ORF-Elefantenrunde 26.9.19

Wirklich spannend wird’s ab Montag

Am Sonntag kurz nach 17 Uhr wissen wir, wie diese Nationalratswahl ausgegangen ist, aber die wirklich spannende Phase beginnt erst danach. Denn schon jetzt ist klar, dass der praktisch sichere Wahlsieger ÖVP zum Regieren Koalitionspartner braucht. Aber wen? Und da könnte sich Sebastian Kurz am Montag in einer Situation wiederfinden, für die Amerikaner einen sehr bildhaften Ausdruck haben: Between a rock and a hard place.

Laut allen Umfragen der letzten Wochen wird die ÖVP nach der Wahl drei Koalitions-Optionen haben – und alle drei sind zumindest schwierig.


Grafik Umfragen
Quelle: Laurenz Ennser-Jedenastik

TÜRKIS-BLAU, DIE ZWEITE?

Programmatisch am leichtesten wäre es logischerweise mit der FPÖ. Inhaltliche Verhandlungen könnte man sich nahezu sparen, mit dem Regierungsprogramm von 2017 liegt de facto ein fertiges Koalitionsabkommen vor. Personell dürfte es auch keine wesentlichen Probleme geben: Die FPÖ beharrt zwar formhalber auf dem Innenministerium, idealerweise besetzt von Herbert Kickl, weiß aber, dass sie beides nicht bekommen wird (und hat es deshalb – im Gegensatz zu 2017 – auch nicht zur Koalitionsbedingung erklärt).

ABER: Auch Sebastian Kurz weiß, dass bisher jede Regierung mit der FPÖ auf Bundesebene vorzeitig gescheitert ist (1986 durch den Haider-„Putsch“ in Innsbruck, 2002 in Knittelfeld, 2005 mit der BZÖ-Abspaltung, 2019 wegen „Ibiza“). Man könnte daraus schließen, dass die radikal-populistische Oppositionspartei FPÖ strukturell nicht regierungsfähig ist. Doch selbst, wenn man das nicht glaubt, ist klar, dass die Partei derzeit besonders instabil ist. Möglicherweise wird sie ihren Langzeit-Obmann Heinz-Christian Strache nächste Woche ausschließen, vielleicht gründet Strache eine neue Partei, schon jetzt beschädigen einander die verschiedenen Lager mit Durchstechereien dubioser Spesen-Abrechnungen an die Medien. 

Kurz + Hofer

Einem neuen türkis-blauen Kabinett würden weder Strache noch Kickl angehören, eine ähnliche Situation wie nach 2000, als der prominenteste FPÖ-Politiker – Jörg Haider – nicht in der Regierung saß und sehr bald frustriert das eigene Ministerteam torpedierte. Norbert Hofer gilt in der ÖVP zwar als zuverlässiger und berechenbarer Partner, aber niemand kann einschätzen, wie durchsetzungsfähig er in der FPÖ künftig sein wird. Je besser morgen das Wahlergebnis ausfällt, umso eher – je mehr die FPÖ morgen verliert, umso brutaler werden die internen Machtkämpfe. Und dann wären da ja auch noch die seriellen „Einzelfälle“, von denen niemand weiß, warum sie plötzlich aufhören sollten.

TÜRKIS-ROTE ZWANGSHEIRAT?

Zwischen ÖVP und SPÖ würde es inhaltlich schwierig. Eine „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“, die Kurz sich wünscht, ist jedenfalls nicht das Ziel der Sozialdemokraten. Weniger in der „konsequenten Migrationspolitik“ als in Sozial-, Wirtschafts- und Steuerfragen, von Pensionen bis zur Senkung der Körperschaftssteuer. Sebastian Kurz ist – sehr zurückhaltend formuliert – kein Freund der „Roten“, sondern hält sie für verzopfte Reformverweigerer. Mit jeder anderen Partei (außer Peter Pilz) würde er lieber koalieren. In der aktuellen Spitze der Bundes-ÖVP hat eine türkis-rote Zusammenarbeit aber auch sonst keine Fans, nichtmal einen – früher stets zuverlässig großkoalitionären – Wirtschaftskammer-Präsidenten.

Kurz-Rendi

In der SPÖ hat ein sehr wesentlicher Flügel durchaus Interesse an einer Koalition, nämlich die mächtige Gewerkschaft und die Arbeiterkammer, die bei Türkis-Blau II mit einer weiteren Schwächung und massiven Budgetkürzungen rechnen muss. Ein anderes Machtzentrum der Partei hingegen will gar nicht koalieren: Die Wiener SPÖ muss nächstes Jahr Landtagswahlen gewinnen – und das ginge gegen das Feindbild einer türkis-blauen „Ibiza-Koalition“ sehr viel einfacher als gegen Türkis-Rot. Auch personell würde es nicht einfach, das Verhältnis Kurz-Rendi-Wagner ist spätestens seit den letzten Wahlkampf-Wochen zerrüttet, dass die beiden eine harmonische Koalitionsspitze bilden könnten: Kaum vorstellbar. Wobei niemand vorhersagen kann, wie lange die SPÖ-Vorsitzende nach dem Wahlabend noch im Amt bleiben wird. Klar ist: Das schlechteste Ergebnis, das die Sozialdemokraten bei Nationalratswahlen je hatten – die katastrophalen 26,8 Prozent von 2013 – wäre diesmal fast ein Triumph.

