Ich bin am Morgen nach meinem Interview mit Harald Vilimsky zu einem lange geplanten Kurzurlaub aufgebrochen – aber sehr erholsam waren die paar Tage in Tel Aviv letztlich nicht. Jeden Tag kamen mehrere hundert Mails, SMSe und Twitter-Mentions. 99 Prozent davon lobend, freundlich und unterstützend (vielen Dank!) – aber ein freundlicher Herr hat mir auch unter vollem Namen gemailt: „Grüß sie warum sind sie noch nicht gekündigt beim orf sie. Ratte scheiss geburt einer Hure“ (Rechtschreibung im Original).
Doch wie ist es zu diesem Interview gekommen, das FPÖ-Chef Strache seither jeden Tag zumindest einmal „widerlich“ nennt, das der ORF-Stiftungsratsvorsitzende und ehemalige FPÖ-Chef Steger für „pervers“ hält und für das mich die frühere ZiB-Moderatorin und nunmehrige FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel am NS-„Volksgerichtshof“ verortet?
WELCHES THEMA WAR VEREINBART?
Die ZiB2 hat in den letzten Wochen eine Interview-Serie mit den EU-Spitzenkandidat*innen der Parlamentsparteien gebracht, bereits die zweite nach Ende Februar. Vergangenen Dienstag war Harald Vilimsky eingeladen, der Termin war seit Wochen ausgemacht, spezielle Themen waren – wie bei allen Kandidat*innen – nicht vereinbart. (Das ist wichtig, weil Vilimsky und auch FPÖ-Stiftungsrat Steger später etwas anderes behauptet haben.)
Am Wochenende zuvor, zu Ostern, hatte die FPÖ Krach mit ihrem Koalitionspartner. Das ekelhafte „Ratten“-Pamphlet des Braunauer Vize-Bürgermeisters im lokalen FPÖ-Parteiblatt hatte (nach der Debatte um das Verhältnis zu den rechtsextremen „Identitären“) eine kleine Koalitionskrise verursacht. Der Kanzler selbst hatte das „Gedicht“ als „abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch“ kritisiert und eine Distanzierung verlangt. Dienstag früh trat der Braunauer FPÖ-Funktionär schließlich zurück.
Parteichef Strache und Generalsekretär Vilimsky gaben das bei einer Pressekonferenz zu Mittag bekannt, bei der sie ihre EU-Wahlplakate präsentierten. Die beiden FPÖ-Spitzen zeigten sich geradezu empört: „Ein derartiges Fehlverhalten ist mit den Grundsätzen der FPÖ nicht vereinbar“, erklärte Strache zu Braunau kategorisch.
WARUM DAS RFJ-PLAKAT?
Das Thema beherrschte nicht nur die Pressekonferenz, sondern auch die Berichterstattung über die FPÖ an diesem Tag. Gleichzeitig kursierte auf Twitter eine Zeichnung der freiheitlichen Jugend Steiermark.
Das Sujet, das Titelbild eines Flyers, ist etwa ein Jahr alt, stand aber auch am Dienstag (und auch heute) noch prominent auf der steirischen RFJ-Website. Unter dem Slogan „Tradition schlägt Migration“ zeigt es ein blondes Trachtenpärchen, das von dunklen, bösartigen, offenbar fremdländischen Fratzen bedroht wird. Im Hintergrund sind schemenhaft zwei Minarette skizziert.
Für mich war schnell klar, dass ich Harald Vilimsky am Abend mit diesem Bild konfrontieren würde.
Wie glaubwürdig ist die Distanzierung vom rassistischen „Ratten“-Pamphlet, wenn eine FPÖ-Organisation gleichzeitig eine derart rassistische „Karikatur“ verwendet? Zum einen war „Braunau“ ganz klar das zentrale politische Thema des Tages. Zum anderen ist Harald Vilimsky nicht nur EU-Spitzenkandidat der FPÖ, sondern seit 13 Jahren auch ihr Generalsekretär, also für die gesamte Parteiarbeit verantwortlich.
WARUM DER „STÜRMER“-VERGLEICH?
Damit die Zeichnung im Fernsehen besser erkennbar wird, hat unsere Grafik in der Vorbereitung die schwarz-weißen Fratzen auf dem Sujet hervorgehoben. Und wir haben eine Titelseite der NS-Zeitschrift „Stürmer“ herausgesucht, die durch ihre rassistischen Darstellungen (damals von Juden) bis heute berüchtigt ist.
