Gestern wurde mein Freund und Kollege Dieter Bornemann mit dem renommierten Concordia-Preis für Pressefreiheit geehrt, für sein langjähriges Engagement als Vorsitzender des ORF-Redakteursrats. (Gemeinsam mit ihm wurden Robert Treichler, Emran Feroz und Sayed Jalal Shajjan vom PROFIL mit dem Concordia-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.)
Die Unabhängigkeit des ORF ist ja in der Verfassung verankert und die Unabhängigkeit seiner Journalist·innen im ORF-Gesetz (§ 4/6) und in einem eigenen Redakteursstatut festgeschrieben. Weil der ORF im öffentlichen Diskurs aber eine derart wichtige Rolle spielt, gibt es auch immer wieder Versuche, seine Berichterstattung zu beeinflussen. Es ist die wichtigste Aufgabe der Redakteursvertretung, diese Versuche abzuwehren und die journalistische Freiheit der ORF-Mitarbeiter·innen zu verteidigen. Dieter Bornemann tut das auf eine geradezu exemplarische Weise – er könnte kein besserer Redakteursvertreter sein.
Full disclosure: Man könnte mir hier einen gewissen Bias vorwerfen, weil Dieter und ich seit 33 Jahren sehr eng befreundet sind, aber ich fände seine Arbeit als Redakteurssprecher auch großartig, würde ich ihn persönlich gar nicht mögen. Er macht das einfach sehr gut. Aber er ist auch noch ein besonders sympathischer Mensch.
Bei der Verleihung der Concordia-Preise im Parlament am Montag Abend durfte ich eine Laudatio halten. Sie ist hier ebenso nachzulesen wie danach die – viel wichtigere und gehaltvollere – Dankesrede des Preisträgers, die man in der Eingangshalle des ORF in die Wand gravieren und allen Stiftungsräten und Medienpolitiker·innen des Landes zuschicken sollte.
LAUDATIO FÜR DIETER BORNEMANN
Man muss ja sagen, 2021 ist für Dieter Bornemann kein ganz schlechtes Jahr. Er ist „Wirtschaftsjournalist des Jahres“ geworden, sein Magazin ECO hat die höchsten Quoten, seit das hochauflösende Farbfernsehen erfunden wurde, wir mussten im letzten Lockdown nicht nochmal in ORF-Isolationshaft und jetzt auch noch der Concordia-Preis.
Und es ist erst Juni.
Wobei: Der Concordia-Preis ist ja eigentlich aus dem Vorjahr, konnte ihm aber bisher pandemiebedingt nicht verliehen werden. Das ist aber insofern egal, als er den Concordia-Preis für Pressefreiheit ohnehin in jedem der letzten neun Jahre verdient gehabt hätte. So lange ist er nämlich schon Vorsitzender des ORF-Redakteursrats. Und zwar ein ganz exzellenter.
Dass Dieter Bornemann ein hervorragender Journalist ist, kann man in jedem seiner Beiträge für die ZiB, in seinen Studio-Analysen und jede Woche in ECO besichtigen. Wirtschaftsjournalist des Jahres ist er also zurecht.
Doch heute wird er für sein Engagement als Redakteursvertreter ausgezeichnet. Und ich finde, da ist er sogar noch talentierter denn als Reporter. Der ORF hat ein grundsätzlich hervorragendes, wenn auch schon etwas überstandiges Redakteursstatut und Dieter Bornemann ist der, der – gemeinsam mit seinen Kolleg·innen im Redakteursrat, aber eben als deren Speerspitze – dafür sorgt, dass dieses Statut auch in der Praxis gelebt wird. Nach innen und nach außen.
Und da hat er wirklich genug zu tun.
Nicht nur, wenn Parteitage politischer Jugend-Organisationen im ORF gestreamt werden, ohne, dass irgendwer wüsste, weshalb. Oder wenn Leitungsfunktionen in Redaktionen offenbar mehr nach politischer Logik besetzt werden als nach journalistischer Qualifikation. Oder wenn der Vorsitzende des Stiftungsrats, ein ehemaliger Parteichef, damit droht, Korrespondent·innen zu entlassen, weil sie angeblich „unbotmäßig“ berichten würden. Oder wenn – wie vor einigen Jahren – der ORF-Chef den 25jährigen Fraktionsführer eines „Freundeskreises“ im Stiftungsrat zu seinem Büroleiter machen will und der Redakteurssprecher eine Protest-Video der ZiB-Journalist·innen organisiert, das fast 700.000 Menschen sehen und das letztlich die absurde Personal-Entscheidung verhindert.
