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On the record – Off the record

Dieser Tage sorgt ein „Hintergrundgespräch“ von Bundeskanzler Kurz für ziemliche Aufregung, in dem dieser – für seine Verhältnisse untypisch emotional und heftig – die Wiener Korruptions-Staatsanwaltschaft angegriffen hat. Warum man das weiß? Weil der FALTER diese Woche über diese Kritik berichtet hat.

Das ist sehr ungewöhnlich, weil „Hintergrundgespräche“ an sich dafür da sind, damit nicht darüber berichtet wird, wer dort was gesagt hat. Der FALTER hat in diesem Fall keine „Spielregeln“ gebrochen (mehr dazu später) – doch seither wird auch grundsätzlich über solche Hintergrund– oder off the record-Gespräche diskutiert.

Was ist das genau, wozu gibt es sie überhaupt und ist das nicht eine fragwürdige Kungelei zwischen Politik und Medien?

Tatsächlich ist es völlig normal, dass sich Journalist*innen mit Menschen treffen, die ihnen – auch vertraulich – Informationen weitergeben. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Berufs. Wir tippen nicht nur Pressekonferenzen, Parlamentssitzungen oder öffentliche Dokumente ab, sondern reden auch mit Informant*innen. Diese wollen aber häufig anonym bleiben, weil sie Nachteile befürchten, wenn bekannt wird, dass sie Medien etwas aus ihrer Partei, ihrer Firma oder ihrer Behörde erzählt haben.

(DEEP) BACKGROUND

Das Ungewöhnliche ist, wie das in Österreich gehandhabt wird – v.a. im Vergleich zu anderen Ländern. Es gibt nämlich so gut wie keine Regeln, was Hintergrund in Österreich genau bedeutet.

In der US-Medienbranche ist das völlig klar und alle Journalismus-Studierenden lernen das schon in den ersten Wochen. Es gibt mehrere Stufen von Vertraulichkeit im Gespräch:

  • On the record: Alles, was die Gesprächspartner*innen sagen, darf mit Namen und Inhalt zitiert werden.
  • On background: Der Inhalt darf zitiert werden, aber die Informant*innen werden „anonymisiert“: als „ein Mitglied des Parteivorstands“, „aus Regierungskreisen“, „aus der Umgebung der Ministerin“ o.ä. Welche Zuschreibung da verwendet wird, vereinbart man gemeinsam.
  • On deep background: Der Inhalt darf zitiert aber niemandem zugeschrieben werden. Das heißt, das Medium kann die Info inhaltlich verwerten, aber nicht schreiben, woher sie kommt.
  • Off the record: Der Gesprächsinhalt darf überhaupt nicht berichtet werden, er dient ausschließlich dem besseren Verständnis der Journalist*innen.

Festgeschrieben ist diese Konvention in den USA in Journalismus-Lehrbüchern und in internen Regelwerken von Redaktionen (z.B. bei der Nachrichtenagentur AP).

UNTER 1, 2 ODER 3

In Deutschland hingegen gibt es eine quasi „offizielle“ Regelung – und zwar im § 16 der Satzung der Bundespressekonferenz, einer sehr einflussreichen und traditionsreichen Vereinigung politischer Journalist*innen. Sie galt ursprünglich nur für Pressekonferenzen, wird aber mittlerweile für jeden Kontakt unter Medien-Profis angewandt. Ein Gespräch findet entweder unter 1, unter 2 oder unter 3 statt. Definiert ist der Unterschied laut Satzung so:

  • unter 1: zu beliebiger Verwendung
  • unter 2: zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftsgebenden
  • unter 3: vertraulich.

Unter 1 entspricht also dem amerikanischen on the record, unter 3 ist off the record und unter 2 fasst quasi on background und on deep background zusammen. Da ist es eine Frage der Abmachung zwischen Informant*in und Journalist*in, mit welcher Zuschreibung die Info verwendet werden darf.

Wichtig ist: Unter welchen Bedingungen ein Gespräch stattfindet, wird zu Beginn festgelegt. Oft reden Informant*innen gerne möglichst anonym – also unter 3 –, häufig versuchen Journalist*innen aber auch, interessante Inhalte oder Zitate am Ende des Gesprächs zumindest auf unter 2 oder im Idealfall unter 1 „hochzuverhandeln“.

Für das Publikum ist eine Information natürlich umso besser einzuschätzen, je klarer ihre Quelle ist. Mitunter versuchen Politiker*innen auch, potentiell problematische Aussagen im Nachhinein für off the record zu erklären. Werden keine Bedingungen festgelegt, „so gilt das Material als beliebig verwendbar“, heißt es in den Statuten der Bundespressekonferenz.

SCHLAMPERTES ÖSTERREICH

In Österreich ist das alles – wen wundert’s? – etwas schlampiger. Die klaren deutschen Regeln kennen bei uns meist nur Kolleg*innen, die schon in Deutschland gearbeitet haben, den meisten heimischen Politiker*innen sind sie unbekannt.

Wenn hierzulande vertrauliche Gespräche geführt werden, wird das ziemlich wahllos „im Hintergrund“, „nur Background“ oder „im Off“ genannt. Womit nur klar ist, dass die Gesprächspartner nicht namentlich genannt werden dürfen. Wie genau man die Quelle bezeichnen darf, wird oft erst am Ende des Gesprächs ausgehandelt. Aber echte unter 3- oder off the record-Gespräche, deren Inhalt man gar nicht verwerten darf, sind in Österreich sehr selten.

