Alle Beiträge von Armin Wolf

Geboren am 19. August 1966 in Innsbruck. Studium der Politikwissenschaft (mit einer Fächerkombination aus Zeitgeschichte, Soziologie und Erwachsenenbildung) in Innsbruck und Wien. Sponsion 2000, Promotion 2005. Postgraduate-Studium Business Administration in Berlin, MBA 2010. Seit 1985 ORF-Journalist. Ab 2002 Moderator der ZiB2, seit 2010 auch stellvertretender Chefredakteur der TV-Information.

Die Sache mit dem “Auftrag”

ÖVP und SPÖ sind nun offenbar dabei, sich doch noch auf eine gemeinsame Koalition zu einigen. Es wäre erst die zweite Regierung seit 1945, die ohne einen offiziellen Auftrag des Bundespräsidenten zur Regierungsbildung entsteht.

Dieser Auftrag ist ja eine interessante Sache.

In der Bundesverfassung existiert er nämlich nicht. Dort steht über die Bildung der Regierung nur ein einziger Satz: „Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt.“

Dass der Präsident den späteren Bundeskanzler oder die Kanzlerin “mit der Regierungsbildung beauftragt“  ist nirgendwo vorgesehen, sondern lediglich eine politische Tradition, eine „Usance“. In den letzten Wochen sind gleich zwei Politiker an dieser Tradition gescheitert – Karl Nehammer und Herbert Kickl. Aber das ist wirklich selten. Davor ist das in achtzig Jahren Zweiter Republik und nach 24 Nationalratswahlen auch nur zwei Mal passiert.

Das erste Mal ist schon sehr lange her – und es ist ein besonders interessanter Fall, weil er zeigt, wie einflussreich der Bundespräsident bei einer Regierungsbildung sein kann. Oder zumindest sein konnte.

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Wer wird Österreich regieren? Keine Ahnung

Ich geb´s auf und melde mich hiermit offiziell aus dem Prognose-Business ab. Ich kann es offensichtlich nicht.

Dabei dachte ich, dass ich nach mehr als 30 Jahren journalistischer Erfahrung in der heimischen Politik die Rahmenbedingungen, Interessen und Akteur·innen halbwegs qualifiziert einschätzen kann. Deshalb hatte ich vor der Nationalratswahl hier im Blog ausführlich erklärt, warum der nächste Bundeskanzler mit größter Wahrscheinlichkeit wieder Karl Nehammer heißen wird. Und nach dem spektakulären U-Turn der ÖVP Anfang Jänner, dass es — immerhin: “Stand heute” — Herbert Kickl sein wird.

I rest my case.

Ganz offensichtlich habe ich die Rolle von Rationalität und Logik in der österreichischen Politik maßlos überschätzt und als Trost bleibt mir nur, dass es dem Professor — Peter Filzmaier nämlich, auf dessen Urteil ich sehr vertraue — sehr ähnlich geht.

Fakt ist: Nach jeder Logik hätten die “Dreiko”-Verhandlungen zu einer gemeinsamen Regierung führen müssen, weil jede der drei Parteien regieren wollte und jede durch das Scheitern ihre Position verschlechtert hat. Für SPÖ und Neos hieß es weiter Opposition, für die ÖVP Juniorpartner statt Kanzlerpartei. Und selbst diese Option blieb ihr nur, weil sie über Nacht ihr zentrales Wahlversprechen — keine Regierung mit Kickl — in die Luft gesprengt und ihren Parteichef geopfert hat. Ich hatte das nicht erwartet.

Aber woran ist nun Blau-Schwarz gescheitert?

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50 Jahre ZiB2

Am 3. Februar 2025 feiert die ZiB2 ihren 50. Geburtstag — und ist damit das älteste tägliche Nachrichtenmagazin im deutschsprachigen Fernsehen. Die ARD-Tagesthemen und das heute-journal des ZDF starteten erst Anfang 1978, also knapp drei Jahre später, und das Schweizer Pendant 10 vor 10 überhaupt erst 1990.

Der Falter nennt die ZiB2 in seiner jüngsten Ausgabe „Österreichs wichtigste Nachrichtensendung“ und das aktuelle TVmedia schreibt: “1975 war sie noch ein Experiment, heute ist die ZiB2 das spannendste News-Format im TV.“  Was uns naturgemäß freut.