TÜRKIS-GRÜN-PINKES DIRNDL?

Eine Regierung aus ÖVP, Grünen und Neos – neuerdings gerne „Dirndl-Koalition“ genannt – hätte für Sebastian Kurz großen Reiz. Sie würde ihm v.a. international viel Lob einbringen, was ihm nicht unwichtig ist. Eine solche Koalition funktioniert z.B. in Salzburg problemfrei, allerdings spielen in der Landespolitik grundsätzliche ideologische Fragen sehr viel weniger Rolle.

Wie auf Bundesebene v.a. die sozial- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Neos und Grünen zusammengebracht – und dann noch mit dem übermächtigen Partner ÖVP abgestimmt werden sollen, das können sich momentan nur wenige vorstellen. Die wöchentlichen Ministerrats-Vorbesprechungen und die regelmäßige Regierungskoordination wären jedenfalls sehr viel mühsamer als mit der vergleichweise pflegeleichten FPÖ. Dass eine „Dirndl-Koalition“ im Bundesrat keine Mehrheit hätte, wäre zwar lästig, aber kein echtes Hindernis. Im Gegensatz zu Deutschland kann der Bundesrat in Österreich Gesetze in der Regel nicht blockieren, sondern nur um ein paar Wochen verzögern. Das ließe sich managen.

Kurz-Kogler-Meinl

Extrem attraktiv wäre für Kurz in jeder Hinsicht eine Koalition mit den Neos alleine, aber das geben die Umfragen – und wohl auch das Wahlergebnis morgen – nicht her. Nicht wahrscheinlich, aber nicht undenkbar ist allerdings, dass eine Zweier-Koalition mit den Grünen arithmetisch möglich wird. Sollten ÖVP + Grüne mehr als 95 Mandate erreichen (92 ist das Minimum für eine Mehrheit im Nationalrat), kann man vermuten, dass Kurz diese Variante ernsthaft versucht. Wie sich das bei seinem zentralen Thema Migration inhaltlich ausgehen soll, ist derzeit schwer abzusehen, doch möglicherweise ließen sich da Kompromisse finden, auch im Abtausch gegen weitgehende Zugeständnisse der ÖVP in der Klimapolitik.

TÜRKISES SOLO?

Aber nicht ohne Grund hat Sebastian Kurz in den letzten Wochen immer öfter von einer Minderheitsregierung gesprochen. Grundsätzlich muss der Kanzler in Österreich ja nicht durch eine Parlamentsmehrheit gewählt werden (wie in Deutschland) – er darf nur nicht durch ein Misstrauensvotum abgewählt werden. Der Bundespräsident wird den ÖVP-Chef wohl kommende Woche mit der Regierungsbildung beauftragen. Kurz könnte dann monatelang mit den anderen Parteien verhandeln und letztlich zum Ergebnis kommen, dass es sich „leider“ mit keiner von ihnen ausgeht. Eine Regierungsmehrheit gegen ihn wird es aber wohl auch nicht geben.

Kurz
Der Versuch wäre wohl, durch personelle Signale (einige Minister, die anderen Parteien nahestehen) und durch inhaltliche Zugeständnisse eine Situation zu schaffen, in der eine Alleinregierung zumindest nicht abgewählt wird. Das zentrale Argument an Neos und Grüne könnte lauten: Wenn ihr das boykottiert, müssen wir mit der FPÖ koalieren. Das wolltet ihr doch um alles in der Welt verhindern.

Doch selbst, wenn Kurz damit durchkäme: Es könnten sich im Nationalrat jederzeit auch gegen die ÖVP Mehrheiten für Gesetzesprojekte finden (wie während der letzten Monate im „freien Spiel der Kräfte“), die eine ÖVP-Regierung dann umsetzen und ein ÖVP-Finanzminister finanzieren müsste. Und die Regierung wäre trotzdem permanent von einem Misstrauensvotum bedroht.

Funktioniert hat eine Minderheitsregierung – die in Skandinavien politischer Alltag ist – in Österreich erst einmal: In den ersten Monaten von Kanzler Kreisky nach der Wahl von 1970. Allerdings hatte die SPÖ damals 48,4 Prozent und einen fixen Deal mit der FPÖ: Im Abtausch für ein günstigeres Wahlrecht, das der FPÖ langfristig das Überleben im Parlament sicherte, versprachen die Freiheitlichen, die SPÖ-Alleinregierung nicht gemeinsam mit der ÖVP zu stürzen. Schon nach 14 Monaten ging Kreisky in Neuwahlen und gewann seine erste absolute Mehrheit. Wiederholen lässt sich das nicht, eine „Absolute“ wird es auf absehbare Zeit bei keiner Nationalratswahl mehr geben. Wie und weshalb eine Minderheitsregierung aber fünf Jahre lang halten sollte, das weiß zur Stunde niemand.

Zwischen einem Stein und etwas Hartem also. Wird spannend…