Mit dem letzten „heute-journal“ dieses Jahres verabschiedet sich ZDF-Moderator Claus Kleber heute Abend nach fast 19 Jahren aus dem Nachrichtenstudio. Ich habe ihn vor gut sieben Jahren kennengelernt, als vor der Europawahl 2014 Moderator·innen aus anderen EU-Staaten ins „journal“-Studio nach Mainz eingeladen wurden, um über den Wahlkampf in ihren Ländern zu berichten. (Von damals stammt auch das Foto im ZDF-Newsstudio). Zu seinem Abschied als Moderator hat mich der Berliner TAGESSPIEGEL nun eingeladen, etwas über Claus Kleber zu schreiben.
Die 3000 gehen sich ganz knapp nicht mehr aus. Wenn Claus Kleber heute um 21 Uhr 45 neben Gundula Gause „Guten Abend!“ sagt, wird es zum 2977. Mal sein, dass er das „heute-journal“ so beginnt. Und das letzte Mal. Nach knapp zwei Jahrzehnten verabschiedet sich der ZDF-Anchorman aus der berühmten „Grünen Hölle“, dem Nachrichtenstudio am Mainzer Lerchenberg.
Der Beruf des „Anchorman“ wurde, wie fast alles im Fernsehen, in den USA erfunden – für Walter Cronkite, den ersten und bis heute legendärsten aller Anchors. Dabei saß Cronkite damals noch gar nicht im Studio der „CBS Evening News“, sondern wurde als Berichterstatter im Präsidentschafts-Wahlkampf 1952 berühmt.
Im noch blutjungen Medium Fernsehen wurden die Parteitage der Demokraten und Republikaner in Chicago viele Stunden lang übertragen. Der 35-jährige Cronkite war damals Politik-Chef des Senders und der Mann, der im CBS-Studio die Berichte, Reportagen und Gespräche der Reporter (kein Grund zu gendern) zusammenhielt, von einem zum nächsten überleitete und im Zentrum der enorm langen Sendungen stand: „Der Ankermann der CBS-Crew“, wie die „Chicago Tribune“ seine Rolle beschrieb.
Einige Jahre später wurde Cronkite Hauptmoderator der Abendnachrichten – und bis heute der Anchorman schlechthin. Er hat die „Evening News“ dann fast auf den Tag genau so lange moderiert wie Claus Kleber das „heute-journal“: 18 Jahre und nicht ganz elf Monate.
Die Sache mit dem „Ersten Moderator“ des ZDF ist ja die: Wenn Sie heute, viele Jahrzehnte nach Cronkite, ganz klischeehaft einen „Anchorman“ aufmalen müssten, quasi den Prototypen eines Nachrichtenmoderators – weltgewandt, weitgereist, gebildet, eloquent, souverän, sympathisch, stets seriös, aber auch mit lausbubenhaftem Schalk, dazu noch charmant und gutaussehend: Es käme Claus Kleber heraus. Ein Anchor „straight out of central casting“, wie man in den USA sagen würde, wo Kleber zu jenem Journalisten wurde, der er heute ist.
DER AMERIKANER
Hanns-Joachim Friedrichs, der silberhaarige einstige BBC-Redakteur, der das Bild des Anchors in Deutschland geprägt hat wie niemand sonst, obwohl er die „Tagesthemen“ nur sechs Jahre lang präsentierte, war ein britischer Sir im News-Studio. Der langjährige Paris-Korrespondent und bekennende Bonvivant Ulrich Wickert war der Franzose. Claus Kleber ist der Amerikaner.
Zwölf Jahre lang war Kleber in Washington stationiert, die wichtigste Phase und „die beste Zeit“ in seinem Berufsleben. Erst als Junior-Korrespondent im ARD-Hörfunkstudio, als der Präsident noch Ronald Reagan hieß, später als Fernsehreporter, schließlich als Studioleiter bis kurz nach 9/11. Er hat es geliebt. „Korrespondent sein ist die höchste Ausgestaltung des journalistischen Daseins, wenn nicht des Menschseins“, sagt Kleber gerne, und er meint das nicht so scherzhaft, wie es klingt.
