Hatte endlich Zeit „Die vierte Gewalt“ von Precht und Welzer zu lesen – und wollte ein paar Tweets dazu schreiben. Es sind insgesamt 14 geworden, das schien mir für einen Thread dann doch zu lang. Ich will ja niemanden nerven, den das Thema nicht so interessiert. Also habe ich meine Tweets hier zusammenkopiert:
In dem Buch finden sich etliche bedenkenswerte Beobachtungen und Diagnosen und es ist sehr gut und flüssig geschrieben.
Aber: Die Kernthese von den sich „selbstangleichenden“ Leitmedien ist schlicht unsinnig und die Argumentation voller Widersprüche. (1)
Wirklich niemand kann ernsthaft meinen, dass FAZ, SZ, taz, BILD, ZEIT, WELT o. NZZ eine Art „Einheitsmeinung“ (gegen einen Großteil ihres Publikums) vertreten würden, weil ihre Journalist·innen sich gegenseitig gefallen wollen. (2)
Der angebliche „neue publizistische Imperativ: Schreibe stets so, dass deine Meinung die Meinung der anderen Journalisten sein könnte“ ist empirischer Unfug – wie alle wissen, die mehrere Medien nützen. (3)
Ein anderer zentraler Vorwurf ist eine „Repräsentationslücke“ zw. den Meinungen von Medien und Bevölkerung. Gleichzeitig würden sich die Medien aber zu sehr an die Bevölkerung „ranschmeißen“, um max. Reichweiten zu produzieren. (4)
Dass sich Meinungen aus der Bevölkerung nicht in den Medien wiederfänden, wäre der Grund für das sinkende Medienvertrauen. Gleichzeitig wird beklagt, dass „auf einmal jeder Trottel alles beurteilen können soll“. (5)
Journalist·innen würden „aktivistisch“ die Politik „vor sich hertreiben“, Politik „machen“ und „mitregieren wollen“. Gleichzeitig wird kritisiert, die Medien wären allesamt viel zu unkritisch und regierungsfreundlich. (6)
Immer wieder wird kritisiert, dass Journalist·innen heute ständig nur Meinung produzieren würden, gleichzeitig fehlen den Autoren schmerzlich einstige (deutsche) Großkommentatoren wie Löwenthal oder Bednarz. (7)
Durch eine fatale „Selbstangleichung“ seien alle Medien derselben Meinung. Gleichzeitig würden sie aber ständig polarisieren, real kaum existierende Differenzen hochspielen und die „gespaltene Gesellschaft“ erst produzieren. (8)
„Untrennbar verbunden“ sei das alles mit dem politmedialen Klüngel der Berliner Republik ab dem Umzug in die neue Hauptstadt in den 1990ern. Belegt wird diese Hypothese mit einem Beispiel von 1980. (9)
Die Autoren fordern „Anstand und Respekt“ ein und werfen Journalist·innen vor, statt sachlich nur mehr personalisierend, moralisierend und abwertend zu kritisieren – tun aber genau das quer durch das gesamte Buch. (10)
Beispiel: Ihr Buch war vom Verlag als Analyse einer „selbstgleichgeschalteten“ Medienlandschaft angekündigt. Die Kritik an dem Begriff beantworten die Autoren mit dem sachlich-respektvollen Satz: „Doof sein galt früher nicht als Tugend“. (11)
Journalist·innen wären „unkontrolliert“ und „unbelangbar“ – was seit dem Ende der Zensur nie weniger gestimmt hat als heute. Noch nie wurden etablierte Medien durch neue Akteur·innen und Medien mehr und schärfer kritisiert. (12)
Klug beschrieben sind die ökonomische Transformation der Medienbranche und div. sozialpsychologische Phänomene. Die Forderung nach konstruktivem Journalismus ist berechtigt. Ärgerlich und tw. albern ist die polemische und oft belegfreie Pauschalisierung. (13)
In Summe: Viel Noam Chomsky (Manufacturing Consent, wenn auch wenig ausgewiesen), Thomas Meyer (Mediokratie) und Uwe Krüger (Meinungsmacht), wenig empirische Evidenz, sehr viele Widersprüche, (personalisierte) Polemik und Projektion. (14)