Gestern Abend war Gustav Kuhn zu Gast im ZiB2-Studio, der Gründer und langjährige Leiter der Festspiele Erl, dem mehrere Künstlerinnen sexuelle Belästigung vorwerfen und mehrere ehemalige Mitarbeiter massive Übergriffe während der Arbeit. (In der TVthek kann man das Interview noch sieben Tage lang nachsehen.)
Auf Twitter haben das manche Zuseher kritisiert: „Nicht der Täter braucht eine Plattform, auf der er gehört wird, sondern die Opfer“, hieß es etwa – oder: „Diesem Herrn die Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben, halte ich nicht für die beste Idee.“
Wir haben das in der Redaktion vor der Sendung ausführlich diskutiert. Nach den bisherigen Stellungnahmen seines Anwalts (der schon im Sommer Gast im Studio war) war zu erwarten, dass Kuhn im Gespräch alle Vorwürfe abstreiten würde, was natürlich sein gutes Recht ist. Aber der Anwalt hatte darüberhinaus den Frauen unterstellt, sie würden ihre Vorwürfe aus Revanche erfinden. Sie alle hätten in Erl ihre Engagements verloren – natürlich nicht, weil sie Kuhns Avancen verweigert hätten, sondern aus mangelndem Können (was wiederum die Frauen bestreiten). Sollten wir dieser Argumentation neuerlich „eine Bühne bieten“?
WIR HABEN UNS LETZTLICH DAFÜR ENTSCHIEDEN. WARUM?
Wir hatten in der ZiB2 mehrfach über die Vorwürfe gegen Gustav Kuhn berichtet. Die mutmaßlichen Opfer sind dabei ausführlich zu Wort gekommen. Jedesmal hatten wir natürlich – wie es auch der Ehrenkodex der österreichischen Presse verlangt – beim beschuldigten Festpiel-Leiter um eine Stellungnahme angefragt. Vor der Kamera hatten wir bisher keine bekommen.
Das letzte große Gespräch mit Kuhn mit dem PROFIL stammt vom März (leider ist es nicht online). Seit im Sommer die offenen Briefe bekannt wurden, gab es kein einziges Interview mehr, auch nicht nach einer neuen großen PROFIL-Geschichte mit weiteren Details vor drei Wochen. Aber nun hatte Kuhn der ZiB2 per Mail ein Interview angeboten: Er würde live ins Studio kommen. Ich fände es schwer zu argumentieren, weshalb wir mehrfach um ein Gespräch anfragen – und dann keines machen, wenn wir eines bekommen.
Es geht in dieser Affäre (die der Tiroler Blogger Markus Wilhelm ins Rollen gebracht hat) nicht um Anschuldigungen aus dem Privatleben, die vor einen Staatsanwalt und ev. vor ein Gericht gehören, nicht aber in die Medien. Sondern es geht um den Vorwurf des Machtmissbrauchs in einer bekannten, öffentlich finanzierten Institution. Die Anschuldigungen sind öffentlich und sie werden auch nicht mehr anonym erhoben, sondern von mittlerweile 19 namentlich bekannten Künstler*innen und Mitarbeiter*innen der Erler Festspiele.
Kuhn wurde dort mittlerweile als Dirigent suspendiert, als Leiter ist er beurlaubt, die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt und der Fall liegt bei der Gleichbehandlungskommission in Wien. Aber Kuhn ist nicht verurteilt, für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Er bestreitet die Vorwürfe und als Beschuldigter hat er ein Recht, angehört zu werden – nicht nur beim Staatsanwalt, sondern auch in der Öffentlichkeit, in der er beschuldigt wird. Mein Job war es, ihn – so gut wie möglich vorbereitet – mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Ob sie stimmen, werden letztlich die Justiz und die Gleichbehandlungskommission feststellen müssen.