit derart großem Publikum tatsächlich den Propagandisten und Paranoikern überlassen und den Verführern und Verkäufern? Während sich „traditionelle“, seriöse Medien immer schwerer tun, vor allem junge Menschen zu erreichen?

Wenn die zentrale Aufgabe von seriösen Journalisten so etwas ist wie „Aufklärung“, dann brauchen sie dafür Publikum. Und wenn das Publikum nicht mehr zu uns kommt, müssen wir eben zu ihm.

DEN KONKURRENTEN UNSERE ARBEIT SCHENKEN?

Klar ist das ambivalent.
Die Social-Media-Plattformen sind fast übermächtige Konkurrenten traditioneller Medienhäuser. Facebook (inkl. Instagram) und Google (inkl. YouTube) saugen rund 80 Prozent der Onlinewerbeeinnahmen ab. Sollen professionelle Journalisten dort auch noch ihre Arbeit verschenken?

Aber überschätzen wir uns nicht: Facebook oder YouTube würden in Österreich keinen einzigen Nutzer und keinen Werbe-Euro verlieren, wäre dort kein Journalist oder kein Medienbetrieb mehr präsent. Man kann dort aber Millionen Nutzer mit seriöser Information und kompetenten Kommentaren konfrontieren. Journalisten können dort mit ihren Lesern und Seherinnen diskutieren, wir können ihnen unsere Arbeit zeigen und sie vielleicht sogar überzeugen, einmal auf unsere Websites zu schauen, unsere Sendungen aufzudrehen oder unsere Zeitungen zu kaufen.

WAS ICH TWITTERE

Für ORF-Journalisten ist das etwas schwieriger als für andere Kollegen. Wir müssen in unseren Sendungen unparteiisch und ausgewogen berichten. Das sollten Medien grundsätzlich, aber dem ORF ist es gesetzlich vorgeschrieben. Facebook oder Twitter sind keine ORF-Sendungen, trotzdem werden viele von uns dort auch als ORF-Vertreter wahrgenommen.

Ich habe deshalb für mich eine simple Regel gefunden: Ich twittere nichts, das ich nicht auch in einer Podiumsdiskussion oder in einem Interview sagen würde. Auch dort gilt das ORF-Gesetz nicht, trotzdem weiß ich immer, wo ich arbeite. Das hat bisher tadellos funktioniert, ganz ohne eigene „Dienstanweisung“.

Aber ich bin Journalist geworden, um Menschen zu informieren. Idealerweise so viele Menschen wie nur möglich. Mehr als 600.000 schauen täglich die ZiB 2. Aber wenn sie die Sendung nicht verfolgen, dann verfolge ich sie eben auf meinem Blog, auf Facebook und auf Twitter.


Dieser Text ist ursprünglich im FALTER 27/18 vom 3.7.2018 erschienen.