Beim jetzt diskutierten Kanzler-Abendessen, das alle paar Monate für die „leitenden Redakteurinnen und Redakteure“ großer Medien stattfindet, wurden die Teilnehmer*innen übrigens schriftlich zum „Hintergrundgespräch und Abendessen“ eingeladen und in dem E-Mail hieß es: „Das Gespräch versteht sich als reines OFF-Gespräch, ohne O-Töne sowie Foto- und Filmaufnahmen.“ 


Faksimile Einladung Kurz-Gepräch


Unstrittig ist: Das zuvor vereinbarte Vertraulichkeits-Niveau, darf von den beteiligten Medien nicht gebrochen werden. Natürlich ist das vor keinem Gericht einklagbar, es handelt sich um eine Branchen-Konvention. Aber wenn Inhalte aus einem Hintergrundgespräch namentlich zitiert werden, werden die Informant*innen das normalerweise bestreiten (und hoffen, dass es keine Tonband-Aufnahme davon gibt). Und sie werden mit Journalist*innen, welche die Vertraulichkeit verletzt haben, wohl keine „vertraulichen“ Gespräche mehr führen. (In Deutschland kann eine Missachtung der Regeln außerdem zum Ausschluss aus der Bundespressekonferenz führen.)

FRAGWÜRDIGE KUNGELEI?

Sind solche Hintergrundgespräche nun eine unzulässige oder zumindest fragwürdige „Verhaberung“ von Medien und Politik?

Das können sie natürlich sein, vor allem, wenn sich Medienleute stets nur auf Informant*innen einer Seite oder mit einer bestimmten Agenda verlassen.  Und natürlich verwenden politische Akteur*innen vertrauliche Gespräche auch, um „Testballons“ in die öffentliche Debatte zu starten, um Informationen in die Welt zu setzen, für die sie nicht verantwortlich gemacht werden wollen, oder gar, um Konkurrent*innen zu diskreditieren.

Andererseits würden sehr viele, sehr relevante Geschichten nie berichtet, dürften sich Medien ausschließlich auf on the record-Quellen stützen. Selbst offizielle Dokumente werden sehr häufig nur durch anonyme Informant*innen bekannt.

Aber auch rein „atmosphärische“ Hintergrundgespräche mit Politiker*innen können für Medien sehr hilfreich sein. Off the record erzählen Akteur*innen sehr viel offener, was sie denken und wie sie Sachverhalte und Vorgänge einschätzen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man tagesaktuelle politische Prozesse ohne solche Hintergrund-Informationen gründlich verstehen kann. Sehr oft sind sie auch Ausgangspunkt für weitere Recherchen.

Offenlegung: Auch ich treffe immer wieder Spitzenpolitiker*innen zu vertraulichen Gesprächen. Das hilft mir zum Beispiel, die internen Verhältnisse in den einzelnen Parteien besser einzuschätzen. Meine Gesprächspartner*innen sind da sehr unterschiedlich offen – aber ich habe in vielen dieser Unterhaltungen schon Dinge gelernt, die für meine Arbeit, auch für meine Interviews, extrem nützlich waren. Und ich halte mich natürlich an die vereinbarte Vertraulichkeit.

WEM NÜTZT ES?

Professionellen Journalist*innen ist bewusst, dass sie in solchen Gesprächen auch instrumentalisiert werden können. Bei jeder Info muss man sich fragen, aus welchem Interesse man sie bekommt – und ob sie auch stimmt. Und natürlich dürfen solche Gespräche nicht dazu führen, dass man seine Informant*innen in der Berichterstattung anders behandelt als andere.

Zurück zum Hintergrundgespräch des Bundeskanzlers, das die aktuelle Diskussion ausgelöst hat. Auf Twitter meinen manche, die Journalist*innen, die bei dem Abendessen waren, hätten über die – sehr ungewöhnliche – Kritik des Regierungschefs an der Korruptions-Staatsanwaltschaft berichten müssen. Ich sehe das anders. Wer am Hintergrundgespräch teilnimmt, akzeptiert die Regeln. (Es kann natürlich Ausnahmen geben. Um ein sehr extremes Beispiel zu nehmen: Würde ein Politiker im Hintergrund-Gespräch einen Staatsstreich ankündigen, wäre es natürlich absurd, nicht darüber zu berichten.)

WURDEN REGELN GEBROCHEN?

Allerdings war der FALTER bei dem Kanzler-Gespräch nicht anwesend (eine Redakteurin war eingeladen, ging aber nicht hin). Er konnte deshalb auch keine Regel verletzen. Dem FALTER haben mehrere Teilnehmer*innen über den Inhalt des Hintergrundgesprächs berichtet. Diese Informant*innen haben die vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen – aber nicht der FALTER.

Medien werden – glücklicherweise – ständig von Menschen informiert, die das eigentlich nicht dürften. Sehr viele Missstände kämen sonst nie ans Licht. Genau deshalb wurde ja das Redaktionsgeheimnis erfunden, also jene Bestimmung im Mediengesetz, die regelt, dass Journalist*innen ihre Quellen nicht bekanntgeben müssen.

In der ZiB2 haben wir am Mittwoch über die aktuelle Debatte berichtet. Warum nicht früher – es waren schließlich auch mehrere ORF-Journalist*innen bei dem Hintergrundgespräch des Kanzlers (ich gehöre nicht dazu) und kannten seine Äußerungen? Eben weil die ORF-Leute an die vereinbarte Vertraulichkeitsregel gebunden waren. Aber mit dem FALTER-Artikel und den politischen Reaktionen darauf wurde die Justiz-Schelte des Kanzlers ein legitimes – und zweifellos relevantes – Thema der Berichterstattung.


Nachtrag vom 7.2.20: Noch ein interessanter STANDARD-Beitrag zum Thema: „Aus dem Hintergrund in die Offensive“.