Damals lernte er auch die großen US-Anchors kennen, von denen ihn zwei besonders beeindruckt haben: Die Eleganz von Peter Jennings, des weltläufigen Präsentators der ABC-Hauptnachrichten, und die kluge Beharrlichkeit des legendären „Nightline“-Interviewers Ted Koppel. Damals kam ihm auch die Idee, irgendwann nach seiner Korrespondententätigkeit, die ihn 2002 von Washington nach London führte, selbst zu moderieren.
SENDERWECHSEL
Praktischerweise meldete sich damals das ZDF, das im „heute-journal“ einen Nachfolger für Wolf von Lojewski suchte. Doch naheliegender waren natürlich die „Tagesthemen“ der ARD als Klebers Arbeitgeber seit dem Studium. Solange dort noch der überaus populäre Uli Wickert moderieren wolle, würde er gerne von London aus Reportagen aus aller Welt gestalten, schlug Kleber vor. Das klang nach einem sinnvollen Plan, auch für viele der sehr vielen Chefs in der sehr föderalen ARD. Allerdings nicht für alle. „Moskau gehört dem WDR“ beschied Fritz Pleitgen, der einflussreiche WDR-Intendant. Dass der Londoner Kollege, vom NDR entsandt, auch aus Russland berichten könnte, das käme leider nicht in Frage. Die „roving correspondent“-Idee war gestorben. Beim ZDF lachen sie noch heute.
Und so ging Claus Kleber den umgekehrten Weg von Hanns-Joachim Friedrichs, der einst vom Zweiten zur ARD wechselte, um dort die „Tagesthemen“ zu übernehmen. Kleber, der seit seinem Jura-Studium für die ARD berichtet hatte, übersiedelte zum Mainzer Lerchenberg, als Redaktionsleiter und als Moderator des „heute-journal“. 2003, am 3. Februar, sagte er dort erstmals „Guten Abend!“.
JETZT GENDERT ER
2004 Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik, 2005 Deutscher Fernsehpreis, 2008 Politik-Journalist des Jahres, 2009 Grimme-Preis, 2010 Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, 2013 Goldene Kamera. (Auch den „Krawattenmann des Jahres“ 2010 wollen wir nicht verschweigen.) Kleber ist als TV-Journalist quasi „ausdekoriert“, wie man im Titel-verliebten Österreich jemanden nennt, dem alle verfügbaren Auszeichnungen bereits verliehen wurden.
Nur die „Saure Gurke“ der „Medienfrauen“ für ein Interview mit Maria Furtwängler über die Darstellung von Frauen im Fernsehen verweigerte der Moderator, obwohl es eines jener Gespräche ist, die er gerne nochmal führen würde, „genauso kritisch, aber weniger schnippisch“. Seit einiger Zeit gendert er in seiner Sendung.
Binnen weniger Jahre war Kleber jedenfalls zum angesehensten Fernsehmann des Landes geworden. Den Kopf leicht schräg, den Blick etwas verknautscht, stand er von Anfang an mit einer Selbstverständlichkeit im Nachrichtenstudio, als wäre der Anchor-Job eigens für ihn erfunden worden.
„The most trusted man in America“, wurde Walter Cronkite einst genannt. Claus Kleber wurde sehr rasch zum Mann, dem besonders viele Deutsche vertrauen. Seine höchsten Zustimmungswerte beim Publikum erreicht er laut ZDF-Medienforschung bei den Eigenschaften seriös, kompetent, souverän, glaubwürdig, hakt nach, hat eigenen Stil und sympathisch.
Das dürfte auch die Gesellschafter beim Nachrichtenmagazin „Spiegel“ beeindruckt haben, die dem Fernsehmann ohne nennenswerte Print-Erfahrung 2007 die Nachfolge des geschassten Chefredakteurs Stefan Aust offerierten. „Ich war zwei Zentimeter weg von der Unterschrift. Der Vertrag war fertig“, erzählte Kleber erst vor wenigen Tagen der dpa. Letztlich habe es ihm das ZDF aber „praktisch unmöglich gemacht“ zu gehen.
