„The world is messy.“

Ich bin grundsätzlich ein Freund politischer Korrektheit, weil sie – sinnvoll verstanden – nur ein anderer Begriff für Anstand und Respekt ist. Aber man kann es mit PC und wokeness auch übertreiben – und dazu hat Barack Obama bei einer Diskussion mit Studierenden einige sehr kluge Sätze gesagt:

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Für wenige Interviews habe ich in 17 Jahren ZiB2 so viele Reaktionen bekommen wie auf eines, das ich gar nicht geführt sondern gegeben habe. Und es ist bisher auch mein einziges Interview, auf das es ausschließlich positive Reaktionen gab…

Im Sommer letzten Jahres hat mich Andre Heller, den ich seit langem sehr schätze, in seine ORFIII-Gesprächsreihe „Menschenkinder“ eingeladen. Wie alle Sendungen wurde sie in seiner prachtvollen Wiener Wohnung aufgezeichnet, am heißesten Tag des ganzen Jahres. Wir haben fast drei Stunden lang miteinander gesprochen, was man aber nicht sieht, weil Andre Heller – außer in der Signation – gar nicht vorkommt.

Ende September 2019 wurde die Sendung ausgestrahlt und hier kann man das Gespräch nachsehen:

Screenshot

Heller saß hinter den Scheinwerfern und Kameras und bat mich, die Antworten so zu formulieren, dass sie auch ohne Fragen für sich stehen können. Deshalb ist die fertige Sendung ein rund 70-minütiger Monolog aus aneinander gefügten Antworten. Das klingt ziemlich fad, aber sehr viele Menschen, die mir geschrieben oder mich auf die Sendung angesprochen haben, sahen das offenbar gar nicht so, was mich sehr freut.

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Die Zerstörung der Zeit

In den 1980er Jahren hat Joshua Meyrowitz ein brillantes, noch heute lesenswertes Buch über das Fernsehen mit dem Titel „No Sense of Place“ geschrieben. Heute könnte er ein neues Buch über das Internet schreiben, mit dem Titel „No Sense of Time“.

Derweil hat Buzzfeed diesen exzellenten Text veröffentlicht, der eindrücklich beschreibt, wie Social Media, Netflix, Spotify und Donald Trump unser Gefühl für Zeit zerstört haben.

Screenshot mit LinkBUZZFEED, 24.10.2019

Zeit für eine neue Befreiung

Kaum jemand – außer vielleicht Ivan Krastev – kann so kundig über Mittel- und Osteuropa schreiben wie der britische Historiker Timothy Garton Ash, der die „Samtenen Revolutionen“ von 1989 als Zeitzeuge und als Gesprächspartner zahlloser prominenter Dissidenten erlebt hat. In diesem Text zieht er – 30 Jahre nach der großen Befreiung von den kommunistischen Diktaturen – eine nüchterne, aber höchst lesenswerte Bilanz.

Screenshot mit LinkTHE NEW YORK REVIEW OF BOOKS, 24.10.2019

Felix Krull mit Laptop

Vor nicht mal einem Jahr ist der größte Skandal im deutschsprachigen Journalismus seit den falschen Hitler-Tagebüchern des STERN explodiert: Die Relotius-Affäre im SPIEGEL. Ausgerechnet der zigfach preisgekrönte Jung-Star des Magazins hatte jahrelang Reportagen gefälscht und erfunden.

Enttarnt hatte ihn letztlich ein Kollege: Juan Moreno ist seit 2007 freier Autor beim SPIEGEL und wurde vor einem Jahr mit Relotius an die amerikanisch-mexikanischen Grenze geschickt. Moreno begleitete einen Flüchtlingszug in Mexiko, Relotius angeblich eine selbsternannte „Bürgerwehr“ nördlich der Grenze. Doch schon bald kamen Moreno die Angaben seines Kollegen seltsam vor: Regieanweisungen, Details in seinen Recherchen, wesentliche Stellen im Text.

Moreno begann damit, einzelne Punkte zu überprüfen und stieß sehr rasch auf offensichtliche Widersprüche: Protagonisten, die schon in einer großen US-Reportage – aber unter anderem Namen – aufgetreten waren, offensichtlich falsche Einzelheiten, unplausible Schilderungen. Er informierte seine Vorgesetzten in Hamburg – fand dort aber kein Gehör.

Ab dann wird die Geschichte zum Krimi: Auf der einen Seite der junge Superstar des deutschen Journalismus, ausgezeichnet mit rund vierzig (!) Preisen binnen weniger Jahre, erst wenige Wochen zuvor mit seinem vierten Reporterpreis; der Liebling der SPIEGEL-Chefetage, unmittelbar vor der Beförderung zum Chef des Reportage-Ressorts, von den meisten Kollegen als bescheidener, hilfsbereiter, sympathischer Kollege geschätzt.

Auf der anderen Seite der freie Reporter ohne Netzwerk in der Redaktion, den der SPIEGEL-Portier auch mal mit einem Taxifahrer verwechselt und der bei seinen Recherchen auf so viele Ungereimtheiten stößt, dass er sie zuerst selbst nicht glauben kann. Und dem seine Vorgesetzten unverhohlen damit drohen, dass er mit der „Anschwärzung“ seines Kollegen seinen eigenen Job gefährde.