PASST SCHON! – NICHT IM ORF
Dieter Bornemann kämpft unermüdlich und unerschrocken für die Unabhängigkeit des ORF und seiner Kolleg·innen – und er nimmt dafür auch persönliche Nachteile in Kauf. Vor drei Jahren etwa wäre er der logische Kandidat als neuer Leiter des ZEIT IM BILD-Wirtschaftsressorts gewesen. Aber er hat sich damals nicht beworben, weil für ihn diese Leitungsfunktion nicht mit dem Amt des Redakteurssprechers vereinbar gewesen wäre. Und die Vertretung der ORF-Journalist·innen war ihm letztlich wichtiger als der persönliche Karriereschritt.
Das zeigt sich auch in Kleinigkeiten. Er ist, glaube ich, der einzige ORF-Redakteur mit mehr als ein paar Wochen Dienstzeit, der den Generaldirektor siezt. Ein Detail, aber eines, das zeigt, wie wichtig es Dieter Bornemann ist, nicht korrumpierbar zu sein, auch nicht durch Nähe. Er ist tatsächlich konsequent unabhängig.
Sein Engagement, seine Beharrlichkeit und Zivilcourage als Redakteursvertreter sind auch deswegen ganz besonders, weil Dieter im Leben an sich gar kein Freund von Konflikten ist, sondern außerordentlich harmoniebedürftig, mehr noch als die allermeisten Menschen. Einer seiner Lieblingssätze, nein: sein Lieblingssatz, lautet „Passt schon!“ – was vielleicht auch erklärt, warum er seit 33 Jahren mit mir befreundet ist. Er ist sehr geduldig und tolerant – außerhalb des ORF jedenfalls.
Und er ist wahnsinnig witzig. Obwohl er niemals Alkohol trinkt. Er ist deshalb auch Mitbegründer und Co-Vorsitzender der kleinen aber feinen „Apfelsaft-Fraktion“ im ORF, hinter der übrigens Herbert Kickl etwas überaus Sinistres vermutet. Er kann sich offenbar nicht vorstellen, dass es Journalist·innen gibt, die die Welt nur nüchtern betrachten.
Doch wenn es um die Unabhängigkeit des ORF und seiner Journalist·innen geht, ist Dieter völlig humorbefreit und von Geduld keine Spur. Trotzdem bleibt er stets verbindlich, höflich und ruhig: „Fortiter in re, suaviter in modo“, wie die alten Lateiner sagen, die ihm in der Oberstufe so gut gefallen haben, dass er wegen Latein gleich zwei Mal in die Verlängerung gegangen ist.
DIE „BORNEMANN-SKALA“
Vielleicht auch, weil er ein wenig abgelenkt war – durch seine Schülerzeitung, durch sein Engagement als Schulsprecher und in einer Schülerorganisation und als freier Mitarbeiter der KLEINEN ZEITUNG, für die er schon als Gymnasiast in Eisenerz geschrieben und fotografiert hat. Dann ging es ins große Wien, kurz zum BÖRSENKURIER, daneben noch kürzer aufs Publizistik-Institut, dann für drei Jahre als jüngster Wirtschaftsredakteur zur PRESSE, ein kurzes Gastspiel als gerademal 24jähriger Ressortleiter bei NEW BUSINESS, bevor er 1992 als Wirtschaftsredakteur zum ORF-Radio kam, das ist jetzt auch schon eine Weile her.
Ein paar Jahre später folgte ein Jahr im ORF-Büro Brüssel, was aus zwei Gründen bemerkenswert war: Dieter ging nämlich als EU-Korrespondent nach Belgien, ohne einen geraden Satz Französisch zu können. Und er kam von dort zurück, ohne einen geraden Satz Französisch zu können. Dazwischen hat er ganz exzellente Radio- und Fernsehbeiträge aus Brüssel geliefert. In tadellosem Deutsch, was für einen Steirer jetzt auch nicht ganz einfach ist.
Und obwohl er begabt, engagiert, witzig und ausnehmend umgänglich ist, hat der damalige – nicht sehr umgängliche – Brüssel-Bürochef, den jungen Kollegen aus Wien nicht gemocht. Nämlich gar nicht. So sehr nicht, dass er eine „Bornemann-Skala“ erfunden hat. Und als er ein paar Jahre später über eine Kollegin lästern wollte, tat er das mit dem bösen Satz „Die ist eine Acht auf der zehnteiligen Bornemann-Skala“. Was total übertrieben war, denn die Kollegin war nicht annähernd so begabt, engagiert oder witzig. Also maximal eine Drei.
