Vor wenigen Tagen ist der Sammelband „Praktischer Journalismus“ erschienen, den ich gemeinsam mit Ingrid Brodnig, Florian Klenk und Gabi Waldner herausgegeben habe, und in dem 60 Medienprofis jeden denkbaren Aspekt unseres Berufes erklären. In meinem Kapitel habe ich über das geschrieben, was ich seit 22 Jahren im ZiB2-Studio hauptsächlich mache: Kontroversielle – also kritische – Interviews.
„Praktischer Journalismus“ soll ja tatsächlich ein möglichst praktisches Buch sein – für junge Journalist·innen, aber auch für alle, die sich dafür interessieren, wie Medien im Alltag gemacht werden. Deshalb war unsere Bitte an alle Autor·innen, möglichst praxisnah zu beschreiben, was man zu ihrem Thema jedenfalls wissen muss (hier das Inhaltsverzeichnis).
Genau das habe ich auch in meinem Kapitel versucht: Wie führt man ein kritisches Interview in Radio und Fernsehen? Und das ist dabei herausgekommen (im Buch findet es sich auf den Seiten 122-128, ich veröffentliche das Kapitel hier mit Genehmigung des Falter Verlags):
(Kontroversielle) Interviews in Radio und TV
Von höherer Stelle könnte die Definition kaum kommen: Ein Interview ist eine „Sendeform, die aus kontroversieller Rede und Gegenrede besteht“.
So hat es 1989 der Verfassungsgerichtshof festgeschrieben, nach einer Beschwerde gegen das bis dahin wohl umstrittenste Interview der österreichischen Fernsehgeschichte. Die beiden ORF-Journalisten Peter Rabl und Hans Benedict hatten im Hauptabend-Programm Bundespräsident Kurt Waldheim zum Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit befragt. Waldheim war von den durchaus harten Fragen not amused und etliche Fans des Präsidenten beschwerten sich bei der damals zuständigen Rundfunkkommission wegen angeblicher Verstöße gegen das Objektivitätsgebot.
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Die Kommission war geradezu entsetzt über das Interview, über die „ungeheure Anmaßung eines Journalisten“ (gemeint war Rabl), einen „frontalen Angriff“ auf das Staatsoberhaupt, eine „krassere Form der Parteilichkeit und der Einseitigkeit“ wäre „kaum vorstellbar“. Der Fall ging durch die Instanzen bis zum Verfassungsgericht, das die Beschwerde schließlich abwies. Mit einer Begründung, die bis heute definiert, was bei Interviews im (öffentlich-rechtlichen) Radio und Fernsehen zulässig ist.
Gerade im Interesse von Objektivität und Unparteilichkeit müssten kontroversielle Meinungen und Kritik vorkommen, hieß es da, „zumal die Form des Interviews dem Betroffenen Gelegenheit zur Richtigstellung und Vertretung seiner eigenen Position gibt“. Gerade weil die Befragten unmittelbar reagieren können, müssten sich die Fragenden „nicht in der Beisteuerung neutraler Stichworte für Statements des Interviewten erschöpfen, vielmehr können in alle gewählten Fragen – aus berechtigtem Interesse an offener Wechselrede – durchaus auch scharf ausgeprägte Standpunkte und provokant-kritische Stellungnahmen […] (mit-)einfließen“, erklärte das Höchstgericht.
Selbstverständlich muss nicht jedes Interview kontroversiell, also kritisch sein. Es gibt auch das explorative oder narrative Gespräch, in dem es primär darum geht, Menschen zum Erzählen zu bringen. Oder das Experten-Interview, das im sachlichen Dialog komplexe Themen erklärt.
Kontroversielle Interviews werden in der Regel mit Verantwortungsträgern und Entscheiderinnen geführt, um ihre Handlungen, Aussagen oder Vorhaben mit Kritik, Gegenargumenten und Widerspruch zu konfrontieren. Die Befragten können darauf unmittelbar reagieren und das Publikum kann sich daraus eine – hoffentlich – qualifizierte Meinung über das Besprochene bilden.
Damit ist auch das Wichtigste über ein Interview gesagt: Es hat nicht zwei Beteiligte – auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht –, sondern stets drei: Fragestellerin, Befragter und Publikum. Jedes Interview ist eine Dienstleistung für Dritte. Es soll dem Publikum interessante, neue und relevante Informationen über das Thema und oft auch über die Interviewten liefern. Die Fragenden agieren dabei als Anwälte des Publikums. Das kontroversielle Gespräch ist ein klassisches Format von accountability oder watchdog journalism – Medien in ihrer Kontrollfunktion.