Zu Beginn war die Sendung tatsächlich ein Experiment — ich habe zum 40. Geburtstag hier im Blog ein bisschen was zur Entstehung und zur Geschichte der Sendung geschrieben, auch mit historischen Bildern. (Und hier noch ein Text über Robert Hochner, der die ZiB2 als Moderator von 1979 bis zu seinem schrecklich frühen Tod im Jahr 2001 geprägt hat wie niemand sonst.)


Falter-Kolumne zur ZiB2


Aber in keinem Jahrzehnt der ZiB2-Geschichte ist so viel passiert wie in den letzten zehn Jahren, seit unserem 40. Geburtstag: Flüchtlingsströme, IS-Terror, Brexit, Trump, Pandemie, Wirtschaftskrise, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Rekordinflation, der 7. Oktober in Israel, Gaza-Krieg, Trumps Comeback — und über allem die Klimakrise.

In Österreich hieß 2015 der Kanzler noch Faymann, bald Kern, Kurz, Bierlein, nochmal Kurz, Schallenberg, Nehammer, wieder Schallenberg und demnächst wohl Kickl. 2016 wurde der Bundespräsident gleich drei Mal gewählt, 2017 auf Ibiza zu viel getrunken, 2018 der Verfassungsschutz gestürmt, mehrere Jahre lang tippte ein Spitzenbeamter rund 300.000 Chat-Nachrichten in sein Handy und ein vermeintlicher Immobilien-Milliardär ging spektakulär bankrott.

Doch auch in der ZiB2 hat sich sehr viel getan: Vom Sendungsteam, das ich zum 40er beschrieben habe, sind zehn Jahre später noch genau zwei Personen in der Redaktion: Chef vom Dienst Johann „Ulli“ Ullmann und ich. Alle anderen aktuellen Kolleg·innen sind später zu uns gestoßen, von Redaktionsleiter Christoph Varga (2018) über die Moderator·innen Martin Thür, Margit Laufer und Marie-Claire Zimmermann (als Rückkehrerin — „MC“ hat schon von 2007 bis 2010 mit mir moderiert) bis zu den Reporter/Producer·innen Peter Babutzky, Sinan Ersek, Madeleine Gromann, Patrick Gruska, Harald Jungreuthmayr und Regina Pöll. Zum 50er habe ich für das Team letzte Woche T-Shirts besorgt, mit einem Slogan, den ich von der amerikanischen Daily Show ausgeliehen hatte: „THE BEST FU#@ING NEWS TEAM EVER“. Weil‘s wahr ist.

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„Die Zerstörung des ORF beginnt“

Seit gestern verhandeln die FPÖ und die ÖVP über die Medienpolitik einer künftigen blau-schwarzen Koalition — und die Freiheitlichen reden dabei ganz offen über ihre Pläne für den ORF.  Sie wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk de facto verstaatlichen und dabei Programm und Personal massiv reduzieren.

Der ORF soll künftig aus dem staatlichen Budget finanziert werden — und wesentlich weniger Geld bekommen als bisher. Der freiheitliche Stiftungsrat Westenthaler hat auf oe24.tv bereits von „500 Millionen“ gesprochen (aktuell hat der ORF ein Gesamtbudget von knapp 1,1 Milliarden, knapp 700 Millionen davon kommen aus dem Rundfunkbeitrag).

Den neuen Rundfunkbeitrag will die FPÖ jedenfalls abschaffen, weil das Loch im aktuellen Budget aber schon viel zu groß ist, wird das wohl vorerst verschoben. (Hier habe ich mal ausführlich erklärt, warum es sehr sinnvoll ist, den ORF aus Beiträgen aller Menschen im Land zu finanzieren und nicht aus dem Staatsbudget.)

Aber FPÖ-Mediensprecher Hafenecker fordert vom ORF sofortige Einsparungen von 15 Prozent. Ob er damit eine Reduktion des ORF-Beitrags in dieser Höhe meint oder des ORF-Gesamtbudgets (inkl. Werbung und anderer Erträge), hat er bisher nicht erklärt. In einem Fall ginge es um ein Minus von ca. 100 Millionen Euro pro Jahr, im anderen wären es gut 150 Millionen weniger.