ENGAGEMENT, MUT, INTEGRITÄT
Zurück in Wien wechselt Dieter in die Radio-Innenpolitik, berichtet als erster Journalist über den bevorstehenden Rücktritt von Franz Vranitzky, übersiedelt auf den Küniglberg, als ZiB2-Reporter und ZiB3-Moderator und schließlich in die Fernseh-Wirtschaftsredaktion. Nebenbei macht er noch einen Master in Media Innovation Management. Und weil man aus dem Schulsprecher oft den Schulsprecher nicht mehr herausbekommt, engagiert er sich auch bald als Redakteurssprecher. Als Danielle Spera den ORF verlässt, wird er 2009 ihr Nachfolger als oberster Sprecher der ZiB-Redaktion. Und nach dem Rückzug von Fritz Wendl als Vorsitzender des ORF-Redakteursrats – nach ähnlich langer Amtszeit wie Queen Elisabeth – wird Dieter 2012 zum obersten Vertreter aller ORF-Journalist·innen.
Ich glaube, niemand bestreitet, dass die ORF-Redaktionen in den letzten Jahren viel an Selbstbewusstsein gewonnen haben und dass wir – trotz oft widriger Umstände – unabhängig, unbeeinflusst und unparteiisch berichten.
Das liegt wahrlich nicht am fehlenden Druck, von außen politisch aber auch von innen durch fehlende Ressourcen. Sondern es liegt vor allem auch daran, dass wir eine selbstbewusste, kompetente und couragierte Vertretung haben, die nie wichtiger ist als in ORF-Wahljahren und unmittelbar danach, wenn alle möglichen Wahl-Versprechen umgesetzt werden sollen.
Mich beruhigt da sehr, dass ich weiß, wer die ORF-Journalist·innen und ihre Unabhängigkeit vertritt. Dass da vorne mein Freund Dieter steht, auf dessen Engagement, Mut und Integrität wir uns hundertprozentig verlassen können. Und der dabei auch den Humor nicht verliert. Das passt schon! Und dafür verdient er auf der echten zehnteiligen Bornemann-Skala mindestens eine Zwölf.
Und natürlich den Concordia-Preis!
Herzlichen Glückwunsch!
DANKESREDE VON DIETER BORNEMANN
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich freue mich sehr über den Preis. Weil es eine Anerkennung ist für meine Arbeit in der Redakteursvertretung. Die kostet viel Kraft, weil man dauernd streiten muss. Und man gewinnt bei den Chefs eher keinen Beliebtheits-Wettbewerb. Mein Vorgänger Fritz Wendl hat es so formuliert: Wenn wir nicht protestieren, dann gibt es keine Instanz im ORF, die das tut. Und dann wird die Arbeit für die Journalistinnen und Journalisten noch schwieriger.
Die große Freude über den Preis wird getrübt durch den Ärger über die heimische Medienpolitik: Denn mit der Pressefreiheit in Österreich steht es nicht zum Besten. Es ist wie mit unseren Alpengletschern: Beides ist noch da, schmilzt aber rapide dahin.
Und so wie es für die Umwelt bedrohlich ist, wenn die Gletscher schwinden, ist die Demokratie gefährdet, wenn es immer weniger Qualitätsjournalismus gibt. Weil der wirtschaftliche Druck auf die meisten Medien groß ist, schmelzen die Redaktionen – ähnlich wie die Gletscher – seit Jahren zusammen. Gleichzeitig baut sich eine riesige Flutwelle auf, die über die Redaktionen hinweg schwappt: Eine Flutwelle an Propaganda und PR. Produziert von einer Rekordzahl an Pressesprechern und Social-Media-Beauftragten, die in den Ministerien, Parteien und Unternehmen sitzen und Redaktionen mit ihrem Spin überschwemmen.
WEN WILL SEBASTIAN KURZ?
Konkret zum ORF: In zwei Tagen wird die Funktion des Generaldirektors ausgeschrieben. Jetzt könnte man annehmen, schon vor Monaten hat der Stiftungsrat einen Headhunter beauftragt, der national und international nach den besten Köpfen für das Direktorium sucht. Es gibt einen öffentlich geführten Wettstreit der Ideen über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Mediums, des Journalismus in diesem Land und wie es mit dem ORF weitergehen kann. Leider nein. Es geht nicht um die besten Ideen. Es geht darum, wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben.
Der Stiftungsrat entscheidet das am 10. August nur formal. Zu glauben, die ORF-Führung wird ohne die Zustimmung des Bundeskanzlers bestellt, ist nahezu naiv. Wie hat es Finanzminister Gernot Blümel im Ibiza-U-Ausschuss gesagt: Es ist klar, dass die Bundesregierung Personalentscheidungen trifft. Manchmal werden auch solche diskutiert, für die man formal nicht zuständig ist.
