Rau-e Zeiten

Am 11. Dezember feiert der große österreichische Journalist Hans Rauscher seinen 80. Geburtstag. “Als Kommentator ist in diesem Land niemand wichtiger”, sagt – völlig zu Recht – sein ehemaliger Kollege und Chefredakteur Peter Rabl in einem Porträt, das ich für den STANDARD über “rau” schreiben durfte, mehr als vierzig Jahre nach unserem ersten persönlichen Treffen. Gestern ist es erschienen:

PDF meines STANDARD-Artikels über Hans RauscherDER STANDARD, 7.12.2024, S. 8

Der Text wurde im berüchtigt ruppigen STANDARD-Forum netterweise sehr freundlich aufgenommen, manche Poster·innen störten sich allerdings an der Schluss-Anekdote aus der Moskauer Hotelbar. Nein, natürlich sind nicht “alle hübschen Russinnen Prostituierte” — was für eine absurde Idee. Aber in der Bar des einzigen Moskauer Ausländerhotels der 1980er-Jahre, in das man ja nicht einfach von der Straße hineinspazieren konnte, waren junge Frauen tatsächlich häufig Prostituierte, die vom Geheimdienst auf internationale Delegationen, Wirtschaftsleute oder Journalisten angesetzt wurden, um diese später mit dem “Kompromat” zu erpressen. Hans Rauschers Rat war also schlicht professionell.

Zu Rauschers lesenswertem – teils auch autobiografischen – neuen Buch “Worüber sich zu schreiben lohnt”, hatte Ö1 kürzlich einen Beitrag, den man hier hören kann. Von dort stammt auch das Titelbild oben.

Warum das 20. Jahrhundert erst 2024 zu Ende ging

Eigentlich wieder kein Lesezeichen, sondern etwas zum Anhören — aber auch diesmal war die geopolitische Jahresbilanz, die der brillante Politologe Ivan Krastev Anfang Dezember im Wiener Presseclub Concordia im Gespräch mit Mirjana Tomic gezogen hat, ein intellektuelles Highlight, das ich sehr empfehlen kann.

Krastev mit Interviewerin im Presseclub Concordia


In einer guten Stunde können Sie hier hören (Podcast) oder hier sehen (YT-Video), warum Krastev nicht an das “kurze 20. Jahrhundert” von Eric Hobsbawm von 1914 bis 1989 glaubt, sondern an ein langes 20. Jahrhundert von 1914 bis 1924. Warum vielleicht nicht der Fall der Berliner Mauer das zentrale Ereignis des Jahres 1989 war, sondern das Niederwalzen der Studentenproteste am Pekinger Tiananmen-Platz oder der sowjetische Abzug aus Afghanistan. Und warum mit Donald Trump der amerikanische Exzeptionalismus endet — und das China ermuntern könnte, Taiwan anzugreifen.

Generation Social Media

Die heute 20jährigen sind die erste Generation, die so mit Social Media aufgewachsen ist wie die 50jährigen mit dem Fernsehen und die 35jährigen mit dem Internet. Aber was macht die Dauernutzung von sozialen Medien mit den Jugendlichen? Der amerikanische Sozialpsychologe Johnathan Haidt ist davon überzeugt, dass die Auswirkungen verheerend sind – von Angstzuständen über Depressionen bis zum Suizid. Haidt fordert deshalb: Keine Smartphones in Schulen und keine sozialen Medien für Jugendliche unter 16.

Australien ist jetzt das erste Land, das ein gesetzliches Social Media-Verbot für Unter-16-Jährige einführt. Aber was weiß man tatsächlich über die Konsequenzen von sozialen Medien für Jugendliche? Diesen Text darüber hat Online-Expertin Ingrid Brodnig in ihrem – immer lesenswerten – Newsletter empfohlen:

Screenshot mit Link zum New Yorker-ArtikelTHE NEW YORKER, 30.9.2024

Die besten Texte 2024

Seit einigen Jahren bin ich Mitglied der Jury für den Reporter·innen-Preis, einer der renommiertesten Auszeichnungen für Print- und Online-Journalismus im deutschsprachigen Raum. Ich darf dort jeden Herbst gemeinsam mit fabelhaften Kolleg·innen den jeweils besten Text in den Kategorien „Investigation“ und „Wissenschaft“ auswählen. Heute Abend werden die Auszeichnungen in Berlin verliehen.