Wen fragen?
Die Entscheidung, wer befragt werden soll, ist für ein gelungenes Interview zentral. Es sollte jemand sein, der für das Thema sachlich kompetent, aber auch verantwortlich ist. Zu politischen Entscheidungen Beamte kritisch zu befragen, ist meist sinnlos, sie haben darauf wenig Einfluss. Idealerweise sind die Befragten auch eloquent. Das spielt im Print-Interview weniger eine Rolle, da lässt sich in der Transkription vieles schönschreiben, in Radio und Fernsehen ist es wichtig.
Was fragen?
Das Themenspektrum hängt wesentlich von der Länge des Interviews ab. Realistisch ist mit Interview-Profis durchschnittlich etwa eine Frage/Antwort pro Minute. Das heißt aber auch: Für ein Drei- oder Vier-Minuten-Interview ist nicht mehr als ein Thema sinnvoll, wenn man auch kritisch nachfragen will. In acht bis zehn Minuten sind auch zwei bis drei Themenkomplexe möglich, in 30- oder 45-minütigen Interviews natürlich sehr viel mehr. Ein absolutes No-Go ist es, Fragen vorab zu vereinbaren oder bekanntzugeben. Auch nicht die Einstiegsfrage.
Gibt es Vereinbarungen?
Dürfen Themenkomplexe von den Befragten ausgeschlossen werden? Wenn sie für das Gespräch nicht relevant sind und man das Interview sonst nicht bekommt: Möglich. Wenn die Themen wichtig sind: Nein. Einzige Ausnahme: Das super-relevante Exklusivinterview, das alle wollen, aber noch niemand bekommen hat, alle zentralen Fragen können gestellt werden, nur ein wichtiger Punkt dürfte nicht besprochen werden. Das kann man eventuell und wohlüberlegt akzeptieren, muss die Vereinbarung dann aber fürs Publikum offenlegen (das sich sonst wundert, wo die wichtige Frage bleibt).
Live oder aufgezeichnet?
Ein Live-Gespräch ist unmittelbar und bietet Befragten keinen Grund, sich über den Umgang mit ihren Antworten zu beschweren. Für die Fragenden ist es schwieriger: Vor jeder einzelnen Frage muss entschieden werden, ob sie eine sinnvolle Antwort bringen kann oder möglicherweise nur Zeitverschwendung ist. Zu viele Nachfragen kosten Zeit. Wiederholte Unterbrechungen, um die Sendezeit nicht zu überziehen, verärgern zumindest Teile des Publikums. Aufzeichnungen lassen deutlich mehr Möglichkeiten, Themenaspekte oder Fragevarianten auszuprobieren. Was nicht ergiebig ist, wird später gekürzt. Tipp: Nicht mehr als zwei-, maximal dreimal so viel aufnehmen, wie gesendet werden soll. Zwanzig Minuten lassen sich kaum sinnvoll auf fünf Minuten schneiden, dreißig oder vierzig Minuten schon gar nicht.
Die Vorbereitung
Zwei Dinge sind für kontroversielle Interviews wichtiger als alles andere. Während des Gesprächs: Zuhören. Vor dem Gespräch: Die Vorbereitung. Wer möglichst „blank“ und kenntnisfrei in ein Interview geht, mit der Absicht, „so naiv wie das Publikum“ zu fragen, wird kein kritisches Gespräch führen können. Weil jede Chance fehlt, zu erkennen, wo Befragte ausweichen, Wesentliches auslassen, schlicht nicht die Wahrheit oder etwas anderes sagen, als sie früher gesagt haben. Im Idealfall hat man auch das Interviewziel der Befragten und deren möglichen Gesprächsstrategien durchdacht, hat alles gelesen, was die Interviewten zum Thema öffentlich gesagt haben, kennt die wichtigsten Gegenargumente und hat frühere Aussagen faktengecheckt. Zahlen und Zitate (und ihre Quellen plus Datum) immer mitbringen, bei besonders schwierigen „Fällen“ auch physisch (Zeitungsartikel, Videoclips).
