Alle Beiträge von Armin Wolf

Geboren am 19. August 1966 in Innsbruck. Studium der Politikwissenschaft (mit einer Fächerkombination aus Zeitgeschichte, Soziologie und Erwachsenenbildung) in Innsbruck und Wien. Sponsion 2000, Promotion 2005. Postgraduate-Studium Business Administration in Berlin, MBA 2010. Seit 1985 ORF-Journalist. Ab 2002 Moderator der ZiB2, seit 2010 auch stellvertretender Chefredakteur der TV-Information.

Alles, was Sie über Impfen wissen müssen

Auch dieses Jahr durfte ich wieder Juror beim renommierten Deutschen Reporterpreis sein – und erstmals war unsere Gruppe nicht nur für das Thema „Investigation“, sondern auch für „Wissenschaftsreportage“ zuständig.

Dazu haben wir acht – von einer Vorjury nominierte – exzellente Texte gelesen und eine fantastische Recherche aus dem Wissenschaftsbetrieb mit dem diesjährigen Reporterpreis ausgezeichnet. Sie finden alle acht Beiträge hier, der Siegertext „Wunschdenken“ von Patrick Bauer, Patrick Illinger und Till Krause aus dem SZ-Magazin beginnt auf Seite 76.

Mein persönlicher Favorit war allerdings ein Artikel von Vivian Pasquet aus GEO über die Impf-Debatte der letzten Jahre. Er ist für mich ein fast ideales Stück Journalismus: Ein großartiges Stück Aufklärung, das trotzdem nie belehrend ist, sich interessiert und auch empathisch Skeptikern und Kritikern nähert, eigene Zweifel thematisiert und aus dem man mit jedem Absatz klüger wird, bis man sich am Ende denkt: Jetzt kenne ich mich aus.


Screenshot mit TextGEO, 21.3.2019

Lese-Liste

Falls Sie nicht wissen, was Sie über die Feiertage lesen oder zu Weihnachten verschenken sollen – das US-Magazin Slate hat eine Liste der „50 besten Sachbücher der letzten 25 Jahre“ erstellt (in diesem Fall alle auf Englisch).


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SLATE, 18.11.2019

Prag, November 1989

Ich bin seit meiner Matura Journalist und bis heute habe ich nichts Eindrucksvolleres erlebt als die Novembertage in Prag vor genau dreißig Jahren, die sehr schnell als „Samtene Revolution“ berühmt geworden sind.

Wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer sollte ich als Radioreporter für Ö1 ins damalige Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) fahren, als am 17. November 1989 die ersten Meldungen von einer Massendemonstration in Prag kamen. Außenpolitik-Chef Roland Machatschke bat mich, statt in die DDR doch in die Hauptstadt der Tschechoslowakei zu fahren.

Es war ein nasser, kalter, grauslicher Novemberabend, als ich im Hotel Forum an der Stadtautobahn aus dem Auto stieg und mit der U-Bahn ins Zentrum weiterfuhr – zum ersten Mal in meinem Leben in Prag, mit 23, ohne ein Wort Tschechisch zu verstehen. Die nächsten 14 Tage blieb ich dann da, fror jeden Abend mit zehntausenden, später hunderttausenden Menschen am Wenzelsplatz – und beobachtete eine friedliche, fröhliche Revolution beim Siegen, eine kommunistischen Diktatur beim Zusammenbrechen und die Geburt einer Demokratie.

Am wenigsten vergessen werde ich den Abend des 24. November, eine Woche nach meiner Ankunft: Wie jeden Tag informierten die Dissidenten des „Bürgerforums“ nach der Massendemonstration am Wenzelsplatz im nahen Theater „Laterna Magica“ die Journalisten aus aller Welt.

Dubcek und Havel
Prag, 24. 11. 1989: Dubček und Havel in der Laterna Magica (Foto: Wikipedia)

Auch an diesem Abend sitzt Vaclav Havel auf der Bühne, neben ihm Alexander Dubček, der tragische Held des „Prager Frühlings“ von 1968, der an diesem Nachmittag erstmals seit dreißig Jahren wieder öffentlich aufgetreten war, die Ökonomin Rita Klimova, die ins Englische übersetzt, Havels enger Freund Jiri Dienstbier und der Priester Vaclav Maly, der die Pressekonferenz moderiert.

Plötzlich tritt von hinten ein Mann auf die Bühne und flüstert Maly etwas ins Ohr, der schüttelt ungläubig den Kopf, der Mann sagt nochmal was – der Priester fängt zu lächeln an und nimmt sich das Mikrofon: „Wir sollten für eine wichtige Nachricht unterbrechen.“

Die Führung der KPČ war zurückgetreten.

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„The world is messy.“

Ich bin grundsätzlich ein Freund politischer Korrektheit, weil sie – sinnvoll verstanden – nur ein anderer Begriff für Anstand und Respekt ist. Aber man kann es mit PC und wokeness auch übertreiben – und dazu hat Barack Obama bei einer Diskussion mit Studierenden einige sehr kluge Sätze gesagt:

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Für wenige Interviews habe ich in 17 Jahren ZiB2 so viele Reaktionen bekommen wie auf eines, das ich gar nicht geführt sondern gegeben habe. Und es ist bisher auch mein einziges Interview, auf das es ausschließlich positive Reaktionen gab…

Im Sommer letzten Jahres hat mich Andre Heller, den ich seit langem sehr schätze, in seine ORFIII-Gesprächsreihe „Menschenkinder“ eingeladen. Wie alle Sendungen wurde sie in seiner prachtvollen Wiener Wohnung aufgezeichnet, am heißesten Tag des ganzen Jahres. Wir haben fast drei Stunden lang miteinander gesprochen, was man aber nicht sieht, weil Andre Heller – außer in der Signation – gar nicht vorkommt.

