Vor nicht mal einem Jahr ist der größte Skandal im deutschsprachigen Journalismus seit den falschen Hitler-Tagebüchern des STERN explodiert: Die Relotius-Affäre im SPIEGEL. Ausgerechnet der zigfach preisgekrönte Jung-Star des Magazins hatte jahrelang Reportagen gefälscht und erfunden.
Enttarnt hatte ihn letztlich ein Kollege: Juan Moreno ist seit 2007 freier Autor beim SPIEGEL und wurde vor einem Jahr mit Relotius an die amerikanisch-mexikanischen Grenze geschickt. Moreno begleitete einen Flüchtlingszug in Mexiko, Relotius angeblich eine selbsternannte „Bürgerwehr“ nördlich der Grenze. Doch schon bald kamen Moreno die Angaben seines Kollegen seltsam vor: Regieanweisungen, Details in seinen Recherchen, wesentliche Stellen im Text.
Moreno begann damit, einzelne Punkte zu überprüfen und stieß sehr rasch auf offensichtliche Widersprüche: Protagonisten, die schon in einer großen US-Reportage – aber unter anderem Namen – aufgetreten waren, offensichtlich falsche Einzelheiten, unplausible Schilderungen. Er informierte seine Vorgesetzten in Hamburg – fand dort aber kein Gehör.
Ab dann wird die Geschichte zum Krimi: Auf der einen Seite der junge Superstar des deutschen Journalismus, ausgezeichnet mit rund vierzig (!) Preisen binnen weniger Jahre, erst wenige Wochen zuvor mit seinem vierten Reporterpreis; der Liebling der SPIEGEL-Chefetage, unmittelbar vor der Beförderung zum Chef des Reportage-Ressorts, von den meisten Kollegen als bescheidener, hilfsbereiter, sympathischer Kollege geschätzt.
Auf der anderen Seite der freie Reporter ohne Netzwerk in der Redaktion, den der SPIEGEL-Portier auch mal mit einem Taxifahrer verwechselt und der bei seinen Recherchen auf so viele Ungereimtheiten stößt, dass er sie zuerst selbst nicht glauben kann. Und dem seine Vorgesetzten unverhohlen damit drohen, dass er mit der „Anschwärzung“ seines Kollegen seinen eigenen Job gefährde.
Das alles beschreibt Moreno ein knappes Jahr danach in seinem höchst lesenswerten Buch Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus.
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