Der Frageplan
Idealerweise hat ein Interview ein Ziel: Was kann/will ich in den wenigen Minuten realistisch erreichen? Und es hat zwei oder drei „Schlüsselfragen“ – die wichtigsten Fragen des Gesprächs, die jedenfalls vorkommen müssen. Man stellt sie üblicherweise nicht als erste, keinesfalls aber als letzte. Es ist sinnvoll, sich diese Schlüsselfragen genau (wörtlich?) zu überlegen, ebenso die Einstiegsfrage. Die muss nicht freundlich sein, „um die Atmosphäre zu lockern“, dafür fehlt in (kürzeren) Radio- und TV-Interviews die Zeit. Sie sollte auch nicht so brutal sein, dass die Befragten bereits in den ersten Sekunden völlig „zumachen“ und nur mehr in Abwehrhaltung gehen. Sie soll jedenfalls interessant sein und das Publikum neugierig machen, wie es weitergeht.
Das Manuskript
Ein kritisches Interview ganz ohne schriftliche Unterlagen zu führen kann man nur Gedächtnis-Akrobatinnen raten. Zumindest Zitate und Zahlen sollte man dabeihaben. Ob zu den Fragen nur Stichworte notiert werden oder ausgeschriebene Sätze, ist Geschmackssache. Ausgeschriebene Fragen können im Notfall eines Blackouts helfen, aber kaum etwas ist für ein lebendiges Gespräch furchtbarer, als eine Abfolge abgelesener Fragen. In jedem Fall darf das Manuskript nur ein (wichtiges) Hilfsmittel sein.
Die Technik
Im Radiointerview geht es um den guten Ton. Profis arbeiten (außerhalb des Studios) mit einem Handmikrofon, um stets die Entfernung zum Interviewten auszugleichen. Und mit Kopfhörer! Gerät und Akku vor dem Gespräch zu überprüfen ist Pflicht. Ein möglichst ruhiger Aufnahmeort ist sinnvoll, Musik im Hintergrund macht den Schnitt kompliziert, Klimaanlagen werden on tape lauter, als sie vor Ort erscheinen. Unmittelbar nach dem Interview ist es sinnvoll, die Aufnahme zu checken, notfalls kann sie noch wiederholt werden.
Fernsehinterviews leben auch von der Optik. Sinnvollerweise finden sie vor einem eher neutralen oder einem thematisch passenden Hintergrund statt. Aufmerksamen Kameraleuten fällt auf, wenn die Entfernung zwischen den Gesprächspartnern unpassend ist oder der Größenunterschied. Alles, was vom Interview ablenkt, ist möglichst zu vermeiden (gilt auch für das eigene Outfit) oder notfalls anzusprechen. Idealerweise wird ein Interview mit mehreren Kameras gefilmt, das erleichtert den Schnitt ungemein (auch Handys helfen hier). Falls das nicht möglich ist: Jedenfalls nach dem Gespräch noch „Gegenschüsse“ (beim Zuhören, evtl. auch bei einzelnen nachgestellten Fragen) aufnehmen und Zwischenschnitte (Hände, Umgebung, „falsche Doppel“ – also die Gesprächssituation in der Totalen). Notfalls können jump cuts im Schneideraum nachträglich helfen.
Das Vorgespräch
Ein Vorgespräch ist sinnvoll, um wenig routinierte Gesprächspartner zu beruhigen und daran zu erinnern, dass es darum geht, mit dem Interview Laien zu informieren, und nicht darum, ein Fachpublikum oder die Kollegenschaft zu beeindrucken. Längere inhaltliche Vorgespräche führen häufig zu Interviewpassagen der Art „Wie schon vorhin erwähnt …“. Viele Fragende finden es auch nicht ganz einfach, von freundlichem Smalltalk direkt in ein hartes Interview umzusteigen.
Im Gespräch
Das Wichtigste und Schwierigste im Interview ist das, was am einfachsten klingt: Zuhören. Tatsächlich ist ein – noch dazu kontroversielles – Gespräch, das man nicht wie ein Print-Interview nachträglich „schönschreiben“ kann, eine ziemlich stressige Angelegenheit. Man sollte zu oft komplexen Themen inhaltlich sinnvolle, grammatikalisch korrekte, auch für Laien verständliche Fragen stellen und das ohne große Nachdenkpausen. Die Fragen sollten einer nachvollziehbaren Linie folgen und sich nicht in irrelevanten Details verheddern. Oft muss dabei noch auf die Technik geachtet werden und man ertappt sich schnell dabei, über die möglichst kluge nächste Frage nachzudenken – statt zuzuhören: Ist das jetzt tatsächlich eine Antwort auf meine Frage, fehlt etwas, gibt es Widersprüche, braucht es hier eine Nachfrage?
