Vor einigen Tagen wurde ich – gemeinsam mit „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk – als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet. Gemeinsam, weil Klenk von der Jury der Fachzeitschrift „Österreichs Journalist:in“ für das Jahr 2021 ausgewählt wurde und ich für 2020. Wegen der Pandemie fand die Preisverleihung erst jetzt für beide Jahre statt.
Die Laudatio hat eine Kollegin gehalten, die wir beide außerordentlich schätzen: Die brillante Österreich- und Mittelosteuropa-Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“ Cathrin Kahlweit. Sie hat mir erlaubt, ihre freundlichen Worte hier zu veröffentlichen.
Lieber Armin, lieber Florian, liebe Anwesende,
kaum macht Covid mal eine kurze Pause, machen wir, was wir geschworen hatten, nie wieder zu tun. Mittelstreckenflüge antreten, große Parties feiern, durch den Alltag hekten, im Büro die Zeit mit sinnfreien Konferenzen verschwenden. Aber wir nutzen die Zeit zum Glück auch für Dinge, die zu kurz gekommen sind beziehungsweise aufgeschoben wurden. Dazu gehört, Florian Klenk und Armin Wolf dafür zu ehren, dass sie die Journalisten des Jahres 2020 und 2021 sind.
Ich hatte eine Weile überlegt, ob es zulässig ist, beide Männer in einer Laudatio zu würdigen. Beide habe ja schließlich jeweils eine eigene, epische Schilderung der Gründe verdient, warum sie zu den besten Journalisten gehören, die dieses Land hat.
Warum das Publikum sie liebt. Und warum die Politiker dieses Landes sie nicht immer lieben. Was sich bisweilen bedingt.
Aber ich habe nur zehn Minuten für beide. Und alle, die hier sind, zumal die beiden Herren selbst, wissen längst, dass sie zu den Besten gehören. Sie sind, wie Armin Wolf neulich so nett zu Paul Lendvai bei der Verleihung des Concordia-Preises für dessen Lebenswerk sagte, auch weitgehend „ausdekoriert“.
Armin Wolf ist Journalist des Jahres 2004, 2018, 2020. Und Europäischer Journalist des Jahres 2019 obendrein. Florian Klenk ist Journalist des Jahres 2005, 2016, 2021, mehrmals investigativer Journalist des Jahres obendrein. Was soll man da noch sagen? Euch beiden muss so eine Veranstaltung vorkommen wie die 27. Aufführung nach einer umjubelten Premiere.
Und: Wer sie sind, was sie können, warum sie verehrt und bewundert werden, ist auch schon hundert Mal erzählt. Ihre Viten kann man nachsehen. Zum Beispiel in André Hellers entzückender Würdigung von Armin Wolf in den „Menschenkindern“. Oder überall nachlesen.
Und so habe ich mich gefragt, was die beiden – in meinen Augen – jenseits der Tatsache, dass sie ihren Job klasse machen, eint und ausmacht.
Es ist die Tatsache, dass sie diesem Land noch mehr anbieten, mehr bieten als viele andere großartige Kollegen. Klenk und Wolf sind ungeheuer fleißig, originell und vielseitig, sind Aufdecker und Frager, Moralisten und Spezialisten. Es gibt von beiden Bücher und Vorlesungen. Beide machen seit einiger Zeit sogar Kabarett. Der eine rettet außerdem noch Bauernhöfe. Und der andere rettet regelmäßig das von der Politik aus purem Eigennutz beschädigte Image des ORF. Wegen dieser Bandbreite werden sie weit über ihre Anhängerschaft hinaus gehört und gebraucht.
Sie sind, darauf will ich hinaus, „public intellectuals“ im besten Sinne des Wortes. Streitbar und bisweilen übers Ziel hinausschießend der eine. Staatsmännischer, zurückgenommener der andere. Aber jeder auf seine Weise lebenswichtig – hier, wo die Macht des Volkes, die Demokratie aus Gewohnheit und Devotheit immer noch viel zu sehr ausgelagert ist an eine politische Klasse, die genau das für ihr ureigenstes Recht hält.
Wo die politische Auseinandersetzung immer noch viel zu sehr in politischen Akademien, Parteizentralen und bei den Sozialpartnern stattfindet. Und nicht in Bürgerforen, Community Centern, Think Tanks, Universitäten, auf Marktplätzen. Tiefenschärfe, rhetorische Brillanz und ein moralischer Kompass zeichnen das politische Personal in diesem Land leider auch (!) nicht durchgängig aus. Da ist man froh, wenn man seinen Blick anderswo hinwenden kann.
