“Danke für das Gespräch!” Das Interview als (gefährdete) Form politischer Kommunikation

In: Filzmaier, Peter/Plaikner, Peter/Duffek, Karl A. (Hg.): Mediendemokratie Österreich, Wien-Köln-Weimar 2007: 273-280


Dass Jeremy Paxman in Österreich eine große Fangemeinde hätte, darf man bezweifeln. Der forsche Starmoderator der BBC-„Newsnight” wurde mit einer Art von Interviews berühmt — und bei britischen Politikern berüchtigt —, die in Österreich schnell in der Abteilung „Inquisition” abgestellt würde.

Legendär wurde Paxman durch ein Gespräch mit dem früheren Innenminister Howard, dem er live im Studio zwölf Mal hintereinander ein und dieselbe Frage stellte. Bis heute steht ein Mitschnitt dieses Interviews aus dem Jahr 1997 auf der Homepage der BBC. (1) Seine oft schon aggressive Annäherung an seine Gesprächspartner begründete „Paxo” einmal so: „Ich frage mich einfach ständig, warum mich dieser lügende Bastard jetzt anlügt.” (2)

Mit dieser Art ist Paxman nicht unumstritten — und trotzdem einer der populärsten und höchstdekorierten Fernsehjournalisten Großbritanniens. Schnitt. Das ORF-„Sommergespräch” 2005 mit Wolfgang Schüssel war ein hartes, kritisches Interview, aber von einem paxmanesquen Verhör so weit entfernt wie der Wiener Volksgarten vom Hyde Park.

Trotzdem bekam die Redaktion tags darauf weit über hundert Mails und die meisten Absender waren empört: „Der Moderator agiert wie ein Rumpelstielschen (sic!) Ziemlich primitiv diese Art des Journalismus.” „Es geht nicht darum, irgendeinen Politiker ins Kolosseum zu zerren und ihn kunstgerecht abzuschlachten.” „Dilettantische Diskussionskultur!” „Unter jeder Kritik! … Die Redaktion müsste sich entschuldigen.” Und: „Die diesjährigen Sommergespräche sollten eher als ‚Sommerverhöre’ bezeichnet werden.”

Nach dem Gespräch mit FPÖ-Chef Strache wenige Tage zuvor hatte ein Anrufer gar befunden: „Diese rote Zecke Wolf gehört in die Gaskammer”, was die geduldigen Damen des ORF-Kundendiensts säuberlich notierten. Es kamen auch positive Kommentare, Glückwünsche und Komplimente — aber jedes durchschnittliche, etwas kritischere ZiB 2-Interview zeigt: Viele Seher wollen keine kontroversiellen Interviews sehen.

Politiker — bei all ihren Imageproblemen und Glaubwürdigkeitsdefiziten — gelten offenbar noch immer als Respektspersonen und je höher das Amt umso eher. Einen Gesprächspartner mit einer Nachfrage zu unterbrechen, betrachten viele Zuseher grundsätzlich als Zeichen übler Kinderstube („Ich habe schon als Kind gelernt, dass man den anderen ausreden lässt. Ihr Moderator offenbar nicht!”) und wird spätestens beim Regierungschef vollends unakzeptabel. Dem Bundespräsidenten, der gerne bedächtig, ausgewogen und differenziert argumentiert, ins Wort zu fallen, grenzt an Widerstand gegen die Statsgewalt und endgültig zum Sakrileg wird die Nachfrage bei Kirchenfürsten.

Nach einem Gespräch mit dem Wiener Erzbischof — dem man mitunter auch im Fernsehen anmerkt, dass er das Format einer Predigt gewöhnt ist (sehr viel Zeit und keine Fragen) — flatterte eine Ansichtskarte in die Redaktion: Gedruckt im Verlag „Barmherzigkeit International” und mit einem knappen handschriftlichen Bescheid an den Moderator versehen: „Du bist und bleibst eine Drecksau!!”