Wie fragen?
Es hilft, tatsächlich Fragen zu stellen und nicht einfach Aussagen oder Behauptungen in den Raum zu stellen. Kurze Fragen sind in der Regel verständlicher, amerikanische Lehrbücher kennen die Abkürzung KISS: Keep it short and simple. Die Regel „Routine-Fragen bringen Routine-Antworten“ stimmt fast immer. Die Regel „Kurze Fragen bringen kurze Antworten, lange Fragen lange Antworten“ stimmt häufig nicht, aber doch gelegentlich. Mundfaulen Befragten wird man eher „offene Fragen“ stellen (Wie war das? Warum?), ausufernden Gästen eher „geschlossene Fragen“, die mit Ja oder Nein beantwortbar sind. Eine Zwischenform nennt sich „halboffene“ oder „skalierte“ Fragen: „Auf einer Skala von 1 bis 10 …“, „Welche Schulnote würden Sie dafür geben?“, „Wie wahrscheinlich ist es …“
Niemals Mehrfachfragen stellen: Die Befragten können sich die angenehmste Frage herauspicken. Oder sie beantworten alles und es wird ein endloser Monolog. Nicht im Interview recherchieren: Fakten gehören vorher geklärt. Im Interview geht es in der Regel um Meinungen, Einstellungen, Argumente. Fragen können auch informieren: Manchmal sind längere Fragen sinnvoll, weil sie ohne Erklärung gar nicht verständlich wären. Oder weil sie dazu dienen, bestimmte Informationen überhaupt erst auf Sendung zu bringen. Gerade weil Befragte unmittelbar reagieren können, sind auch Inhalte zulässig, die z. B. für einen eigenen Bericht noch nicht ausreichend bestätigt werden konnten.
Falls sich wer schwer tut, „harte“ Fragen zu stellen – Widerspruch delegieren: „Ihre Kritiker sagen …“, „XY wirft Ihnen vor …“. Sinnlos sind üblicherweise „Drachentöter-Fragen“, die nur vermeintlich knallhart klingen. „Sind Sie ein Lügner?“ wird wenige Befragte zu einem Geständnis motivieren. Zielführender ist es, knapp mehrere Belege für offenkundige Unwahrheiten anzuführen und dann: „Sie sagen offensichtlich regelmäßig die Unwahrheit. Warum sollte man Ihnen noch glauben?“ Komplexe Antworten, die für Laien schwer verständlich waren, kann man zusammenfassen. Achtung: Die Zusammenfassung muss präzise sein, sonst provoziert sie eine neue Antwort und Widerspruch.
In längeren Radiointerviews, in denen es bekanntlich keine Namensinserts gibt, bewährt es sich, alle paar Minuten eine Frage mit „Herr X“ oder „Frau Y“ zu beginnen oder mit: „Sie hören ein Interview mit XY, der Generalsekretärin der Z-Partei“. Der natürliche Reflex aus Alltagsgesprächen, nach Antworten zu nicken oder etwas Zustimmendes zu murmeln, sollte vor Mikrofon und Kamera jedenfalls vermieden werden (das klingt übrigens einfacher, als es anfangs ist).
Wie oft nachfragen?
Die wenigsten Gäste aus der Politik geben Interviews, weil sie gerne Fragen beantworten möchten. Sie möchten ein Publikum – potenzielle Wählerstimmen – erreichen und in der Regel bestimmte Botschaften loswerden. Das ist für sie wichtiger, als präzise Antworten zu geben. Außerdem können einen allzu konkrete Festlegungen später verfolgen („Vor zwei Monaten haben Sie noch gesagt …“), Parteifreunde oder Lobbygruppen verärgern und der politischen Konkurrenz Munition liefern. Häufig agieren Befragte also nach einer Technik, die sich in Medientrainings „TTT“ nennt: Touch – berühre kurz die Frage, Turn – biege ab, Tell – erzähle, was du eigentlich erzählen willst. Das können Fragende jedoch nicht zulassen. Wer ein Interview führt, muss es auch führen. Wohlüberlegte und – hoffentlich – relevante Fragen verdienen auch Antworten. Das ist oft nicht einfach.