Der public intellectual ist eine Gattung, die zuerst in den USA beschrieben wurde. Und die USA sind auch ein gutes Beispiel für all das, worum es geht: um Demokratie und Teilhabe. Politische Bildung steht dort nicht hoch im Kurs, Bildung generell ist regionalisiert, privatisiert und christianisiert. Das Sendungsbewusstsein vieler Protagonisten ist dort stärker ausgebildet als ihre Demut vor demokratischen Prozessen.
In einer defekten Demokratie wie den USA ist auch die Kultur des Hinterfragens, der Redlichkeit, der Toleranz auf dem Rückzug. Dabei galten ihre Elite-Unis, ihre Studenten, ihre Start Ups, ihre NGO’s Jahrzehnte als Motor und auch Vorbild für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, für die Antikriegsbewegung, für Kultur, Wagnisse und Wokes. Aber ihre Selbstheilungskräfte sind durch eine Selbstbezogenheit außer Kraft gesetzt, die eines Tages in einen faktischen Bürgerkrieg führen könnte. Der Sturm auf das Capitol, die Polizeigewalt gegen Schwarze, der zunehmend fundamentalistisch agierende Supreme Court – sie alle sind Vorboten einer drohenden Katastrophe.
Umso wichtiger sind Aufklärer im Kantschen Sinne, die Anschauung und Denken zu intellektueller Redlichkeit verbinden. Solche Intellektuellen findet man zum Glück und noch bei herausragend guten US-Medien. Sie finden Gehör, wenn sie ein von „public influencern“ wie Donald Trump, Tucker Carlson, Richard Spencer oder Alex Jones gebastelte Weltbild erst kritisch prüfen und zerlegen. Und es dann faktenbasiert und mit einem Schuss Idealismus wieder zusammenbauen. Um es der destruktiven Kackophonie der Narzissten entgegenzustellen.
Es läge mir fern, die ideologische Verwahrlosung in den USA mit den politischen Auseinandersetzung in diesem Land zu vergleichen. Hier wird das politische Personal vor allem nach Kriterien wie Loyalität und Regionalität ausgesucht – auch wenn die Rolle von Geld, das politischen Einfluss kauft, nach noch nicht ausreichend untersucht ist.
Aber auch hier gilt, dass die zunehmend komplizierte Weltenlage erklärt werden muss. In den vergangenen Jahren ist in Österreich vieles aufgebrochen, was unter Sprachlosigkeit, Bequemlichkeit, „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“ begraben war. Das ist gut so.
Und es ist wahrscheinlich ganz normal, dass eine Gesellschaft eine Weile braucht, um die Einblicke in eine Realität zu verdauen, die nicht mehr so hübsch anzusehen und so gemütlich ist wie die scheinbar friedliche, den Status Quo zementierende Konsensdemokratie der letzten Jahrzehnte. Ich nenne das „Österreichs politische 68er“.
Da werden plötzlich viele Brüche sichtbar, Unrecht wird sichtbar. Und Wut entsteht auf die, die das Unrecht sichtbar machen. Umso mehr braucht es auch hier redliche public intellectuals, die die Brüche ausleuchten, den Prozess kritisch und konstruktiv begleiten.
Und ja, das dürfen, das müssen sogar manchmal Journalisten sein. Weil sie nämlich, wenn sie ihren Job ernst nehmen, zum sauberen Denken, zum Faktenchecken, zum Beide-Seiten-Hören erzogen sind und weil sie ihre Meinung nicht automatisch mit der richtigen Meinung verwechseln. Die könnte nämlich schon am nächste Tag auf dem Sender oder im Blatt von einem anderen, klugen Kollegen vertreten werden.
Klenk äußert sich in diesem Sinne öffentlich häufiger, polemischer, bissiger, meinungsstärker als Wolf und geht damit einigen Menschen ziemlich oft ziemlich ziemlich stark auf den Geist. Aber er kann auch ungeheuer sensibel und selbstkritisch sein, wenn er sich selbst bei zu viel Furor erwischt.
Wolf ist vorsichtiger, zurückhaltender, rationaler – weil er eben so ist, wie er ist. Aber auch, weil ihn schon die Begrenzungen der Tätigkeit beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einer gewissen Vorsicht zwingen.
