Preisträger Wolf, Ginzel, Gerber (von links)

So viel Pressefreiheit – und so bedroht

Heute vor 30 Jahren sind in Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße gegangen, um unter dem Slogan „Wir sind das Volk“ gegen die SED-Diktatur zu demonstrieren. Einen Monat später ist in Berlin die Mauer gefallen. Jedes Jahr wird in Leipzig der großen Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 gedacht, heute – zum 30. Jahrestag – besonders aufwändig. Und jedes Jahr wird am Vorabend des 9. Oktober der „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ vergeben.

Unter den bisherigen Preisträger*innen sind u.a. Anna Politkowskaja, Seymour Hersh, James Nachtwey, Roberto Saviano, Glenn Greenwald, Can Dündar, Deniz Yücel oder Asli Erdogan. Den Leipziger  Medienpreis 2019 hat die Jury den deutschen Investigativ-Journalisten Arndt Ginzel und Gerald Gerber und mir zugesprochen. Bei der – sehr schönen – Preisverleihung gestern Abend im Mediencampus Leipzig waren das meine Dankesworte:


Ich werde immer wieder von Zuseher*innen dafür gelobt, dass ich „mutig“ wäre – und so steht es ja auch in der Begründung für diese wunderbare Auszeichnung, die mich sehr ehrt und für die ich mich sehr herzlich bedanken möchte!

Dabei glaube ich gar nicht, dass ich für die Arbeit, die ich mache, besonders mutig sein muss. Jedenfalls nicht so, wie man das üblicherweise versteht.

Ich sitze in einem Fernsehstudio in Westeuropa und mache Interviews – in der Regel mit demokratisch gewählten Politiker*innen. Die ärgern sich mitunter über meine Fragen und manche sind auch richtig wütend. Mitunter wurden auch schon meine Chefs angerufen, damit ich keine „unbotmäßigen“ Fragen mehr stelle, wie es der Vorsitzende unseres Rundfunkrates mal ausgedrückt hat, übrigens ein früherer Parteichef der FPÖ.

Und der letzte FPÖ-Vizekanzler hat mich auf Facebook als Lügner beschimpft. Ich habe ihn deswegen geklagt, er hat sich in einem großen Zeitungsinserat entschuldigt und 10.000 Euro Entschädigung gezahlt, die ich gespendet habe: An das führende Forschungsinsitut für Rechtsextremismus in Wien.

Das ist alles nicht immer lustig, aber es ist wirklich nicht gefährlich für mich.

Niemand bedroht mich körperlich, niemand verprügelt oder verhaftet mich, niemand foltert mich und niemand bringt mich um. Ich arbeite in Österreich und – glücklicherweise – nicht in der Türkei, in Russland, Ungarn, Polen, in der Slowakei oder in Malta. Dort braucht man als Journalist und Journalistin richtig Mut. Oder wenn man von dort berichtet, wie Arndt Ginzel und Gerald Gerber immer wieder, denen ich zu ihrer Auszeichnung sehr, sehr herzlich gratuliere!

Ich werde maximal von anonymen Trollen im Internet bedroht. Aber trotzdem ist natürlich nicht alles gut. Im Gegenteil.

WAS DIE PRESSEFREIHEIT GEFÄHRDET

Man könnte ja sagen, dass es noch nie so viel Pressefreiheit gegeben hat wie heute. Jeder Teenager mit Handy und Daten-Vertrag kann in seinem Kinderzimmer ein potentielles Massenmedium gründen mit Hunderttausenden Abonnenten auf Instagram, TikTok, Facebook oder YouTube.

Und gleichzeitig war die Pressefreiheit in Europa seit 1989 noch nie so bedroht. Nicht durch staatliche Zensur wie damals. Und auch nicht durch körperliche Gewalt gegen Journalist*innen.

Aber durch eine fundamentale ökonomische Krise, die Medien oft zwingt, genau dort zu sparen, wo es teuer ist: Bei langen, aufwändigen Recherchen. Durch eine ökonomische Krise, die möglicherweise auch ein gewisses Wohlverhalten gegenüber wichtigen Inserenten begünstigt, ob das Konzerne sind oder staatliche Stellen.

Genau diese Konzerne, mächtige Organisationen und staatliche Stellen rüsten gleichzeitig in nie gekanntem Ausmaß ihre PR-Stäbe und Presseabteilungen auf. Sie müssen nicht sparen und bauen eigene Newsrooms und Social Media-Ressorts, um ihre Sicht der Welt unter die Leute zu bringen – während professionelle Redaktionen, die diese PR und Propaganda mit ihren Recherchen kritisch hinterfragen sollen, immer kleiner werden.

Die Pressefreiheit wird auch bedroht durch Parteichefs, die sich in lauen Sommernächten auf Ibiza “eine Medienlandschaft wie bei Orban” wünschen und durch Regierungsparteien, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mittels Finanzierung aus dem Staatsbudget anstelle von Gebühren de facto verstaatlichen wollen.

DER ANGRIFF AUF DIE FAKTEN

Vor allem aber ist die Pressefreiheit neuerdings bedroht durch Dauerangriffe auf die zentrale Grundlage unseres Berufs.

In einer Demokratie ist es vielleicht die wichtigste Funktion von Medien, eine gemeinsame Faktenbasis bereitzustellen, für unseren gesellschaftlichen Diskurs. Wir brauchen eine gemeinsame Vorstellung von Wirklichkeit, wenn wir sinnvoll darüber streiten wollen, wie wir diese Wirklichkeit gestalten sollen.

Wenn jedoch diese gemeinsame Faktenbasis permanent in Frage gestellt wird, durch „Fake News“-Attacken und „Lügenpresse“-Schreier und wenn sich zentrale politische Akteure als habituelle Lügner herausstellen, dann wird es schwierig.

Wir dachten ja, dass vor 30 Jahren – u.a. durch mutige Menschen hier in Leipzig – eine Zeit zu Ende gegangen ist, in der Politbüros und Zentralkomitees festlegen konnten, was als wahr und als falsch zu gelten hat. Doch ausgerechnet der Präsident der wichtigsten Demokratie der Welt beschimpft jeden Tag Journalist*innen als „korrupt“, als „Fake News“-Produzent*innen und „Feinde des Volkes“.

Seit seinem Amtsantritt vor nichtmal drei Jahren hat er nachweislich mehr als 12.000 Mal öffentlich die Unwahrheit gesagt oder glatt gelogen – mehr als zehn Mal an jedem einzelnen Tag. Und doch sagen laut einer Umfrage 82 Prozent der Anhänger*innen der Republikanischen Partei, sie würden eher Donald Trump vertrauen als den Medien.

Ich halte dieses Ergebnis für erschütternd – und für wirklich bedrohlich.

Genau deshalb ist es aber elementar wichtig, dass – und wie – wir unsere Arbeit machen. Dass wir sie – trotz oft schwieriger Umstände – noch besser, noch exakter und noch verlässlicher machen als früher. Dass wir weniger Fehler machen und mit den Fehlern, die wir trotzdem machen, transparenter umgehen. Dass wir unserem Publikum besser erklären, wie wir arbeiten, was wir tun und warum das wichtig ist. Und dass wir auf unser Publikum hören – auch wenn das, was wir da hören, nicht immer freundlich oder angenehm ist.

Dafür braucht man Begeisterung für unseren Beruf, Beharrlichkeit, Wissen, Neugier, Offenheit und die Bereitschaft zur Selbstreflexion.

Und es hilft wohl auch, wenn man sich nicht allzu schnell fürchtet.

Vielen Dank!