Nichts wurde ich in den letzten Wochen öfter gefragt als: „Wie bist du zu einem Interview mit Putin gekommen?“. Ich hätte gerne irgendeine tolle Geschichte erzählt, aber in Wahrheit habe ich gar nichts dazu getan.
Das lief nämlich so: Vor etwa zwei Monaten hat Carola Schneider, die Leiterin des ORF-Büros in Moskau, um ein Gespräch mit dem Präsidenten angefragt. Das hat sie schon öfter gemacht, jedesmal vergeblich. Der Kreml lehnt fast alle Interview-Wünsche ab. Doch diesmal war es anders. Da Putin einen Besuch in Österreich plane und zwar als erste Auslandsreise seiner neuen Amtszeit, bestehe vielleicht eine Chance, hieß es aus dem Kreml-Pressebüro. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen:
Nicht Carola würde das Interview führen, sondern aus Wien müsste ein „Hauptabend-Moderator“ anreisen. Das Gespräch würde 30 bis 40 Minuten dauern und mindestens 15 Minuten davon müssten auch im Hauptabend gesendet werden. Die deutsche Übersetzung sei mit der Kreml-Pressestelle abzustimmen. Und der Kreml werde eine ungekürzte Version des Interviews (als Video und als Abschrift) auf seiner Website veröffentlichen.
Das ist die Standard-Prozedur für internationale Putin-Interviews – und ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, auch wenn es natürlich sinnvoller gewesen wäre, unsere kundige Moskau-Korrespondentin, die perfekt Russisch spricht, zu Herrn Putin zu schicken.
Aber so kam ich ins Spiel – und habe versucht, mich in den letzten Tagen so gut wie möglich vorzubereiten, unter anderem mit einigen ausführlichen Putin-Interviews der letzten Jahre. Und sehr schnell wurde mir beim Ansehen klar: Der russische Präsident würde ein sehr anspruchsvoller Gesprächspartner werden.
Grundsätzlich kennt Putin fünf Antwort-Strategien:
- Er repliziert meist sehr ausführlich. Knappe Antworten sind selten, fast immer wird es grundsätzlich.
- Er liebt Gegenfragen – für einen Interviewer immer unangenehm.
- Er ist ein Meister des sog. Whataboutism – also des Ablenkens auf ein anderes Thema oder zumindest einen anderen Aspekt des Themas.
- Wenn er etwas dementieren will, dementiert er, egal wie viele Belege es für einen Vorhalt gibt.
- Und wenn er unterbrochen wird, kritisiert er das sofort – als unhöflich, ungeduldig oder voreingenommen. Um dann seine ursprüngliche Antwort fortzusetzen.
Ein paar Tage vorab wollte der Kreml die geplanten Gesprächs-Themen erfahren – und ich habe sechs sehr allgemeine Stichworte nach Moskau gemailt: Beziehungen zu Österreich | Einmischung in Wahlkämpfe | Neuer Kalter Krieg | Ukraine-Krim | Syrien | Demokratie in Russland. Das war ausreichend. Konkrete Fragen wollten die Presseleute nicht wissen – darauf wäre ich allerdings auch nicht eingegangen. Kein Thema war von vornherein ausgeschlossen.
Als Termin wurde schließlich Freitag, 1. Juni fixiert – noch ohne Tageszeit. Donnerstag früh sind wir zu dritt nach Moskau geflogen: Kameramann Robert Reinprecht als Verstärkung für die beiden Moskauer Kollegen, Producer Daniel Hack für die technische Koordination und ich. Als wir landeten, stand unser konkreter Gesprächstermin fest: Freitag, 18 Uhr im Kreml, 30 Minuten mit dem Präsidenten. Die Kameraleute müssten um halbdrei für den Aufbau da sein, der Interviewer um vier. Freitag, kurz nach Mittag, ein neuer Anruf: Es wird später, 20 Uhr, aber die Kameraleute waren schon unterwegs in den Kreml. Und ich wusste von Carola Schneider, dass Putin niemals pünktlich ist. Auch die neue Zeit werde wohl nicht halten.
Freitag Abend wuseln im „Wintergarten“ des (tatsächlich sehr) Großen Präsidentenpalastes bis zu 40 Menschen herum: Kameraleute, Tontechniker, Producer, Helfer, Dolmetscher, Maskenbildnerin, Kreml-Presseleute und einige eher humorfreie Herren mit Spiralkabeln im Ohr. Neben den drei ORF-Kameramännern hat auch das russische Staatsfernsehen aufgebaut: sechs weitere Kameras, großes Licht, Equipment wie für eine Samstagabend-Show.
Der Präsident kommt gegen dreiviertelzehn. Wladimir Putin ist kein großer Small Talker, die Begrüßung auf Deutsch sehr freundlich, aber knapp. Seine Stimme ist ziemlich hell, vor allem aber überraschend leise. Aus seiner Zeit in der DDR spricht Putin fließend Deutsch – trotzdem war von vornherein klar, dass das Interview auf Russisch geführt werden muss, von zwei exzellenten Kreml-Dolmetschern via Kopfhörer simultan übersetzt.
Im Gespräch ist der Präsident wie erwartet: Hochkonzentriert, aber ausführlich, er wehrt sich gegen jede Unterbrechung, fragt zurück, wird manchmal spöttisch, wechselt öfter das Thema, geht tief in Details und weist jeden Vorwurf zurück. Gelegentlich wirft er ein paar deutsche Worte ein. Aber wir sprechen deutlich länger als erwartet: Statt der angekündigten 30 Minuten werden es 52, bis sein Sprecher immer ungeduldiger signalisieren lässt, dass die Zeit nun aber wirklich vorbei ist.
In dieser knappen Stunde habe ich nach dem Partnerschaftsvertrag mit der FPÖ gefragt und nach der berühmten „Trollfabrik“ in St. Petersburg; ich wollte wissen, ob in Nordkorea ein Atomkrieg droht, unter welchen Bedingungen Russland die Krim wieder aufgeben würde, warum Putin den Namen des Oppositionellen Alexej Nawalny noch nie öffentlich ausgesprochen hat und warum es so viele Fotos des Präsidenten mit nacktem Oberkörper gibt (ich habe das Thema „Demokratie in Russland“ großzügig interpretiert).
Zu sehen ist das Interview in einer etwas gekürzten Version am Montag (4. 6.) ab 20h15 in ORF2 in einem ZiB-Spezial von ca. 45 Minuten vor der „Millionenshow“. Das ungeschnittene Gespräch gibt es dann online – und eine ausführliche Analyse in der ZiB2.