Aber alle Texte in allen Kategorien, die eine Vorjury ausgewählt hat, gibts auf der Seite des Reporterforums auch online – und sie sind fast alle fantastisch. Es ist eine Art Best of des deutschsprachigen Text-Journalismus 2024 und man kann sich einfach stundenlang querdurch lesen. Viel Vergnügen!

Titelbild Website Reporterpreis 2024

Nachtrag vom 3.12.2024: Und hier gibts die “Sieger-Texte”, die mit den Reporter·innen-Preisen 2024 ausgezeichnet wurden.

#eXit: Twitter ist leider kaputt

Im Februar 2009 hat meine Beziehung mit Twitter begonnen – knapp 16 Jahre und 126.725 Tweets später hört sie jetzt wieder auf.

Es war sehr lange schön mit dir Twitter, aber in den letzten Jahren, seit du dich nur mehr X nennst und täglich immer weiter radikalisierst, war es gar nicht mehr schön, sondern vor allem giftig, voller Lügen, aggressiv und deprimierend.

Ich hatte Twitter in den USA entdeckt, im Obama-Wahlkampf 2008, und mich kurz darauf registriert. In Österreich gab es damals ca. 4.000 Accounts, vor allem PR-Leute und IT-Nerds. Wegen meines Jobs im Fernsehen war ich hierzulande der erste halbwegs prominente Name auf der Plattform und hatte binnen weniger Wochen den größten Account im Land. Viele Jahre lang wurde ich Twitter-Neulingen automatisch als „Who to follow“ vorgeschlagen und mein Account wuchs gemeinsam mit der österreichischen Twitter-Gemeinde auf zuletzt knapp 640.000 Abonnent·innen.

Vom ersten Tag an fand ich Twitter fabelhaft. Nirgendwo sonst konnte man sich so einfach mit Spitzen-Expert·innen und Thinktanks der unterschiedlichsten Bereiche vernetzen, unkomplizert den besten Medien weltweit folgen, Fachartikel lesen, für die man früher stundenlang in Uni-Bibliotheken saß, und immer wieder staunen und lachen. Twitter war eine geniale — und unfassbar schnelle — Nachrichtenagentur und gleichzeitig ein unerschöpfliches Archiv.

DISKURS, DEBATTE, DISPUT

Genauso interessant fand ich die Plattform aber auch als Diskurs-Medium. Im Fernsehen senden wir, Rückmeldungen gab es früher maximal via E-Mail oder — immer seltener —im Kundendienst-Telefonprotokoll. Auf Twitter kam das Feedback noch während der Sendung, regelmäßig wurde ich auf Fehler oder Versprecher aufmerksam gemacht und konnte sie noch on air korrigieren. Nach 22h30 antwortete ich auf Kommentare zur Sendung und immer wieder fragte ich Follower um Rat. Ein gesamtes ZiB2-Interview mit einem neuen Fussball-Teamchef bestritt ich Sport-Ignorant ausschließlich mit Frage-Ideen meiner Twitter-Community.

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Wer wird Österreich regieren?

Voraussichtlich am 1. Oktober wird Karl Nehammer über den Ballhausplatz in die Hofburg gehen und dem Bundespräsidenten den Rücktritt der Regierung anbieten.* Das ist nirgendwo vorgeschrieben — wir wählen nächsten Sonntag ja einen neuen Nationalrat und nicht die Regierung —, aber seit Jahrzehnten nach einer Nationalratswahl Tradition.

Van der Bellen wird das Rücktrittsangebot annehmen und Nehammer gleichzeitig mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betrauen, bis eine neue Regierung unter einem neuen Bundeskanzler steht. Und dieser Kanzler wird mit ziemlicher Sicherheit wieder Karl Nehammer heißen — trotz der Wahlniederlage, die seine Partei nächsten Sonntag erleben wird.

Warum ist das so?

