https://twitter.com/hist/status/1154898478838870016?s=20
Alle Beiträge von Armin Wolf
Sie schreiben. Ich antworte.
Die Konterrevolution der Zornigen
Von all den Büchern, die ich in den letzten Jahren über Populismus gelesen habe, ist dieses das lohnendste. Die deutsche Soziologin Cornelia Koppetsch (TU Darmstadt) sieht den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa und den USA als „Konterrevolution“ gegen die Folgen der Globalisierung seit 1989 – als „kollektiven, emotionalen Reflex“ auf einen „noch unbewältigten epochalen Umbruch“. Das ist ihre grundsätzliche These. Was ihr Buch aber vor allem spannend macht, ist die Differenziertheit und Tiefe der Analyse und wie sie aus verschiedenen soziologischen Perspektiven hergeleitet wird.
GEWINNER UND VERLIERER
Die Globalisierung führte laut Koppetsch zur Herausbildung einer postnationalen, akademisch gebildeten, urbanen professionellen Klasse von Kreativ- und Wissensarbeitern. Deren kosmopolitischen, ökologisch-bewussten, gesellschaftlich-liberalen Lebensstil hat der amerikanische Journalist David Brooks schon vor knapp zwanzig Jahren präzise beschrieben – in seinem globalen Bestseller „Bobos in Paradise“. Gute Ausbildung, Sprachkenntnisse und „global einsetzbares kulturelles Kapital“ machen das „postindustrielle Bürgertum“ der bourgeoisen Bohemiens zu den Gewinnern der wirtschaftlichen Liberalisierung und Globalisierung.
Wer hat die Zeitungsbranche geschrumpft?
Anfang der 70er Jahre wurden in den USA jeden Tag mehr als 60 Millionen Tageszeitungen verkauft. 2018 ist die Gesamtauflage (Print + digital) auf 28,6 Millionen gefallen, nochmal ein Minus von 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
2005 haben US-Zeitungen knapp 50 Milliarden Dollar mit Werbung verdient. 2018 waren es noch 14,3 Milliarden, um 13 Prozent weniger als im Jahr davor. Die Details sind in diesem Text nachzulesen (und ausführliche Daten zur Situation der gesamten Medienindustrie in den USA im Jahr 2018 gibt es hier).
Über Jugendsünden und die Macht von Wikipedia
Wenn man öfter im Fernsehen auftritt, wird gelegentlich auch über einen geschrieben und man wird zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen, in Schulen, auf Unis, von Kulturvereinen. Die Gesprächspartner, auf die man dort trifft, sind sehr unterschiedlich vorbereitet. Manche verblüffen einen mit biografischen Details und müssen wirklich viel gelesen haben, andere wissen eher wenig. Das einzige, das immer alle kennen, ist der Wikipedia-Eintrag ihres Gastes.
Ich bin kein PR-Experte, aber eines habe ich in den letzten 17 Jahren in einem relativ exponierten Beruf gelernt: Es gibt für Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, kaum etwas Wichtigeres als ihren Wikipedia-Eintrag. Das ist das, was jeder von einem weiß.
Auf meiner Wikipedia-Seite zum Beispiel steht seit etlichen Jahren, dass ich mal Mitglied der Jungen ÖVP war. Und da steht auch: „Seine JVP-Mitgliedschaft bezeichnete Wolf später als ‚Jugendsünde‘.“
DIE WAHRE GESCHICHTE
Seither wurde ich dutzendfach auf dieses Zitat angesprochen, vor allem in Diskussionen mit Jugendlichen – und erst vor wenigen Tagen stand es wieder in einem Zeitungsporträt. Und jedesmal muss ich diese „Jugendsünde“ erklären – deshalb erkläre ich sie jetzt mal hier. Was nämlich nicht auf Wikipedia steht: Die „Jugendsünde“ war ironisch gemeint.
Und ich verdanke sie Michael Spindelegger. (Von dem ja sonst – außer der Entdeckung von Sebastian Kurz – eher wenig blieb.)
Warum wir einander nicht verstehen
Das ist eine ziemlich interessante Untersuchung aus den USA. Demokraten und Republikaner haben extrem negative Vorstellungen von einander – sehr viel negativer als es der Realität entspricht.
Und die wirklich deprimierende Erkenntnis: Je besser ausgebildet und je intensiver der Medienkonsum – umso falscher ist das Bild von den politisch Andersdenkenden. Medienberichterstattung, die – aus erklärbaren Gründen – auf politische Konflikte konzentriert ist, scheint also die ohnehin vorhandenen Missverständnisse noch zu verstärken. Wäre spannend, eine ähnliche Studie für Österreich zu lesen. (Danke für den Hinweis, Andreas Sator!)
