Heute ist das Buch „Die Ibiza-Affäre“ von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer erschienen. „Die Obermayers“, wie das Reporter-Duo mitunter genannt wird, sind Investigativ-Journalisten bei der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und mit der Enthüllung der Panama-Papers – jedenfalls in der Medienbranche – berühmt geworden.
Ihnen wurde letztes Jahr jenes Bildmaterial angeboten, aus dem am 17. Mai, Schlag 18 Uhr knapp sieben Minuten als „Ibiza-Video“ online und um die Welt gegangen sind. Gemeinsam mit Kollegen vom SPIEGEL hatten sie die vielen Stunden Videomaterial wochenlang geprüft und ausgewertet. Wie sie das gemacht haben und was in den Filmen zu sehen ist, das beschreiben sie in ihrem Buch spannend wie in einem Krimi.
Abwechselnd erzählt immer ein Kapitel vom Abend in der Mietvilla im Juli 2017 und eines, wie die Reporter zu ihrem Material gekommen sind. Neu ist, dass ihnen das Video bereits im Spätsommer 2018 angeboten wurde. Die Kontakte mit „der anderen Seite“ zogen sich dann – mühsam und teils sehr frustrierend – über viele Monate. Erstmals offenbaren die Autoren, dass sie auch die berühmte russisch-lettische „Oligarchin“ getroffen haben, deren Identität – als einzige im Video – nie bekannt geworden ist. Sie bleibt auch im Buch anonym, versichert aber „entspannt und glaubhaft“, sie hätte gewusst, worauf sie sie einlasse, sei nicht erpresst worden und habe auch kein Geld bekommen. Und: Sie hätte es sich „wesentlich schwerer vorgestellt“.
Anonym bleiben auch jene Menschen, die der SZ und dem SPIEGEL das Bildmaterial angeboten und letztlich übergeben haben. Über allfällige Auftraggeber weiß man auch nach den 269 Seiten nicht mehr.
Die beiden Reporter berichten, wie Ihnen das Video erstmals auf einem manipulierten Laptop vorgeführt wurde, auf dessen Bildschirm ohne Spezialbrille nichts zu erkennen war (um zu verhindern, dass sie etwas abfilmen). Und sie schreiben ausführlich über ihre Zweifel und ihre Ängste, dass sie Fälschern aufsitzen könnten und mit welchem Aufwand das Material – gemeinsam mit dem (Relotius-geschädigten) SPIEGEL – bis ins kleinste Detail überprüft wurde. Gerade diese Kapitel machen „Die Ibiza-Affäre“ auch zu einem Lehrbuch über professionelle Recherche und investigativen Journalismus.
Zum legendären Abend in Ibiza selbst bringen die Autoren viele Details aber wenige echte Neuigkeiten, was allerdings nicht weiter überrascht. Sie hatten ja bereits im Mai entschieden, was sie aus den stundenlangen Aufzeichnungen für öffentlich relevant und berichtenswert hielten und sie haben in der SZ zahlreiche Artikel über die Affäre geschrieben. Es wäre eher seltsam, hätten sie wesentliche Inhalte des Abends drei Monate lang zurückgehalten.
HERR STRACHE FREUT SICH (EHER ZU UNRECHT)
Interessanterweise sieht sich Heinz-Christian Strache durch das Buch „rehabiliert“, wie er gestern in einer langen Presseaussendung schreibt:
„Das Buch stellt zutreffend dar, dass ich mich weder an dem Abend auf Ibiza, noch davor oder danach, auf einen ‚Deal‘ eingelassen habe … Der expliziten Forderung nach ‚Korruption‘ habe ich nicht nachgegeben.“
Die Autoren würden bestätigen, dass er immer wieder darauf beharrt hätte, alles müsse „legal“ ablaufen und dass dem Videomaterial „kein Kokainkonsum und keinerlei sexuelle Handlungen entnommen werden kann“.
Stimmt. Was Strache allerdings verschweigt: Das Buch dokumentiert penibel, wie er der vermeintlichen Milliardärin mehrfach Staatsaufträge mit „Überpreis“ in Aussicht stellt; wie er darüber nachdenkt, sie an den österreichischen Wasservorkommen mitverdienen zu lassen; seine detaillierte Erklärung, wie sie am Rechnungshof vorbei die FPÖ sponsern könnte; wie er (auch namentlich) Journalisten und politische Konkurrenten beschimpft, beleidigt und mit absurden Gerüchten verleumdet und sich in Verschwörungstheorien ergeht.
Und Strache vergisst das Hauptthema des Abends: Die Übernahme der KRONENZEITUNG durch die „Oligarchin“, auf die er im Lauf des Abends immer und immer wieder zurückkommt, etwa so (zu Gudenus und dem „Begleiter“ der „Milliardärin“):
„Wenn sie die Kronen-Zeitung übernimmt und einen Lauf schafft, ja, wo wir drei Wochen vor der Wahl einen Punch bekommen, dann können wir über alles reden. Wir werden immer einen Weg finden, das zu definieren.“
In einigen Zeitungen ist der Inhalt des Buches heute sehr gut zusammengefasst, z.B. in der NZZ, im HANDELSBLATT, im KURIER, in NEWS oder in der PRESSE (Paywall). Und sehr lesenswert ist ein ausführliches Interview mit den beiden „Obermayers“ im PROFIL.
Ich durfte für „Die Ibiza-Affäre“ das Vorwort schreiben – zur interessanten Frage, warum der bizarre Skandal der FPÖ offenbar nicht sehr schadet. Freundlicherweise hat der Verlag genehmigt, dass ich dieses Vorwort als PDF online stelle.