Die – mit dem ZiB2-Sendungsverantwortlichen abgesprochene – Idee war nun folgende: Ich würde Harald Vilimsky mit der „Karikatur“ konfrontieren und ihn fragen, was er davon hält. Würde er sich davon distanzieren – wovon ich nach der Braunau-Debatte eigentlich ausging -, frage ich nach, warum in der FPÖ immer wieder solche „Einzelfälle“ passieren. Damit wäre das Thema erledigt. Sollte Vilimsky jedoch das RFJ-Sujet verteidigen, würden wir die „Stürmer“-Seite dazublenden und ich ihn fragen, was die beiden Darstellungen seiner Meinung nach unterscheidet.
„NIEMAND REGT DAS AUF“
Durchaus zu meiner Überraschung reagierte Vilimsky auf das offenkundig rassistische RFJ-Sujet so: „Diese Geschichte ist in der Steiermark ein Jahr bekannt. Niemand in der Steiermark im Landtag regt das auf, ja. … Man kann über den Stil streiten. ‚Tradition statt Migration‘ – Was ist schlimm daran? Das sind aus meiner Sicht Islamisten. … Das sind Personen, die der Gesellschaft nichts Gutes wollen.“
Auf die Frage nach dem Unterschied zum „Stürmer“ wurde Vilimsky hingegen extrem emotional: „Also hier diese Parallelität zu ziehen, Herr Wolf, ist also allerletzte Schublade. Indem Sie hier vom Stürmer ein Bild nehmen, das gegenüber einem Jugendplakat gegenüber stellen und den Eindruck erwecken, dass wir in der Nähe des Nationalsozialismus wären … ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann.“ Auf meine Ergänzung „Für die Jugendorganisation in der Steiermark nehme ich an?“ ging er nicht weiter ein.
Aber Herr Vilimsky war noch nicht am Ende: „Das ist überhaupt etwas, was ich noch nicht erlebt habe im ORF. Es hat eine Qualität, die nach unten offen ist. Es ist jenseitig, Herr Wolf, was Sie da machen. … Ich halte das für einen Skandal der Sonderklasse.“
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Im Interview ging es dann noch um Vilimskys Inserate in einer rechtsextremen Zeitschrift, die den „Identitären“ nahesteht, um den FPÖ-Vertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“, die FPÖ-Enthaltungen bei einer Abstimmung über Verkehrssicherheit im EU-Parlament und um die Weigerung von Außenministerin Kneissl, eine Wahlempfehlung für die FPÖ abzugeben. (Hier finden Sie ein vollständiges Transkript des Gesprächs samt Quellenangaben.)
Vorbereitet hatte ich noch Fragen zur künftigen gemeinsamen Rechtsaußen-Fraktion im EU-Parlament und welche konkreten EU-Kompetenzen die FPÖ zurück zu den Nationalstaaten verlagern will. Aber dazu kamen wir leider aus Zeitgründen nicht. Es wird vor der Wahl allerdings noch etliche Interviews und Studiodiskussionen zu EU-Themen geben. Auf Sendung beendete Vilimsky das Gespräch mit einem – möglicherweise ironischen – „Ich danke für das freundliche Interview“, während des folgenden Beitrags verabschiedeten wir uns durchaus höflich voneinander.
DIE EMOTIONEN DANACH
So höflich sollte es nicht bleiben. Am nächsten Tag forderte Herr Vilimsky vom ORF meinen Rauswurf. Vizekanzler Strache nannte mein Interview mehrfach „widerlich“ und verlangte vom ORF-Chef, mich über das gesetzliche Objektivitätsgebot zu belehren. Der zweite FPÖ-Generalsekretär Hafenecker erklärte mich zum „selbsternannten Medialinqusitor“ und der Wiener Landtags-Abgeordnete Kohlbauer befand, ich sei „untragbar“ und überhaupt: „Der falsche und inflationäre NS Vergleich verharmlost die mörderische NS-Ideologie!“
Wie spontan Vilimskys Empörung im Studio war, ist übrigens eine interessante Frage. Wenige Stunden nach dem Interview hat die FPÖ einen EU-Wahlspot veröffentlicht, in dem eine TV-Journalistin namens „Armina Wolf“ eine wesentliche Rolle spielt. Dass das – durchaus professionelle – Video erst nach der ZiB2 entstanden ist, scheint nicht sehr wahrscheinlich. Etliche Kommentatoren auf Twitter vermuten nun, Vilimsky hätte mich im Interview – ganz unabhängig von meinen Fragen – in jedem Fall frontal attackiert, weil der Konflikt mit dem ORF offensichtlich zum freiheitlichen Wahlkampfkonzept gehört.
