Morgen, am 18. Juli, ist es exakt 20 Jahre her, dass ich meine erste ZiB2 moderiert habe. 2.317 Sendungen waren es seither, hat mein Kollege Martin Thür in einer seiner zahllosen Excel-Tabellen entdeckt. Das Foto oben stammt aus meiner ersten.
Dort saß ich eigentlich nur als Urlaubsvertretung – für die damalige Hauptmoderatorin Ingrid Thurnher. Ich durfte im Sommer 2002 probeweise ein paar Sendungen moderieren. Anfang September fiel dann die Entscheidung: Gerald Groß, der im Jahr zuvor dem viel zu früh verstorbenen Robert Hochner nachgefolgt war, und ich würden künftig neben Ingrid, dem Star der Sendung, je drei Mal im Monat die ZiB2 präsentieren. Doch das hielt nur wenige Wochen. Dann überraschte ZiB1-Anchor Josef Broukal Freund und Feind mit seinem Wechsel in die Politik, als Nationalrats-Kandidat der SPÖ und das quasi über Nacht.
Die ZiB1 brauchte dringend einen neuen Moderator, der Job ging an Gerald Groß (heute Medientrainer), ich erbte seine drei ZiB2-Auftritte im Monat und präsentierte die Sendung die nächsten fünf Jahre immer dann, wenn nicht Ingrid im Studio saß. 2007 wechselte sie ebenfalls zur ZiB1 und ich wurde Hauptmoderator. Seither stehe bzw. sitze ich in der Regel drei Mal pro Woche im Studio, außer in Urlaubszeiten immer Montag bis Mittwoch.
ZUFALL ODER UNFALL?
Dass ich vor 20 Jahren überhaupt zu meiner Urlaubsvertretung kam, war ein schräger Zufall. Oder ein ärgerlicher Unfall, wenn es nach Andreas Khol und Peter Westenthaler ginge, den beiden Klubchefs der ersten schwarz-blauen Koalition. Diese ziemlich absurde Geschichte habe ich letzte Woche in einem großen Interview in der ZEIT erzählt, das Puls4-Kollegin Corinna Milborn mit mir geführt hat. Die Fotos dazu hat übrigens der fabelhafte Peter Rigaud gemacht – und er hat mir erlaubt, ein paar davon hier zu zeigen:
In den letzten 20 Jahren habe ich mehr als 3.000 Studiogäste befragt (leider hat Martin in keiner Excel-Tabelle die exakte Zahl) und einige davon sind mir gut in Erinnerung. Oft werde ich ja gefragt, wer denn am schwierigsten zu interviewen ist. Und da gab es schon einige Kandidat·innen: ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel etwa, weil kaum ein anderer heimischer Politiker derart schnell im Kopf ist und ähnlich redegewandt. Schüssel konnte hochpräzise haarscharf an einer Frage vorbei antworten, aber eben so knapp vorbei, dass es den allermeisten Zuseher·innen nicht auffiel.
SCH(L)ÜSSEL-MOMENT
Mit Schüssel passierte mir auch einer meiner peinlichsten Momente. Vor einem Interview mit dem Kanzler zum umstrittenen Abfangjäger-Kauf hatte ich herausgefunden, dass die überraschend bestellten Eurofighter doppelt so teuer waren wie die schwedischen. Das war damals nicht allgemein bekannt und ich war ziemlich stolz auf meine Recherche. Mein ganzer Interviewplan steuerte also auf die zentrale Frage zu: „Österreich hat ja sehr wenig Geld für sein Heer. Nun zeigt sich, dass die Gripen um hundert Prozent billiger waren als die Eurofighter. Warum haben Sie trotzdem das teure Flugzeug gekauft.“
In diesem Moment sehe ich, wie es in Schüssels Augen vor Freude blitzt und er – leicht maliziös – die Mundwinkel verzieht, um dann völlig trocken zu antworten: „Lieber Herr Wolf, wenn die Gripen um hundert Prozent billiger wären, wären sie gratis und wir hätten sie selbstverständlich genommen.“
Ein Blattschuss.
Ich versuchte, das Desaster noch irgendwie abzufedern (und meine Recherche retten) und schob – etwas verzweifelt – hinterher: „Herr Bundeskanzler, Sie wissen natürlich, dass ich mich versprochen habe, die Eurofighter waren um hundert Prozent teurer als die Gripen, haben also doppelt so viel gekostet …“, aber das Interview war gelaufen und vorbei, auch wenn wir noch ein paar Minuten weiterredeten. Das ist gut 15 Jahre her und der depperte Lapsus ärgert mich noch heute.
KURZ-GESCHICHTEN
Einigermaßen mühsame Interviewpartner waren auch Karlheinz Grasser und Sebastian Kurz, jedenfalls am Höhepunkt ihrer Popularität. Beide sind hocheloquent und vor allem Kurz hat ein großes Talent, seine Antworten in – eher längere – Geschichten zu verpacken. Die transportierten genau jene Botschaft, die Kurz im Interview wichtig war, völlig ungeachtet der Fragen – aber sie waren meist so gut erzählt, dass man ihn nicht unterbrechen konnte, ohne einen wesentlichen Teil des Publikums zu verärgern, der wissen wollte, wie die Geschichte denn weitergeht.