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Im wohl berühmtesten TV-Interview, das je geführt wurde, hat BBC-Anchor Jeremy Paxman dem damaligen britischen Innenminister Howard 1997 zwölf Mal (!) die praktisch wortgleiche Frage gestellt. Ohne Ergebnis. Das Interview wurde legendär, in der Praxis wären elf Nachfragen aber deutlich zu viele. Trotzdem bewährt sich „Das war nicht meine Frage. Meine Frage war …“ oder „Sie beantworten sehr ausführlich eine Frage, die ich gar nicht gestellt habe …“. Letztlich kann man niemanden zu einer Antwort zwingen, aber Ausweichmanöver deutlich machen: „Ich sehe, Sie möchten meine Frage nicht beantworten. Wechseln wir das Thema.“
Wie unterbrechen?
Gäste zu unterbrechen ist heikel, aber oft unvermeidbar. Heikel, weil es im Publikum viele – vor allem ältere – Menschen unhöflich und respektlos finden. Das wissen auch die Befragten, deshalb antworten sie häufig mit Absicht besonders ausführlich. Entweder gibt es dadurch weniger unangenehme Fragen oder sie müssen unterbrochen werden. Zu viele Unterbrechungen können die Fragenden die Sympathie des Publikums kosten und das darf nicht unterschätzt werden.
Jedes Interview hat eine Sach- und eine Gefühlsebene. Gerade Fernsehen ist ein sehr emotionales Medium und wer die Sympathie des Publikums verliert, verliert auch das Interview. Wer sich beim Zusehen zu sehr ärgert, hört nicht mehr auf den Inhalt der Fragen, egal wie brillant formuliert. Das heißt: Im Gespräch immer höflich bleiben, auch beim Unterbrechen. Doch wenn man unterbricht, dann konsequent. Das fällt anfangs oft schwer, wird mit Routine aber leichter. Wichtig ist es vor allem live, um die Sendezeit einzuhalten. Aufzeichnungen kann man kürzen.
Die Metaebene
Bei längeren Interviews kann es spannend und aufschlussreich sein, in manchen Fragen die Gesprächsebene zu wechseln. Das kann inhaltlich sein – „Warum möchten Sie die Frage eigentlich nicht beantworten?“ – aber auch atmosphärisch: „Das Thema scheint Ihnen sehr unangenehm zu sein, warum ist das so?“. Noch nie ist mir in mehr als 3000 Interviews aber eine Gesprächssituation begegnet, in der die Meta-Frage aus manchen Lehrbüchern „Warum beginnen Sie bei diesem Thema zu schwitzen?“ nicht grob unhöflich wäre.
Der Abbruch
Ein Interview abzubrechen ist die massivstmögliche Intervention beider Seiten. In einem Live-Gespräch müsste einem Abbruch durch die Fragenden eine extreme Eskalation vorangehen, das Publikum würde das sonst nicht verstehen. In einer Aufzeichnung ist es mitunter denkbar, um das Gespräch neu zu beginnen, etwa weil schon die erste Antwort mehrere Minuten lang war. Aber Achtung: Die Befragten kennen dann bereits die – hoffentlich originelle – Einstiegsfrage. Ein noch späterer Neubeginn ist in einem kontroversiellen Interview in der Regel nicht sinnvoll.
Der Schnitt
Im Gegensatz zur Autorisierung von Print-Interviews haben die Befragten keine Möglichkeit, bei der Endfertigung von Radio- oder TV-Interviews mitzureden. Die wichtigste Regel für den Schnitt lautet deshalb: Fairness. Das Gesagte darf durch die Kürzung keinesfalls sinnentstellt werden. Sehr gut kürzen lassen sich deshalb Wiederholungen, allzu weitschweifige Erklärungen und inhaltliche Ablenkungen. Gab es zu einem Thema mehrere Nachfragen, reichen häufig die erste und die letzte Frage und Antwort. Es ist leichter, ganze Gesprächsblöcke aus Fragen und Antworten zu kürzen als innerhalb von Interviewpassagen zu schneiden. Gegen allfällige Beschwerden hilft, die ungekürzten Originalversionen von Interviews online zu stellen – auch als Service fürs Publikum.