THE ATLANTIC, 23.6.2019
„Viktor Orban zerstört die Demokratie“
Der britische Historiker Timothy Garton Ash gehörte zu den kundigsten und klügsten Beobachtern der mittel- und osteuropäischen Revolutionen von 1989. Wenn er heute schreibt, dass Ungarn unter Viktor Orban – einem der Hoffnungsträger von 1989 – „keine Demokratie mehr“ ist, sollte man das ernst nehmen.
Zwei Wünsche an die Kanzlerin
Das All-Star-Beamt*innen-Kabinett, das für die nächsten Monate die Regierung führt, soll “eine gute und geordnete Verwaltung der Staatsgeschäfte” sicherstellen, hat der Bundespräsident bei der Vorstellung der ersten Bundeskanzlerin gesagt.
Große Politik wird diese Übergangs-Regierung also nicht machen und dem Parlament deshalb kaum neue Gesetze vorschlagen. Das ist in dieser speziellen politischen Situation auch sehr vernünftig, die Regierung ist schließlich nicht aus Wahlen hervorgegangen. Und doch gibt es zwei Gesetze, für die diese Beamt*innen-Regierung die perfekte Initiatorin wäre.
Es sind zwei Themen, bei denen die Parteien im Nationalrat fundamentale Interessenskonflikte haben – weil es darum geht, ihren Einfluss, ihre Macht und ihre Ressourcen vernünftig zu regeln und zu beschränken. Was ein bisserl so ist, als würde man einen Hund auffordern, neben einer Knackwurst zu fasten. Kann man versuchen, aber nur, wenn man die Knackwurst nicht braucht.
Diese beiden Themen sind die Parteienfinanzierung und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. (Es gäbe noch ein drittes: Politikergehälter. Aber die sind seit einer großen Debatte vor zwei Jahrzehnten sehr vernünftig festgelegt.)
Im RückSPIEGEL
Knapp fünf Monate nachdem bekannt wurde, dass der vielfach ausgezeichnete Star-Reporter Claas Relotius jahrelang Texte für den SPIEGEL (und andere Redaktionen) erfunden, gefälscht oder zumindest massiv „aufgehübscht“ hatte, hat die dreiköpfige interne Untersuchungs-Kommission des SPIEGEL nun ihren Bericht vorgelegt. Es ist ein 17-seitiges, eindrucksvolles Dokument, das der SPIEGEL auch in voller Länge abgedruckt und online gestellt hat.
Relotius war ein Hochstapler, ein außergewöhnlich begabter und fleißiger noch dazu – aber die Autor*innen des Berichts sehen innerhalb der SPIEGEL-Redaktion und in bestimmten Entwicklungen im Journalismus generell auch wesentliche systemische Ursachen, die erklären, warum Relotius mit seinen Fake-Reportagen so lange unentdeckt blieb und für seine Texte regelmäßig gefeiert wurde.
Es ist jedenfalls ein Bericht geworden, der in jeder Journalist*innen-Ausbildung gelesen und diskutiert werden sollte.
Und hier noch eine exzellente Rezension des Kommissions-Berichts von Stefan Niggemeier, einem der klügsten deutschsprachigen Medienjournalisten.
„Prahlerisch wie ein Teenager“ – Jetzt erst recht!
Ich kenne Heinz-Christian Stache ziemlich lange – und schon unser erstes großes Interview vor 14 Jahren hat eine Seite von ihm gezeigt, die ihm jetzt politisch zum Verhängnis geworden ist.
Es war Straches erstes Sommergespräch im August 2005. Seit wenigen Monaten war er FPÖ-Obmann, nachdem Jörg Haider mit fast allen Ministern und Abgeordneten das BZÖ gegründet hatte. Es war Straches erster wirklich großer medialer Auftritt.
In der Vorbereitung hatte ich mir seine recht aufwändig gestaltete Homepage angeschaut (längst nicht mehr aktiv), die auch über seine persönlichen Vorlieben Auskunft gab, vom Lieblingsfilm („Braveheart“) bis zum Lieblingsbuch: „Der Waldgang“, ein Essay des deutschen „Stahlgewitter“-Philosophen Ernst Jünger aus dem Jahr 1951. Auf Straches Homepage stand als Erklärung für seine Wahl eine exzellent geschriebene Kurzrezension des schmalen Bandes. Und ich muss gestehen, ich war verwundert.
Ich habe während des Studiums einige politische Philosophen gelesen. Den schwülstigen Jünger fand ich stets mühsam und es hatte mich schon erstaunt, dass Strache neben seinem platten Filmtipp einen derart sperrigen (wenn auch ideologisch kompatiblen) Lieblingsautor nennt – vor allem aber, dass er eine solche Buchkritik verfassen würde.
„Prahlerisch wie ein Teenager“ – Jetzt erst recht! weiterlesen