Das alles beschreibt Moreno ein knappes Jahr danach in seinem höchst lesenswerten Buch Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus.

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Quoten gegen mittelmäßige Männer

Die renommierte London School of Economics hat untersucht, welche Auswirkungen verpflichtende Frauen-Quoten in der Politik haben. Die zentrale Erkenntnis: Quoten wirken. Sie verbessern die Vertretung von Frauen – und das vor allem auf Kosten von „mittelmäßig kompetenten“ Männern.

Die Studie wurde in Schweden durchgeführt, weil dort besonders viele Daten öffentlich zugänglich sind, und sie wurde bereits 2017 veröffentlicht. Ich bin allerdings erst jetzt via Twitter darauf gestoßen. Jedenfalls eine sehr lesenwerte Zusammenfassung!

Screenshot mit Link


BLOGS.LSE.AC.UK, 13.3.2017

Die Steuern rauf!

Das ist eine sehr informative und ausführliche Rezension des noch viel ausführlicheren neuen Buches von Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“), das bisher nur auf Französisch erschienen ist: „Capital et Idéologie“. Wieder beschäftigt sich Piketty mit der weltweiten Verteilung von Vermögen – und wie sie sich gerechter gestalten ließe. Er schlägt dafür vor allem radikal höhere Vermögenssteuern vor.

Screenshot mit LinkREPUBLIK.CH, 12.10.2019


Auf der gleichen Website gibt’s übrigens auch noch eine Kürzest-Zusammenfassung des 1.200-Seiten-Buches in 5.000 Zeichen.

Etwas, das nicht ohne Folgen geblieben ist

Wow, was für eine Woche! Am Dienstag habe ich in Leipzig den „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ bekommen – und gestern Abend wurde ich in Potsdam als „Europäischer Journalist des Jahres 2019“ geehrt. Damit hatte ich – v.a. angesichts der großartigen, mit mir gemeinsam nominierten Kolleg*innen – wirklich nicht gerechnet.

„Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann“, hatte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky zu mir gesagt, als wir im April ein eher heftiges Interview miteinander hatten. Und Folgen hatte das Gespräch nun tatsächlich.

Beim Prix Europa werden in 15 verschiedenen Kategorien die besten Radio-, TV- und Online-Poduktionen des Jahres gekürt und eben ein*e „Journalist*in des Jahres“. Es gibt von der Preisverleihung gestern auch ein Video online (die Laudatio zum Journalisten des Jahres beginnt bei 1h36’45, meine kleine Dankesrede bei 1h45’00):

Screenshot Rede + Link

Und hier das Manuskript meiner Dankesworte:


I’m humbled to have been selected among so many brilliant journalists, all of whom would probably deserve this honor at least as much as I do.

Of course, this is the opportunity to thank everybody, from the jury to my colleagues, my kindergarten teacher and my grandmother – but first and foremost I want to thank a man without whom I would not be standing here tonight: Harald Vilimsky, the man, you just saw in the video.

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So viel Pressefreiheit – und so bedroht

Heute vor 30 Jahren sind in Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße gegangen, um unter dem Slogan „Wir sind das Volk“ gegen die SED-Diktatur zu demonstrieren. Einen Monat später ist in Berlin die Mauer gefallen. Jedes Jahr wird in Leipzig der großen Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 gedacht, heute – zum 30. Jahrestag – besonders aufwändig. Und jedes Jahr wird am Vorabend des 9. Oktober der „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ vergeben.

Unter den bisherigen Preisträger*innen sind u.a. Anna Politkowskaja, Seymour Hersh, James Nachtwey, Roberto Saviano, Glenn Greenwald, Can Dündar, Deniz Yücel oder Asli Erdogan. Den Leipziger  Medienpreis 2019 hat die Jury den deutschen Investigativ-Journalisten Arndt Ginzel und Gerald Gerber und mir zugesprochen. Bei der – sehr schönen – Preisverleihung gestern Abend im Mediencampus Leipzig waren das meine Dankesworte:


Ich werde immer wieder von Zuseher*innen dafür gelobt, dass ich „mutig“ wäre – und so steht es ja auch in der Begründung für diese wunderbare Auszeichnung, die mich sehr ehrt und für die ich mich sehr herzlich bedanken möchte!

Dabei glaube ich gar nicht, dass ich für die Arbeit, die ich mache, besonders mutig sein muss. Jedenfalls nicht so, wie man das üblicherweise versteht.

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Protokoll eines Auftragsmordes

Vor einem Jahr wollte der saudiarabische Dissident und Exil-Journalist Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul Dokumente abholen, um seine Verlobte zu heiraten. Er hat das Konsulat nicht mehr lebend verlassen.

In diesem beeindruckenden Text wird auf der Basis eines UNO-Sonderberichts, hunderter Medienberichte und eigener Recherchen im Detail dokumentiert, wie Kashoggi ermordet wurde. Im Auftrag des saudischen Regimes.

Screenshot mit LinkINSIDER.COM, 1.10.2019