Die absurdeste Reaktion auf das Gespräch kam von Ursula Stenzel. Die ehemalige ZiB-Moderatorin zog allen Ernstes einen Vergleich zwischen meinem Interview und dem berüchtigten „Volksgerichtshof“ des Nazi-Blutrichters Roland Freisler.
NORBERT STEGERS „AUSZEIT“
Wirklich bemerkenswert finde ich jedoch die Reaktion von Norbert Steger. Der ehemalige FPÖ-Parteichef ist seit einem knappen Jahr Vorsitzender des ORF-Stiftungsrates und damit so etwas wie der Aufsichtsratspräsident des ORF. Im KURIER nannte Herr Steger meine Frage an Vilimsky wörtlich „pervers“. Und in einem Gespräch bei „Fellner live“, das mehr als eine halbe Stunde lang ohne eine einzige kritische Frage auskam, erklärte der oberste ORF-Vertreter ohne weitere Begründung, ich hätte dem ORF „großen Schaden zugefügt“ und sollte „auf Gebührenzahler-Kosten“ eine Auszeit nehmen. Wenige Tage nach der „Romy“-Verleihung halte ich das für einigermaßen originell. Meine kurze Rede dort fand Herr Steger aber ohnehin „noch viel ärger“.
Es gäbe übrigens eine sehr einfache – und korrekte – Reaktion, sollte die FPÖ tatsächlich der Meinung sein, ich hätte mit meiner Frage das ORF-Gesetz verletzt: Eine Beschwerde bei der dafür zuständigen Medienbehörde, der KommAustria. Eine solche Beschwerde wurde bisher aber weder eingebracht noch angekündigt. Aus gutem Grund: Sie wäre chancenlos. Meine Frage war rechtlich einwandfrei, die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zu Live-Interviews im ORF ist seit Jahrzehnten glasklar.
INTERNATIONALE REAKTIONEN
Die allermeisten heimischen und internationalen Medien fanden vor allem Vilimskys Drohung „Das kann nicht ohne Folgen bleiben“ berichtenswert und seine Forderung, mich abzusetzen (etwa die FAZ, die SÜDDEUTSCHE, der TAGESSPIEGEL, die ARD-TAGESSCHAU). Ganz besonders, weil die FPÖ ja seit Monaten mit dem ORF im Clinch liegt und im geplanten neuen ORF-Gesetz die Rundfunk-Gebühren streichen will. Parteichef Strache hat das beim EU-Wahlkampfauftakt am Samstag bekräftigt: „Wie ein Löwe“ will er dafür kämpfen. Dass mit der – von der FPÖ propagierten – Budgetfinanzierung des ORF der Zugriff der Politik auf den Sender sehr viel direkter würde, ist klar.
Der ORF-Redakteursrat hat dementsprechend protestiert, der Deutsche Journalistenverband hat sich solidarisiert, Medienminister Blümel hat der FPÖ ausgerichtet, dass die Politik sich nicht „in die Beschäftigungsverhältnisse von Journalisten einzumischen“ habe und der ÖVP-Generalsekretär nannte Stenzels „Volksgerichtshof“-Entgleisung „nicht akzeptabel“. Ex-Bundespräsident Heinz Fischer sagte zu Stenzel im ZiB2-Studio: „Das darf eigentlich nicht passieren. Jeder, der etwas aus der Geschichte gelernt hat, wird das nicht akzeptieren, sondern verurteilen.“
ORF-Chef Alexander Wrabetz hat Vilimskys Forderung, mich abzuberufen, klar zurückgewiesen: „Ich lasse mir von einem Parteigeschäftsführer nicht zurufen, wer bei uns die ZiB moderiert“. Und Sonntag Abend hat der vielfach preisgekrönte TV-Regisseur und Autor David Schalko in einem ausführlichen STANDARD-Kommentar argumentiert, „Warum Steger sofort weg muss“.
Die Aufregung in den letzten Tagen war jedenfalls groß. Dutzende Artikel, viele hundert Mails, tausende Tweets und auf Facebook habe ich seit Mittwoch gleich gar nicht geschaut. Würde ich nun im Rückblick – nach der ganzen Debatte – die Frage an Herrn Vilimsky noch einmal stellen?