Noch diffiziler waren zu Beginn meiner Moderationszeit aber andere Gäste: Damals war ich mit Mitte dreißig ja relativ jung für einen (männlichen) Nachrichtenmoderator und die meisten Studiogäste waren (deutlich) älter, etwa die steirische ÖVP-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (die „Frau Landeshauptmann“ genannt werden wollte) oder BZÖ-Sozialministerin Ursula Haubner: Sehr freundliche Damen, die sehr nett und höflich und vor allem sehr ausführlich praktisch gar nichts sagten. Sie zu unterbrechen war für einen gut 20 Jahre jüngeren Mann aber de facto unmöglich, nach jedem Versuch empörten sich zahllose Zuseher·innen, was denn da für ein ungezogener Rotzbub moderiere. (Mehr zum Thema Unterbrechen in Interviews hier.)
IM KREML ZU GAST
Ursula Haubners Bruder Jörg Haider hingegen habe ich recht häufig und durchaus gern interviewt. Ähnlich wie sein Nachfolger HC Strache hat er mit Inhalt und Stil beim Publikum extrem polarisiert. Das macht es eher einfach, ein hartes kritisches Interview zu führen, in dem man einen dauerredenden Gast ohne weiteres unterbrechen kann. Seine Fans finden das natürlich unmöglich, aber der Großteil des Publikums hat damit kein Problem, eher im Gegenteil. Heikel wird es, wenn man Gästen ins Wort fällt, die das Publikum mag (ganz besonders, wenn die Gäste das wissen und auch deshalb besonders lange reden. Stichwort: Kurz).
Der mit Abstand schwierigste Interviewpartner war allerdings gar nicht im ZiB2-Studio, sondern ich war bei ihm – im Großen Präsidentenpalast des Kreml im Juni 2018. Wladimir Putin ist de facto uninterviewbar. Hier gibts das gesamte Gespräch online:
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Was hat sich verändert in den 20 Jahren: Das ZiB2-Studio ist noch immer dasselbe (vor einigen Jahren hatten wir einen Design-Relaunch, seither stehen wir zu Beginn und arbeiten mehr mit Grafiken an den Videowänden) – allerdings nur noch für wenige Monate. Dann nehmen wir im neuen multimedialen Newsroom des ORF auch das Sendestudio in Betrieb.
Das Sendungskonzept ist dasselbe: Erstaunlicherweise hat sich das Format in zwei Jahrzehnten kaum verändert (orf.at hat die Redaktion mal einen Tag lang begleitet). Im Zentrum der ZiB2 stehen ein oder zwei, manchmal sogar drei möglichst tagesaktuelle und relevante Studiogäste, meist prominente Politiker·innen oder Expert·innen. Dazu mindestens drei (weil wir drei Headlines brauchen) und maximal fünf Beiträge zwischen zwei und vier Minuten, ein Block mit Kurzmeldungen und der Wetterbericht. Sollzeit: 25 Minuten, real werden wir praktisch immer ein paar Minuten länger. (Sorry, liebe Sendeleitung!)
Gleich geblieben ist in all den Jahren auch, dass ich nie mit einer Sendung zufrieden bin und mir die besten Fragen am Heimweg einfallen. Jedes Interview (bis auf ein einziges) würde ich bei einem zweiten Versuch anders machen, manche nur zu fünf Prozent, andere zu 75.
KLEIN ABER SEHR FEIN
Völlig verändert hat sich hingegen das Team. Von den Kolleginnen und Kollegen, die im Sommer 2002 für die ZiB2 gearbeitet haben, ist heute niemand mehr da, weder Sendungschef Wolfgang Wagner (die Redaktion leitet seit vier Jahren Christoph Varga), noch Ingrid Thurnher oder Gerald Gross (heute moderiere ich alternierend mit Margit Laufer und Martin Thür), noch die ZiB2-Reporter·innen: Das sind derzeit Peter Babutzky, Patrick Gruska, Harald Jungreuthmayr, Ulla Kramar-Schmid, Stefanie Leodolter und Regina Pöll. Selbst unser Langzeit-CvD Johann Ullmann kam ein bisschen nach mir in die Redaktion. Es ist ein sehr kleines, aber ganz wunderbares Team: Journalistisch, fachlich und vor allem auch menschlich.
Und was mich ganz besonders freut: Unsere Arbeit kommt bei denen, für die wir sie machen, besonders gut an. 2021 hatte die ZiB2 die höchsten Quoten ihrer mehr als 40-jährigen Geschichte und sehr viel mehr Publikum als vor 20 Jahren. Jeden Abend schauen uns im Durchschnitt rund 800.000 Menschen zu, im Laufe einer Woche erreichen wir so gut zwei Millionen verschiedene Zuseher·innen. (Woher wir das so genau wissen, habe ich mal hier erklärt.) Und die ZiB2 wird so häufig zitiert wie keine andere Fernsehsendung, was für ein Nachrichtenmagazin nicht ganz unwichtig ist.
AUF DEM TISCH
Was sich in den vielen Jahren auch nicht verändert hat: Wenn mir im Lauf des Tages irgendeine hübsche kleine Geschichte auffällt, erzähle ich sie noch schnell vor dem Wetter. Quasi als erholsamen Ausklang nach einer halben Stunde hard news. Mitunter helfen dabei auch der ORF-Kostümfundus und die Ausstattung aus (Danke, Claudia Gonaus, für die großartige Unterstützung!).
Einmal habe ich das Wetter nicht am, sondern auf dem ZiB2-Tisch anmoderiert. Das ist jetzt mehr als zwölf Jahre her, aber auf nichts in mehr als 70.000 Minuten ZiB2 werde ich so häufig angesprochen wie auf diese wenigen Sekunden.
Und nach dem Wetter werde ich mich – wie in meiner ersten Sendung vor 20 Jahren – auch in meiner ZiB2-Ausgabe Nr. 2.318 von allen verabschieden, die auf 3sat zugeschaut haben.
Danke für Ihr Interesse und noch einen schönen Abend!