Ende September 2019 wurde die Sendung ausgestrahlt und hier kann man das Gespräch nachsehen:

Screenshot

Heller saß hinter den Scheinwerfern und Kameras und bat mich, die Antworten so zu formulieren, dass sie auch ohne Fragen für sich stehen können. Deshalb ist die fertige Sendung ein rund 70-minütiger Monolog aus aneinander gefügten Antworten. Das klingt ziemlich fad, aber sehr viele Menschen, die mir geschrieben oder mich auf die Sendung angesprochen haben, sahen das offenbar gar nicht so, was mich sehr freut.

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Die Zerstörung der Zeit

In den 1980er Jahren hat Joshua Meyrowitz ein brillantes, noch heute lesenswertes Buch über das Fernsehen mit dem Titel „No Sense of Place“ geschrieben. Heute könnte er ein neues Buch über das Internet schreiben, mit dem Titel „No Sense of Time“.

Derweil hat Buzzfeed diesen exzellenten Text veröffentlicht, der eindrücklich beschreibt, wie Social Media, Netflix, Spotify und Donald Trump unser Gefühl für Zeit zerstört haben.

Screenshot mit LinkBUZZFEED, 24.10.2019

Zeit für eine neue Befreiung

Kaum jemand – außer vielleicht Ivan Krastev – kann so kundig über Mittel- und Osteuropa schreiben wie der britische Historiker Timothy Garton Ash, der die „Samtenen Revolutionen“ von 1989 als Zeitzeuge und als Gesprächspartner zahlloser prominenter Dissidenten erlebt hat. In diesem Text zieht er – 30 Jahre nach der großen Befreiung von den kommunistischen Diktaturen – eine nüchterne, aber höchst lesenswerte Bilanz.

Screenshot mit LinkTHE NEW YORK REVIEW OF BOOKS, 24.10.2019

Felix Krull mit Laptop

Vor nicht mal einem Jahr ist der größte Skandal im deutschsprachigen Journalismus seit den falschen Hitler-Tagebüchern des STERN explodiert: Die Relotius-Affäre im SPIEGEL. Ausgerechnet der zigfach preisgekrönte Jung-Star des Magazins hatte jahrelang Reportagen gefälscht und erfunden.

Enttarnt hatte ihn letztlich ein Kollege: Juan Moreno ist seit 2007 freier Autor beim SPIEGEL und wurde vor einem Jahr mit Relotius an die amerikanisch-mexikanischen Grenze geschickt. Moreno begleitete einen Flüchtlingszug in Mexiko, Relotius angeblich eine selbsternannte „Bürgerwehr“ nördlich der Grenze. Doch schon bald kamen Moreno die Angaben seines Kollegen seltsam vor: Regieanweisungen, Details in seinen Recherchen, wesentliche Stellen im Text.

Moreno begann damit, einzelne Punkte zu überprüfen und stieß sehr rasch auf offensichtliche Widersprüche: Protagonisten, die schon in einer großen US-Reportage – aber unter anderem Namen – aufgetreten waren, offensichtlich falsche Einzelheiten, unplausible Schilderungen. Er informierte seine Vorgesetzten in Hamburg – fand dort aber kein Gehör.

Ab dann wird die Geschichte zum Krimi: Auf der einen Seite der junge Superstar des deutschen Journalismus, ausgezeichnet mit rund vierzig (!) Preisen binnen weniger Jahre, erst wenige Wochen zuvor mit seinem vierten Reporterpreis; der Liebling der SPIEGEL-Chefetage, unmittelbar vor der Beförderung zum Chef des Reportage-Ressorts, von den meisten Kollegen als bescheidener, hilfsbereiter, sympathischer Kollege geschätzt.

Auf der anderen Seite der freie Reporter ohne Netzwerk in der Redaktion, den der SPIEGEL-Portier auch mal mit einem Taxifahrer verwechselt und der bei seinen Recherchen auf so viele Ungereimtheiten stößt, dass er sie zuerst selbst nicht glauben kann. Und dem seine Vorgesetzten unverhohlen damit drohen, dass er mit der „Anschwärzung“ seines Kollegen seinen eigenen Job gefährde.

Das alles beschreibt Moreno ein knappes Jahr danach in seinem höchst lesenswerten Buch Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus.

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Quoten gegen mittelmäßige Männer

Die renommierte London School of Economics hat untersucht, welche Auswirkungen verpflichtende Frauen-Quoten in der Politik haben. Die zentrale Erkenntnis: Quoten wirken. Sie verbessern die Vertretung von Frauen – und das vor allem auf Kosten von „mittelmäßig kompetenten“ Männern.

Die Studie wurde in Schweden durchgeführt, weil dort besonders viele Daten öffentlich zugänglich sind, und sie wurde bereits 2017 veröffentlicht. Ich bin allerdings erst jetzt via Twitter darauf gestoßen. Jedenfalls eine sehr lesenwerte Zusammenfassung!

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BLOGS.LSE.AC.UK, 13.3.2017