Aber natürlich gibt es auch ganz andere Interviews. Ein Interview ist schließlich nichts anderes als „eine Befragung oder ein Dialog, in dem der Interviewer Fragen stellt und der Interviewte Antworten gibt”, wie es ein renommiertes US-amerikanisches Wörterbuch der Mediensprache prägnant definiert. (3) Die allermeisten Gespräche, die Journalisten führen, gehen jedoch nie auf Sendung und werden niemals gedruckt. Denn Interviews sind „nicht nur eine Darstellungsform, sondern auch eine Methode des Recherchierens”. (4)

Jede zielgerichtete Befragung einer Auskunftsperson durch einen Journalisten ist bereits ein Interview — auch jedes Recherchegespräch. Aus den meisten solchen Befragungen schafft es kein wörtliches Statement in einen Artikel oder Beitrag, sie dienen lediglich der Informationsgewinnung. Oder es fallen einzelne „O-Töne” (Originaltöne) ab, die dann als Zitate erscheinen, eingearbeitet in einen längeren Text. Aber die Gesprächsform, um die es hier gehen soll, ist das „dialogische Interview” — das im angelsächsischen Sprachraum „Q & A” genannt wird: Question and Answer. Ein Gespräch also, das in Frage-Antwort-Form gedruckt oder gesendet wird, meistens —außer beim Live-Gespräch im Radio oder im Fernsehen — nach einer ausführlichen redaktionellen Überarbeitung.

Das Interview als journalistische Darstellungsform ist relativ jung. In amerikanischen Lehrbüchern wird sogar ein exaktes Geburtsdatum angegeben — der 16. April 1836. An diesem Tag erschien im New Yorker „Herald” die wörtliche Wiedergabe eines Gesprächs zwischen dem Reporter James Gordon Bennett und der Kronzeugin in einem Lustmord-Prozess. „Das erste formelle Interview, das in einer amerikanischen Zeitung veröffentlicht worden ist”, nennt es John Brady in seinem Standardwerk „The Craft of Interviewing”. (5)

Sehr schnell wird die neue Form populär — erst vor allem bei Kriminal- und Chronikreportern, später in Berichten über Celebrities aller Art. Zeitweise sind die Zeitungsseiten derart mit Interviews überfüllt, dass sich ein Kommentator 1886 beklagt: „Dieses amerikanische Interview ist erniedrigend für den Interviewer, ekelhaft für den Interviewten und ermüdend für das Publikum.” (6)

Zu dieser Zeit waren auch bereits die ersten Interviews mit Politikern erschienen — Andrew Johnson gilt als erster Präsident der USA (1865-1869), der sich wiederholt Gesprächen mit einem Journalisten stellte, die auch veröffentlicht werden durften. Damit wurde eine journalistische Form etabliert, die Reporter auf Augenhöhe mit jenen Politikern brachte, über die sie zu berichten hatten. „Der Journalist wollte nicht mehr nur Empfänger offiziöser Mitteilungen oder nur Multiplikator von Depeschen sein, sondern selbst auf die Beantwortung wichtiger oder vermeintlich wichtiger Fragen dringen”, schreibt Michael Haller im wichtigsten deutschsprachigen Lehrbuch zum Thema. Die Legitimation dafür war „der Anspruch der Bürger, über die Handlungsmaximen der Politiker authentisch ins Bild gesetzt zu werden”. (7)

Genau dieser „emanzipatorische Anspruch” (Haller) der Öffentlichkeit — vertreten durch die Medien — gegenüber der Politik macht Interviews mit politischen Entscheidungsträgern auch heute noch zu einer zentralen Form politischer Kommunikation. In einer Demokratie ist „politische Herrschaft […] zustimmungsabhängig und deshalb grundsätzlich begründungspflichtig. Beide, Zustimmung und Begründung, finden ihre Realisierung durch und in politischer Kommunikation”, argumentiert der Politologe Ulrich Sarinelli, der den Begriff „symbolische Politik” begründet hat. (8)

Demokratie ist ohne öffentlichen Diskurs nicht denkbar —Information und Kommunikation sind für die Bürger die unabdingbare Voraussetzung, um am politischen Prozess teilzuhaben. In der nationalen Politik (im Gegensatz zur kleinräumigeren Lokal- und auch zur Regionalpolitik) findet diese Kommunikation aber zum wesentlichen Teil nur mehr medial vermittelt statt. Für die „große Politik” stimmt das generalisierende Diktum von Niklas Luhmann tatsächlich: Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.” (9)