In allen seriösen Umfragen führt die FPÖ seit vielen Monaten vor der ÖVP, die gegenüber der Wahl 2019 mindestens zehn Prozentpunkte verlieren wird — objektiv ein Debakel. Zuletzt wurde der Rückstand zur FPÖ jedoch kleiner, es ist nicht mehr undenkbar, dass die ÖVP letztlich doch noch knapp vorne liegt. Falls das passieren sollte, wird Karl Nehammer jedenfalls wieder Kanzler. Er ist dann in seiner Partei ein unanfechtbarer Held und hat mehrere Koalitionsoptionen, während es keine plausible Koalition gegen die Volkspartei gibt, solange die SPÖ die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen verweigert (und das wird sich realistisch in den nächsten Wochen nicht ändern).

WENN DIE FPÖ ERSTE WIRD?

Falls aber doch die Freiheitlichen Erster werden, wovon noch immer die meisten Demoskop·innen ausgehen, ist Herbert Kickl der strahlende Held seiner Partei. Er wäre der erste FPÖ-Chef, der die Freiheitlichen bei einer Nationalratswahl auf Platz 1 geführt hätte (selbst Haider gelang 1999 nur Platz 2, weit hinter der SPÖ). Aber Kickl wird für eine Regierung unter seiner Führung keine parlamentarische Mehrheit finden. SPÖ, Neos und Grüne verweigern eine Koalition mit den Freiheitlichen grundsätzlich und Nehammers ÖVP hat sich so kategorisch darauf festgelegt, den „gefährlichen“ und „rechtsextremen“ Herbert Kickl nicht zum Kanzler zu machen, dass sie von dieser Position realistisch nicht mehr wegkommt.

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Betrug im Netz

Seit Jahren kursieren im Netz regelmäßig neue Fake-Videos von mir und anderen bekannten ORF-Menschen, in denen wir angeblich für irgendwelche großartigen Geldanlage-Möglichkeiten werben, für Krypto-Währungen, Abnehmmittel, sonstige Medikamente oder was auch immer. Das jüngste Betrugs-Video, das ich kenne, zeigt ein Studiogespräch von mir mit dem Bundespräsidenten, über das eine (sehr schlecht) gefälschte Tonspur gelegt wurde und in dem wir vermeintlich eine superlukrative Geldanlage anpreisen.

Selbstverständlich sind ALLE diese Werbevideos FAKES.

Das Social-Media-Team der ZiB hat für unseren neuen YouTube-Kanal (den ich sehr empfehlen kann) jetzt einen eigenen Beitrag zu diesem Thema produziert, feat. Armin Assinger, Christa Kummer & mich:

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ZiB-Journalist·innen machen keine Produktwerbung. Wir dürfen das gar nicht, es ist uns gesetzlich verboten. Wann immer Sie also online einen Werbespot mit mir sehen, in dem nicht eine ORF-Sendung promotet wird, ist es ein Fake.

Trotzdem schreiben mir häufig Menschen, warum ich mich für derartige Werbung hergeben würde. Antwort: Mach ich nicht, aber ich kann mich leider nicht dagegen wehren, außer dass ich immer wieder davor warne. Die Betrüger, die diese Spots produzieren, machen das anonym und sind – jedenfalls mit vertretbarem Aufwand – nicht zu finden. Ich kann bei der Polizei eine Anzeige gegen Unbekannt einbringen, aber es bringt leider nichts, außer, dass es mich Lebenszeit kostet. Mehr dazu in diesem Interview:

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Meistens sieht man diese Fake-Werbespots auf Social Media-Plattformen wie Facebook oder Insta, aber auch auf an sich seriösen Websites, etwa von bekannten Medien. Die verkaufen diese Anzeigen allerdings nicht direkt an die Betrüger (sonst könnte man was dagegen unternehmen), sondern die Online-Werbeplätze werden meist vollautomatisch versteigert. D.h. die Medien kriegen gar nicht mit, wer auf ihren Websites Werbung schaltet. (Und jede Userin bekommt eine andere Werbung angezeigt – je nach ihrem Online-Verhalten.)

Wichtig ist jedenfalls: Wenn Sie so eine Fake-Werbung sehen, überweisen Sie niemals an irgendwen Geld und geben Sie keine persönlichen Daten her! Das Geld ist weg und ihre Daten werden missbraucht. Armin Assinger, Christa Kummer & ich können aber nix dafür. Ehrenwort!

Armin Wolf ist Journalist und TV-Moderator. Sein Blog befasst sich v.a. mit Medien und Politik.

Armin Wolf