IN DER SCHULE RECHTS, ZUHAUSE LINKS
Es gab mehr personelle und finanzielle Ressourcen für das „heute-journal“, Doku-Plätze, Mitspracherechte und das höchste Gehalt, das ein deutscher TV-Journalist bis dahin bezogen hatte. Was Kleber nun im Jahr verdiente, bekommen in den USA vergleichbare Star-Anchors monatlich, weil die neue Gage aber trotzdem nicht mehr ins öffentlich-rechtliche Lohnschema passte, musste er seinen Angestellten-Vertrag kündigen und damit auch die Redaktionsleitung abgeben. Das prominenteste Gesicht des ZDF ist seither formal freier Mitarbeiter des Senders.
Der Sohn eines Ingenieurs und einer Sekretärin, der „in der Schule als Rechter und zu Hause als Linker“ galt, wollte ursprünglich Pilot bei der Lufthansa werden. Doch dann entdeckte der 16-jährige „kleine Klugscheißer“, wie er sich in der „Zeit“ [Paywall] mal selbst beschrieb, den Journalismus als Traumberuf: „Den Mächtigen die Stirn bieten, hinter die Kulissen schauen, die Wahrheit ans Licht zerren und auf Kosten des Arbeitgebers die Welt bereisen, Geschichten sammeln und erzählen, am liebsten aus Amerika und am schönsten im Fernsehen“, so schildert er den Traum in seiner Streitschrift „Rettet die Wahrheit“ von 2017.
UNSTILLBAR NEUGIERIG
Alles davon hat er verwirklicht. Als Korrespondent, als Moderator, vor allem aber auch in seinen großen Dokumentarfilmen (meist gemeinsam mit Regisseurin Angela Andersen) über Hunger und Durst, Kernwaffen, Menschenrechte, Klimawandel oder die digitale Revolution, die alle ein Millionen-Publikum erreichten und vielfach ausgezeichnet wurden. Solche Dokumentationen will er auch weiterhin drehen, nachdem er sich aus dem Nachrichtenstudio verabschiedet hat.
Und das ist vielleicht die beste Eigenschaft eines 66-jährigen, der im Journalismus praktisch alles erreicht hat, was da zu erreichen ist: Auch nach beinahe vier Jahrzehnten in diesem schnellen, oft zehrenden Beruf ist Kleber noch immer unstillbar neugierig. Er will ständig etwas lernen, verstehen und dann weitererzählen, so interessant und verständlich und lehrreich, wie es nur geht.
Die amerikanische Anchor-Legende Walter Cronkite hat ein Kollege nach vielen Jahren gemeinsamer Arbeit einmal so charakterisiert: „Ein anderer hätte immer wieder mal gesagt: ,Scheiß drauf!‘. Aber nicht er. Jeden Tag ließ er sich schminken, stieg in die High Heels und in das verdammte Korsett und zog in den Krieg.“
Claus Kleber ist kein kriegerischer Typ. Aber auch er ist einer, der seine 2977. Sendung genauso ernst nimmt wie die erste. Heute lässt er sich noch ein letztes Mal schminken. „Guten Abend!“
NACHTRAG:
Zu Klebers Abschied sind zwei sehr lesenswerte lange Interviews mit ihm erschienen: Eines im SPIEGEL – und für die ZEIT hat Cordt Schnibben mit ihm gesprochen, der vor über zwanzig Jahren auch das legendäre letzte Interview mit dem damals todkranken Hanns-Joachim Friedrichs geführt hat.
Und in der SÜDDEUTSCHEN kann man ein brillant geschriebenes Claus-Kleber-Porträt von Kurt Kister lesen. (Die drei aktuellen Texte stehen leider hinter Paywalls, das Friedrichs-Interview nicht.)
Das Zitat über Walter Cronkite am Ende meines Textes habe ich dem fabelhaften Buch THE EVENING STARS. The Making of the Network News Anchor (S. 133) von Barbara Matusow entnommen, das 1983 in den USA erschienen ist. Alle wörtlichen Zitate von Claus Kleber, die keine Quellenangabe haben, stammen aus persönlichen Gesprächen.