Harald Fidler, der Leiter des Medienressorts im STANDARD, gilt seit vielen Jahren als kompetentester und bestinformierter Medienjournalist des Landes. Alle paar Jahre erklärt Fidler die, sagen wir mal, ungewöhnliche heimische Medienlandschaft auch in einem Buch.
Das jüngste Werk ist vor wenigen Tagen erschienen. Es bietet auf 232 Seiten einen umfassenden Überblick, zahllose Daten und Fakten, Hintergründe und pointierte Erzählungen zu den wichtigsten Akteur·innen. Zu einigen zentralen Grundbegriffen hat Fidler bekannte Journalist·innen um kurze Erklärtexte gebeten, wie in einer Art Lexikon. Die Frage an mich lautete: „Was ist Journalismus?“. Meine Antwort wird regelmäßige Leser·innen dieses Blogs nicht überraschen.
WAS IST JOURNALISMUS?
Aus Fidler, Harald: So funktioniert Österreichs Medienwelt. Mechanismen, Machtspiele und die Zukunft der Medien, Wien 2023: S. 47f.
Pressefreiheit ist längst nicht mehr „die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, wie der deutsche Journalist Paul Sethe einst spottete. Pressefreiheit ist heute die Freiheit von Milliarden Menschen mit Internetzugang, ihre Meinung ins Netz zu stellen – und damit potentiell ein Millionenpublikum zu erreichen. Jede·r kann heute ein Massenmedium gründen. Doch nicht alles, was dort veröffentlicht wird, ist Journalismus.
Journalismus ist ein Handwerk mit Regeln und Routinen. Und eine öffentliche Dienstleistung.
Journalist·innen versorgen die Gesellschaft mit der Faktenbasis, die sie als Grundlage für einen sinnvollen Diskurs über ihre gemeinsamen Angelegenheiten benötigt. Im Zeitalter „alternativer Fakten“ ist diese Basis nicht mehr selbstverständlich. Die „Deregulierung des Wahrheitsmarkts“ (Michael Seemann) durch die allumfassende Digitalisierung hat den öffentlichen Raum mit einer unüberschaubaren Masse an Propaganda, Fake News, Verschwörungsfantasien und belanglosem Entertainment geflutet.
Die ergebnisoffene Recherche, Überpüfung, Auswahl, Gewichtung, Aufbereitung und Veröffentlichung gesellschaftlich relevanter Fakten – Journalismus als „bestmögliche Version der Wahrheit” (Carl Bernstein) – wird in dieser Situation immer elementarer.
„Journalismus ist Unterscheidung”, hat der legendäre ORF-Chef Gerd Bacher gesagt: „Zwischen wichtig und unwichtig, zwischen wahr und unwahr, zwischen Sinn und Unsinn“.
Dieser Satz ist drei Jahrzehnte alt. Nie war er aktueller.