Ich bin mit beiden sehr gut bekannt, vielleicht sogar in gewisser Weise befreundet, so gut, dass ich einem von beiden schon mal sagen kann, jetzt halt mal die Papp’n, während ich das bei dem anderen nie wagen würde. Und Sie können sich jetzt überlegen, auf wen was zutrifft. Aber ich höre nie auf, von ihnen zu lernen.
Klenk und Wolf sind ganz vor dran. Sie sind nicht nur umfassend gebildet und neugierig – sowie aufgeschlossen für Neues. Sie bilden in ihren öffentlichen Stellungnahmen, jenseits von Medien und medienpolitischen Themen, immer wieder ab, worüber das Land, die Gesellschaft spricht. Oder sprechen sollten. Sie regen an, regen auf. Sie geben Denkhilfen.
Wolf hat seine Master-Arbeit über „Die Inszenierung von Politik in der Mediengesellschaft“ und seine Dissertation über „Image-Politik“ geschrieben. Nun kämpft er unter anderem für eine Entpolitisierung des ORF. Damit ist er, was die Nutznießer, die Parteien selbst angeht, skandalöserweise auf verlorenem Posten.
Klenk, studierter Jurist, der über „Pressefreiheit und Unschuldsvermutung“ promoviert hat, kämpfte zuletzt vor allem für die Entpolitisierung der Justiz. Mit ihren ureigenen Themen kennen sie sich aus. Sie greifen aber auch Themen auf, die manchmal noch gar nicht in Österreich angekommen sind oder über Österreich weit hinausweisen. Den russischen Überfall auf die Ukraine, Propaganda, Korruption, Chancengleichheit, Corona, Abtreibung in den USA, die katholische Kirche, Ökologie. Das ist nicht alles immer populär, aber immer hilfreich für einen Diskurs, der ansonsten gern schnell selbstreferenziell oder provinziell daherkommt.
Die Bedeutung als public intellectual, der einem Land den Spiegel vorhält und manchmal auch vorausdenkt, äußert sich nicht nur im Inhalt und in der Frequenz, sondern auch in der Form der Kommunikation. Klenk hat auf Twitter 330.000 Follower, Wolf mehr als eine halbe Million. Das ist für dieses kleine Land verdammt viel. Armin Thurnher hat Wolf mal den „Austro-Titan der Social Media“ genannt, ich nenne Klenk jetzt mal den Vize-Titan.
Man muss social media nicht mögen. Zumal, wenn es stimmt, dass das Internet nicht nur die Öffentlichkeit revolutioniert, sondern den öffentlichen Hass salonfähig gemacht hat. Dann müsste nämlich der Intellektuelle, wie wir ihn kennen, in den Filterblasen von Facebook, Twitter und Google längst verschwunden sein. Aber das ist nicht so. Vielleicht noch nie waren Intellektuelle so einflussreich wie heute. Das liegt unter anderem daran, dass die Wirkungsmacht der Leitmedien zunimmt; sie erreichen heute mehr Menschen denn je.
Umso mehr, wenn alle Kanäle genutzt werden. Denn das lineare Fernsehen allein, in dem etwa Wolf groß geworden ist, kann jene Formate kaum bieten, in denen politische Debatten stattfinden; die Runde der Chefredakteur:innen oder Im Zentrum sind kein Ersatz für einen repräsentativen Diskurs. Klenk hat seine klassische Leser:innenschaft in einer Wochenzeitschrift. Auch ein schöner Anachronismus, der zum Glück täglich vom „Falter“ unterlaufen wird.
Aber beide geben sich eben nicht zufrieden, nie zufrieden. Sie nutzen die ganze Bandbreite ihrer Möglichkeiten, nutzen alle Kanäle, sie gehen, obwohl alte, weiße Männer, mit der Zeit, sie nutzen ihre Prominenz verantwortungsbewusst und im besten Sinne aufklärerisch. Deshalb werden sie heute auch dafür ausgezeichnet, dass sie viel mehr sind als politische Journalisten. Sondern auch Österreich-Forscher und Welterklärer. Und damit politische, oder eher noch öffentliche Institutionen.
Weshalb ich vorschlage, den Kategorien dieses Medienpreises eine weitere hinzufügen, welche Armin Wolf und Florian Klenk dann einfach automatisch jedes Jahr kriegen: Die Ehrung als „unverzichtbar“.