EIN „GEFALLEN“ FÜR DIE FPÖ?
Die NZZ immerhin hat das Interview als „keine Sternstunde“ kritisiert. Ich hätte Vilimsky „einen Gefallen getan“, die Darstellungen des RFJ und im „Stürmer“ seien „unterschiedlich und beziehen sich auf andere Zusammenhänge“. Weshalb sie unterschiedlich sind, erklärt der Autor allerdings nicht.
Der KURIER hat zu dem Vergleich Experten interviewt: Die große Nase, die großen Ohren, der grimmige Blick, „und daneben das strahlende österreichische Paar, das diese Merkmale nicht aufweist – das geht nicht mehr klarer“, erklärt der deutsche Historiker Christian Kuchler, Fachmann für NS-Propaganda im 21. Jahrhundert.
Es ging mir übrigens nicht um die Frage, ob das RFJ-Plakat „antisemitisch“ ist. Kein Mensch würde annehmen, dass die FPÖ auf einem Plakat über „Asylantenströme“ Juden abbildet. Es ist ziemlich offensichtlich, dass damit muslimische Zuwanderer gemeint sind. Deshalb habe ich auch zu Herrn Vilimsky im Interview gesagt: „Ich sehe hier eine Darstellung von offenbar ausländisch gedachten Menschen, die sehr ähnlich aussieht wie die optische Darstellung im „Stürmer“ damals von Juden.“
Es geht darum, dass in der „Karikatur“ Menschen einer bestimmten ethnischen Herkunft pauschal als bösartige, hinterhältige, offensichtlich bedrohliche und stereotype Fratzen abgewertet werden: „Das Sujet ist in jedem Fall schwer rassistisch“, wie der Wiener Kommunikationswissenschafter Wolfgang Duchkowitsch im KURIER konstatiert.
Es ging mir auch nicht darum, ob ich Herrn Vilimsky mit der Frage „einen Gefallen“ tue, was die NZZ so beschäftigt. Ich überlege in der Vorbereitung von Interviews grundsätzlich nicht, ob Fragen dem Gast nützen oder schaden. Ich überlege, ob die Fragen – und die Reaktion des Gastes darauf – für das Publikum der ZiB2 aufschlussreich sind. Ob die Zuseher*innen dadurch mehr über den Gast im Studio und seine politischen Positionen erfahren. Ob sie ihn nach dem Interview besser beurteilen können als vorher. Ich denke, das hat das Gespräch mit Herrn Vilimsky geleistet.
WÜRDE ICH DIE FRAGE NOCHMAL STELLEN?
Würde ich im Nachhinein etwas anders machen? Ja, ich würde ganz am Ende die zweite Nachfrage nach Frau Kneissl nicht mehr stellen, der Erkenntnisgewinn war bescheiden. Vielleicht würde ich die Passage zu den Verkehrsmaßnahmen kürzen und mich dafür nach der geplanten Rechtsaußen-Fraktion erkundigen. Aber die Frage, worin sich die rassistische RFJ-„Karikatur“ von rassistischen Bildern im „Stürmer“ unterscheidet, würde ich jedenfalls wieder stellen. Eine konkrete Antwort darauf habe ich bis heute nicht gehört.
Und noch ein Letztes: Ich bin ziemlich sicher, hätte ein*e Leitartikler*in im STANDARD oder der PRESSE nüchtern – oder auch empört – festgestellt, dass sich das RFJ-Sujet der Bildsprache des „Stürmer“ bedient, wäre ziemlich wenig passiert. Möglicherweise hätte sich die FPÖ nichtmal über einen solchen Zeitungskommentar beschwert. Doch als Interview-Frage im Fernsehen wird der Vergleich zum „ORF-Skandal“ (krone.at).
Dabei konnte Herr Vilimsky auf die Frage live und ungeschnitten antworten, was immer er wollte. Oder wie die NZZ schreibt: „Vilimsky konnte zur Angelegenheit ausführlich Stellung nehmen, und dem Publikum wurde nichts vorenthalten. Es war in der Lage, sich aufgrund der gezeigten Cartoons eine eigene Meinung zu bilden. Niemand wurde manipuliert.“ Herr Vilimsky konnte mir sogar live auf Sendung drohen.
Ich werde übrigens keine Auszeit nehmen.