Die politischen Akteure (und ihre eigens dafür beschäftigten Spezialisten) versuchen, diese massenmediale Kommunikation so weit wie möglich — und immer weiter — zu kontrollieren. Professionelle Inszenierung und strategisches News Management sind zu integralen Bestandteilen moderner Politik geworden. (10) Eine der seltenen Gelegenheiten, in denen sich führende politische Entscheidungsträger kommunikativen Situationen ausgesetzt sehen, die sie nicht zum Großteil (vor-)inszenieren und kontrollieren können, sind eben Interviews, vor allem Live-Gespräche in Radio und Fernsehen.

Print-Interviews werden im deutschsprachigen Raum üblicherweise „autorisiert” — die geplante Druckfassung wird vom Interviewten bzw. von dessen Pressesprecher abgesegnet. Das hat den Vorteil, dass die veröffentlichten Zitate nicht mehr bestritten werden können und dokumentarischen Wert erhalten, aber auch den Nachteil, dass an der Druckversion häufig noch stunden- oder tagelang herumgebastelt wird. Nicht selten wird da versucht, im Nachhinein gerade die stärksten „Sager” und klarsten Aussagen, die im Gespräch quasi „passiert” sind, wieder zu entschärfen oder ganze Passagen neu zu formulieren (mitunter inklusive neuer Fragen!).

Trotzdem: Auch in Interviews mit Zeitungs- und Magazinjournalisten sind Politiker gezwungen, sich zu erklären, ihre Entscheidungen zu begründen, sich Widerspruch zu stellen und gegen Einwände zu rechtfertigen. All das eben, was sie in durchgestylten Wahlkampfauftritten, in Presseaussendungen, aber auch durch das immer restriktivere Setting von Pressekonferenzen (Fragen nur zu bestimmten Themen, kaum Nachfragen, keine Wortmeldungen von allzu kritischen Journalisten) vermeiden können. Die öffentliche „Begründungspflicht”, die Sarcinelli als konstitutiv für demokratische Politik ansieht („Legitimation durch Kommunikation”), wird in keiner anderen Form politischer Kommunikation so direkt eingefordert wie im kritischen Interview eines sachlich kompetenten Journalisten mit einem Entscheidungsträger.

Wie weit ein Interviewer dabei gehen darf — gerade im öffentlich-rechelichen Fernsehen — ist immer wieder umstritten. Nicht nur bei den Zuschern (siehe oben). Am 3. Mai 1988 etwa befasste sich die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes, die damalige Aufsichtsbehörde des ORF (11), mit einem berühmt gewordenen Gespräch: Hans Benedict und Peter Rabl hatten im „Inlandsreport” den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim über seine Kriegsvergangenheit befragt — sehr kritisch, sehr hart und stellenweise durchaus polemisch.

Die Rundfunk-Kommission war regelrecht entsetzt: Sie sah auf ihrem Videoband nur ein „so genanntes” Interview, in dem die Journalisten „in ihrer herablassenden, überheblich spöttischen Art […I offenbar mehr bemüht waren, ihre eigenen Auffassungen darzulegen”; sie kritisierte das „stereotype und obstinate Beharren auf einer Wortwahl” und eine „ungeheure Anmaßung”, schlicht „eine Missachtung des Bundespräsidenten” .

Ganz besonders erzürnte die Rundfunkrichter eine Überleitung Benedicts zu einer neuen Frage: „Herr Bundespräsident, bitte in einem Bereich, in dem wir vielleicht keine Erinnerungs- probleme haben …” Allein diese Passage zeige die „Parteilichkeit” des Journalisten, heißt es in dem Bescheid, weil er „die Ausdrucksweise ,wir haben’ in einer Art gebraucht, wie sie etwa der diensthabende Arzt eines Spitals gegenüber dem geistig nicht ganz auf der Höhe befindlichen Patienten (leider immer wieder) verwendet, etwa in der Art […] ,haben wir schon Stuhl gehabt’.”