Da ist wohl auch der ORF dabei. Es ist zwar jahrzehntelange Praxis, dass die Politik bestimmt, wer die wichtigsten Positionen im ORF einnimmt. Vom versprochenen „neu regieren“ haben sich viele aber etwas anderes erwartet.
Seit bald 50 Jahren steht in der Verfassung die „Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks“. Und die Unabhängigkeit der Personen und Organe.
DIE REALVERFASSUNG DES ORF
Die Realverfassung schaut bekanntlich anders aus. Das ORF-Gesetz macht die politische Kontrolle – vor allem durch die Regierungsparteien – erst möglich.
Etwa durch den Stiftungsrat. Was steht im Universallexikon Wikipedia über unser Aufsichtsgremium? „Der Stiftungsrat besteht aus 35 Mitgliedern und sichert den Einfluss der politischen Parteien im ORF“ Punkt. Von diesen 35 Mitgliedern lassen sich 32 direkt oder indirekt einer Partei zuordnen. Der ÖVP-„Freundeskreis“ hat 16 Mandate, einige weitere stehen der Partei zumindest nahe. Und so kommt die ÖVP mit 37 Prozent bei der letzten Nationalratswahl auf so gut wie 100 Prozent Einflussmöglichkeit auf die ORF-Geschäftsführung.
Die geheime Abstimmung im Stiftungsrat wurde von der Regierung Schüssel abgeschafft. Es muss offen mit Handzeichen gewählt werden, um zu kontrollieren, wer wie abgestimmt hat.
Wer DirektorIn in einem Landesstudio werden will, braucht als wichtigste Qualifikation vor allem die Zustimmung des Landeshauptmannes, der Landeshauptfrau. Im ORF-Gesetz (§ 23/3) steht nämlich das sogenannte Anhörungsrecht. Der Generaldirektor muss mit den Landeshauptleuten besprechen, wem er die Führung des Landesstudio anvertrauen möchte.
Ich kann mich an keinen Fall erinnern, an dem ein Studio gegen den Willen der regierenden Landespartei besetzt wurde. Wenn man den ORF-Chefsessel erklimmen will, sind die Stimmen der neun Stiftungsräte aus den Bundesländern ziemlich wichtig. Wer ORF-GeneraldirektorIn werden will, dem bleibt also gar nichts anderes übrig, als sich mit der Politik zu arrangieren, um die Mehrheit im Stiftungsrat zu bekommen.
FREUND ODER FEIND
Darum wird jetzt wenig über Konzepte und Ideen diskutiert, sondern vor allem über parteipolitische Zugehörigkeit und Personal-Deals. Das ORF-Gesetzes muss daher dringend reformiert werden, der Stiftungsrat auf eine breite zivil-gesellschaftliche Basis gestellt.
Selbstverständlich sollen die gewählten Vertreter der Politik über den ORF mitentscheiden – aber eben nicht ausschließlich. Der Presseclub Concordia hat Vorschläge ausgearbeitet, wie der ORF verstärkt zum „Rundfunk der Gesellschaft“ gemacht werden soll. Das Interesse der Politik daran war eher verhalten.
Apropos Veränderung: Eines hat sich in den vergangenen Jahren massiv geändert, nämlich das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus. Verhaberung hat es früher auch gegeben. Jetzt wird aber vor allem in das „Freund-Feind-Schema“ eingeteilt: Bist du nicht für uns, dann bist du unser Gegner – so das Motto bei vielen in der Politik. Bei Interviews wird man für unbotmäßige Fragen angeblafft. Wenn JournalistInnen nicht freundlich berichten, dann werden sie schnell als Feinde angesehen und einer gegnerischen Partei zugeordnet. Und vom Informationsfluss abgeschnitten.
Dass sie einfach ihren Job machen, nämlich unabhängig, distanziert und kritisch berichten – von dieser Idee haben sich viele im Politbetrieb offenbar verabschiedet.
Interessant ist der Werkzeugkasten der Spin-Doktoren. Kaum eine Redaktion kann sich der professionell durchgezogenen Message Control entziehen. Ein paar Beispiele aus der Praxis: Die Pressesprecher in den Ministerien versuchen natürlich gezielt, ihre Themen zu setzen. Nicht der Journalist ruft bei ihnen an, um zu recherchieren, sondern es geht in die andere Richtung: Den Redaktionen werden Themen und Interviewpartner angeboten. Und das durchaus mit Nachdruck. Gleichzeitig sind viele Redaktionen froh, wenn sie Inhalte – Content, wie es heute gerne genannt wird – gratis ins Haus geliefert bekommen.