Die Moderation
Der Moderationstext muss die Grundinformation zu Thema und Gast liefern, die nötig ist, um das Interview zu verstehen und das Publikum neugierig zu machen. Bei aufgezeichneten Gesprächen können in der Moderation bereits zentrale Aussagen „angeteasert“ werden, bei Live-Interviews logischerweise nicht. Wer das Interview geführt hat, liefert in der Regel auch einen Moderationsvorschlag, der jedoch häufig umgeschrieben wird. Falls bestimmte Informationen jedenfalls vorkommen müssen, um das Gespräch zu verstehen: Im Mod-Vorschlag ausdrücklich darauf hinweisen.
Immer besser scheitern
Jeremy Paxman, einer der bekanntesten TV-Interviewer der letzten Jahrzehnte, hat seine Annäherung einmal so beschrieben: „Ich frage mich immer, weshalb mich dieser lügende Bastard jetzt anlügt.“ Meine Annäherung ist das nicht. Für mich gibt es kaum Formen von Journalismus, die fairer sind als anständig vorbereitete und gut geführte Interviews. Menschen, die weitreichende Entscheidungen treffen, werden kenntnisreich und kritisch nach ihren Motiven befragt, mit Widerspruch und mit Gegenargumenten konfrontiert. Sie können ihre Position nicht nur verkünden, sie müssen argumentieren, erklären und begründen. Aber sie können auf jede Kritik auch unmittelbar reagieren.
Ein perfektes Interview gibt es aber sehr selten. Binnen weniger Minuten müssen so viele Entscheidungen getroffen werden, dass kaum alle davon richtig sein werden. Bei mir jedenfalls. Von den gut 3000 Interviews, die ich im Fernsehen geführt habe, würde ich drei so wiederholen. Alle anderen würde ich – hätte ich eine neue Chance – anders führen, manche zu fünf Prozent, manche zu fünzig Prozent. Doch genau das macht es auch so spannend. Wie Samuel Beckett sagt: Try. Fail. Try again. Fail better!
Quelle: „Das war nicht meine Frage“. (Kontroversielle) Interviews in Radio und TV. In: Brodnig/Klenk/Waldner/Wolf (Hg.): Praktischer Journalismus. Ein Lehrbuch für den Berufseinstieg und für alle, wie wissen wollen, wie Medien arbeiten, Wien 2024 (Falter Verlag): 122-128
Und hier noch kurz als Bonus-Track, den es – mangels Videos – im Buch nicht gibt, jene drei Interviews aus den letzten 22 Jahren mit denen ich zufrieden bin:
• Mein einziges ZiB2-Gespräch mit Erwin Pröll (2017) würde ich im Nachhinein nicht anders machen, weil ich es nicht besser könnte. Herr Pröll war noch sehr lange sehr sauer, aber ich glaube nicht, dass er mir hier inhaltlich oder formal irgendwas vorwerfen kann.
• Mein 50-min-Interview mit Wladimir Putin (2018) könnte man auch völlig anders führen (und müsste es heute natürlich auch völlig anders führen als 2018), aber es würde, glaube ich, nicht mehr dabei herauskommen. Putin war mit Abstand der schwierigste Gesprächspartner, den ich je hatte – warum, habe ich damals hier erklärt.
• Mein erstes ZiB2-Interview mit Frank Stronach (2012) war eine Art Verkehrsunfall und haarscharf am Abbruch. Unmittelbar danach war ich ziemlich frustriert. Aber letztlich haben diese 13 Minuten ein sehr authentisches Porträt des späteren Politikers Frank Stronach gezeigt. Mehr kam dann nicht mehr. Und mehr kann man von einem Interview nicht erwarten.
Mehr zum Thema im Blog:
Wie hart darf ein Interview sein?
Was darf ein Interviewer im ORF?
“Ich unterbreche Sie ungern, aber…”
Der Moderator ohne Kinderstube (PDF)
Zum Abschluss auch noch zwei Videos zum Thema:
Für den YouTube-Kanal der ZiB hat mich mein Kollege Stefan Lenglinger in 11.30 min befragt, warum ich Interviews so führe, wie ich sie führe:
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Und Andreas Sator hat mich in seinen tollen Podcast „Erklär mir die Welt“ (den es auch als Video gibt) eingeladen, um mal ausführlicher über Interviews zu sprechen – in diesem Fall knapp eine Stunde lang:
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