Das Ziel der FPÖ ist jedenfalls ein „Grundfunk“, ein drastisch verkleinerter, vom Staat finanzierter Rundfunk — oder wie die Redakteursvertreter·innen des ORF heute warnen: Es geht letztlich darum, den Rundfunk „dem Gutdünken der Regierung zu unterwerfen“.

In einem sehr ausführlichen offenen Brief (siehe unten) erklärt die gewählte Redaktionsvertretung aller ORF-Journalist·innen heute, was da gerade auf dem Spiel steht: Das größte Medienunternehmen Österreichs, das in Radio, Fernsehen, online und via Social Media jeden Tag mehr als 80 Prozent und jede Woche mehr als 90 Prozent aller Menschen in Österreich mit Information, Kultur, Bildung, Sport und Unterhaltung versorgt.

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Wer wird Österreich regieren? Neuer Versuch

Eine Woche vor der Nationalratswahl im September habe ich hier im Blog sehr ausführlich — und wie ich überzeugt war, sehr logisch — erklärt, dass nach der Wahl der neue Bundeskanzler so heißen wird wie der alte, Karl Nehammer also.

Das war ganz offensichtlich falsch.

Mit Stand heute Abend wird der nächste Bundeskanzler Herbert Kickl heißen, als erster freiheitlicher Regierungschef der Zweiten Republik und als Chef einer blau-schwarzen Koalition.

Das habe ich nicht nur für sehr unwahrscheinlich gehalten, sondern de facto für ausgeschlossen. War ich schlecht informiert? Hatte ich etwas Wesentliches übersehen? Habe ich unlogisch argumentiert?

Ich glaube nicht. Ich bin nur davon ausgegangen, dass die FPÖ bei der Wahl keine absolute Mehrheit erringen wird (das stimmte, es waren 28,85 Prozent). Und ich bin davon ausgegangen, dass die einzigen beiden Parteien, die der FPÖ theoretisch eine Regierungsmehrheit beschaffen könnten — also ÖVP und SPÖ —, ihr zentrales Wahlversprechen halten werden, nämlich Herbert Kickl nicht zum Kanzler zu machen.

Das war im Fall der ÖVP offensichtlich naiv.

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Hat sich der #eXit gelohnt?

Vor sechs Wochen, am 17. November, bin ich gemeinsam mit etlichen anderen österreichischen Journalist·innen übersiedelt — von Twitter/X, wo ich über 15 Jahre lang quasi zuhause war, auf Bluesky. Seit gestern folgen mir auf Bluesky mehr als 50.000 Menschen, also eine ganze Menge (vielen Dank!). Auf X hatte ich zuletzt allerdings 640.000 Follower und den mit Abstand größten Account im Land. Hat sich der #eXit trotzdem gelohnt?

Ja, das hat er. Und ich habe ihn keinen Tag bereut, auch wenn ich auf Bluesky noch nicht ganz im Himmel bin.

Es war jedenfalls richtig, X als aktiver User zu verlassen. Das zeigt sich mit jedem neuen Tweet von Elon Musk. Ich schreibe nicht für Russia Today, warum sollte ich der Propaganda-Plattform eines offen rechtsradikalen Politikers — und das ist Musk mittlerweile — meinen Content schenken? Weshalb ich glaube, dass Musk mein langjähriges Lieblingsmedium Twitter kaputt gemacht hat, habe ich am 17. November ausführlich begründet.

Ich habe damals auch erklärt, warum ich meinen X-Account trotzdem bisher nicht lösche. Mal abgesehen davon, dass ich verhindern will, dass wer anderer unter meinem Namen twittert, brauche ich die Plattform — leider — nach wie vor beruflich. Mir wäre lieber, es wäre nicht so, aber in Breaking News-Nachrichtenlagen wie dem Umsturz in Syrien oder dem Flugzeugabsturz in Kasachstan ist X als superschnelle Info-Quelle Bluesky noch überlegen. Das ist für die Arbeit in einer News-Redaktion, in der ein paar Minuten Info-Vorsprung oft sehr hilfreich sind, nicht unwesentlich. Ich finde dort auch relevante Expert·innen, die (noch) nicht auf Bluesky erreichbar sind. D.h., ich nütze X noch passiv, habe meinen Account aber stillgelegt.