MIKROFONSTÄNDER-JOURNALISMUS
Vor einiger Zeit schicken uns Pressesprecher eines Ministeriums eine lange Liste mit Themen-Vorschlägen aus ihrem Ressort. Inklusive Datum, wann der Bericht bei uns auf Sendung gehen sollte – um die Themen auch mit anderen Medien abzustimmen, hat es geheißen. Wenn man da den Kopf schüttelt und sagt, wir überlegen uns lieber unsere eigenen Themen, dann stößt das auf ziemliches Unverständnis.
Oder Pressesekretäre schicken am Vortag eines Interviews „mögliche Fragen“. Wissend, dass viele Redakteurinnen und Redakteure kaum mehr Zeit für die Vorbereitung eines Interviews haben. Solche Fragen-Kataloge gab es zuletzt in den 1960er Jahren – vor dem Rundfunk-Volksbegehren von Hugo Portisch. Auch damals haben Politiker die Journalisten als Sprachrohr im Dienste der Parteipolitik gesehen.
Statt offener Pressekonferenzen für alle Medien, gibt es jetzt häufig sogenannte Hintergrund-Gespräche, zu denen nur ausgewählte Medien sehr selektiv eingeladen werden. Oder wenn zu echten Pressekonferenzen eingeladen wird, passiert das oft sehr kurzfristig – so haben wir möglichst wenig Zeit, uns inhaltlich auf das Thema vorzubereiten.
Mit sogenannten Doorsteps, Facebook-Videos, Statements ohne Fragemöglichkeit oder Pressekonferenzen mit nur einer zugelassenen Frage – so werden Journalistinnen und Journalisten zu Mikrofonständern degradiert, weil kritisches Nachfragen oft unmöglich gemacht wird.
ENTHÜLLUNGS-JOURNALISMUS
STATT ERFÜLLUNGS-JOURNALISMUS
Das alles ist nicht verboten, die Spin-Doktoren machen ihren Job einfach professionell, weil auch genügend Steuergeld für sie da ist. Aber Medien werden so immer mehr zum Werkzeug der Politik und verlieren ihre Rolle als unabhängige Informationsquellen. Gerade der öffentlich-rechtliche Qualitätsjournalismus muss umfassend berichten – und dort hinleuchten, wo die PR-Leute lieber das Licht abdrehen wollen. Wir brauchen mehr Enthüllungs-Journalismus und nicht Erfüllungs-Journalismus.
Der ORF darf weder zum PR-Medium für die Regierung verkommen, noch zur Kampfplattform der Opposition. Wir sind nicht die Feinde der Politiker – aber auch nicht ihre Freunde. Wir machen Journalismus.
Der US-Höchstrichter Hugo Black hat vor genau 50 Jahren im Prozess um die Pentagon-Papers die Pressefreiheit so verteidigt „Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden.“
In etwa einem Jahr werden die ORF-Redaktionen von Radio, Fernsehen und Online in einem gemeinsamen Newsroom am Küniglberg arbeiten und nicht mehr getrennt in unterschiedlichen Redaktionen. Bringt das mehr Pluralismus, mehr verschiedene Zugänge zu den Themen, mehr selbstrecherchierte, spannende Geschichten? Vermutlich nicht, es soll vor allem effizienter und schneller werden. Nur: Qualitätsjournalismus ist meist nicht schnell und vor allem nicht effizient – im Gegenteil: Man weiß vorher nicht, was rauskommt, wenn man sich in ein Thema vertieft, Informanten trifft oder Akten wälzt.
Und wenn in diesem neuen Newsroom die Führungsfunktionen nicht nach Qualifikation, sondern nach politischer Farbenlehre besetzt werden, dann sehe ich im Multimedialen Newsroom keine große Zukunft für den Journalismus im ORF.
UNABHÄNGIGKEIT ALS PFLICHT
Parteipolitische Unabhängigkeit ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht – so steht es im ORF-Gesetz. Fast alle halten sich daran. Aber es gibt immer wieder einzelne, die sich Parteien andienen und so mit dem Karriere-Lift nach oben fahren. Der ORF darf nicht durch kurzfristige parteipolitische Interessen ruiniert werden. Dafür ist er zu wichtig für das Land. Und – auch wenn es pathetisch klingt – für die Demokratie in Österreich.
Daher mein Appell hat die Politik: Lassen Sie uns unsere Arbeit machen, auch wenn Sie keine Freude damit haben. Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern, nicht den Parteien!