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Rau-e Zeiten

Am 11. Dezember feiert der große österreichische Journalist Hans Rauscher seinen 80. Geburtstag. “Als Kommentator ist in diesem Land niemand wichtiger”, sagt – völlig zu Recht – sein ehemaliger Kollege und Chefredakteur Peter Rabl in einem Porträt, das ich für den STANDARD über “rau” schreiben durfte, mehr als vierzig Jahre nach unserem ersten persönlichen Treffen. Gestern ist es erschienen:

PDF meines STANDARD-Artikels über Hans RauscherDER STANDARD, 7.12.2024, S. 8

Der Text wurde im berüchtigt ruppigen STANDARD-Forum netterweise sehr freundlich aufgenommen, manche Poster·innen störten sich allerdings an der Schluss-Anekdote aus der Moskauer Hotelbar. Nein, natürlich sind nicht “alle hübschen Russinnen Prostituierte” — was für eine absurde Idee. Aber in der Bar des einzigen Moskauer Ausländerhotels der 1980er-Jahre, in das man ja nicht einfach von der Straße hineinspazieren konnte, waren junge Frauen tatsächlich häufig Prostituierte, die vom Geheimdienst auf internationale Delegationen, Wirtschaftsleute oder Journalisten angesetzt wurden, um diese später mit dem “Kompromat” zu erpressen. Hans Rauschers Rat war also schlicht professionell.

Zu Rauschers lesenswertem – teils auch autobiografischen – neuen Buch “Worüber sich zu schreiben lohnt”, hatte Ö1 kürzlich einen Beitrag, den man hier hören kann. Von dort stammt auch das Titelbild oben.

Warum das 20. Jahrhundert erst 2024 zu Ende ging

Eigentlich wieder kein Lesezeichen, sondern etwas zum Anhören — aber auch diesmal war die geopolitische Jahresbilanz, die der brillante Politologe Ivan Krastev Anfang Dezember im Wiener Presseclub Concordia im Gespräch mit Mirjana Tomic gezogen hat, ein intellektuelles Highlight, das ich sehr empfehlen kann.

Krastev mit Interviewerin im Presseclub Concordia


In einer guten Stunde können Sie hier hören (Podcast) oder hier sehen (YT-Video), warum Krastev nicht an das “kurze 20. Jahrhundert” von Eric Hobsbawm von 1914 bis 1989 glaubt, sondern an ein langes 20. Jahrhundert von 1914 bis 1924. Warum vielleicht nicht der Fall der Berliner Mauer das zentrale Ereignis des Jahres 1989 war, sondern das Niederwalzen der Studentenproteste am Pekinger Tiananmen-Platz oder der sowjetische Abzug aus Afghanistan. Und warum mit Donald Trump der amerikanische Exzeptionalismus endet — und das China ermuntern könnte, Taiwan anzugreifen.

Generation Social Media

Die heute 20jährigen sind die erste Generation, die so mit Social Media aufgewachsen ist wie die 50jährigen mit dem Fernsehen und die 35jährigen mit dem Internet. Aber was macht die Dauernutzung von sozialen Medien mit den Jugendlichen? Der amerikanische Sozialpsychologe Johnathan Haidt ist davon überzeugt, dass die Auswirkungen verheerend sind – von Angstzuständen über Depressionen bis zum Suizid. Haidt fordert deshalb: Keine Smartphones in Schulen und keine sozialen Medien für Jugendliche unter 16.

Australien ist jetzt das erste Land, das ein gesetzliches Social Media-Verbot für Unter-16-Jährige einführt. Aber was weiß man tatsächlich über die Konsequenzen von sozialen Medien für Jugendliche? Diesen Text darüber hat Online-Expertin Ingrid Brodnig in ihrem – immer lesenswerten – Newsletter empfohlen:

Screenshot mit Link zum New Yorker-ArtikelTHE NEW YORKER, 30.9.2024