Nur eines erregte die Rundfunk-Behörde noch mehr: dass Peter Rabl in zwei Fragen die Formulierung „in Wahrheit” verwendet hatte. Die Kommission war fassungslos: „Er verkündet also für den ORF die Wahrheit und hält diese Wahrheit, die er zu kennen meint, in einem frontalen Angriff des Bundespräsidenten vor […], woraus für den Zuseher folgt, dass eine gegenteilige Meinung wohl die Unwahrheit sei. Eine krassere Form der Parteilichkeit und der Einseitigkeit ist kaum vorstellbar.” (12)

Rabl und Benedict wurden — nach dieser Argumentation nicht weiter überraschend — wegen Verletzung des Rundfunkgesetzes verurteilt. Die damalige ORF-Führung wollte diesen Spruch nicht akzeptieren und berief dagegen vor dem Verfassungsgericht *, dessen richtungweisendes Erkenntnis bis heute den Rahmen für politische Gespräche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen setzt — schon allein durch seine schlichte Definition eines Interviews als „Sendeform, die aus kontroversieller Rede und Gegenrede besteht” (13).

Die Kontroverse, die Konfrontation unterschiedlicher Standpunkte, der Widerspruch wurden hier geradezu als Wesenselement eines Interviews festgeschrieben. Die Rolle des Journalisten erschöpfe sich eben „nicht in der Beisteuerung neutraler Stichworte für Statements des Interviewten”, argumentierten die Verfassungsrichter. Vielmehr seien auch „scharf ausgeprägte Standpunkte und provokant-kritische Stellungnahmen” zulässig. Mit gutem Grund: „Weil der Befragte dazu sogleich in freier Antwort selbst Stellung nehmen kann.” Der Fragesteller dürfe zwar nicht „gleichsam rechtsmissbräuchlich-willkürlich agieren” und ein „den Interviewten anprangerndes, Scherbengerich veranstalten”. Aber die Grenzen „akzeptabler kritisch-provokanter Fragestellung” seien bei einem im öffentlichen Leben stehenden Politiker „grundsätzlich weiter gezogen”.

Der ursprüngliche, negative Bescheid der Rundfunkkommission — der sich nach Meinung des Verfassungsgerichts „in spezifische Stil- und Taktprobleme und Fragen möglichen Wortüberschwangs verliert” — wurde aufgehoben. Die Verurteilung der beiden ORF-Journalisten hatte ihr „verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt”.

Die Bedeutung dieses Spruchs für politische Interviews im ORF kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und damit auch für die Möglichkeit, Entscheidungsträger öffentlich zur Erklärung, Begründung und Rechtfertigung politischer Maßnahmen, Pläne oder Versäumnisse zu bewegen. Für politische Akteure ist Kommunikation eine zentrale strategische Ressource. Die eigene öffentliche Erscheinung (Image, Themen-Agenda etc.) wird so wenig wie möglich dem Zufall — z. B. den letztlich unberechenbaren Fragen eines Interviewers — überlassen.

Immer häufiger werden Interviews deshalb von vornherein verweigert, solange das Thema nicht in die eigene Kommunikationsstrategie passt. Oder Politiker weichen in Talk-Shows aus, in denen sie sich als liebenswerte Menschen „wie du und ich” zeigen können, unbehelligt von kritischen Fragen. Falls eine Einladung zum politischen Interview aber doch angenommen wird, weil man sich davon mehr Gewinn als Risiko verspricht, gilt es für Politiker und ihre Berater, das Gespräch so weit wie möglich zu kontrollieren.

Spätestens an dieser Stelle ist ein verbreitetes Missverständnis aufzuklären: Ein Interview ist nur sehr vordergründig ein Dialog zwischen dem Fragesteller und dem Interviewten. In Wahrheit geht es natürlich um ein Gespräch vor und vor allem für Publikum. Das vermeintliche Zwiegespräch ist tatsächlich ein Dreiecks-Verhältnis: Leser, Seher und Hörer sind die wahren Adressaten von Frager und Befragtem. Oder wie es knapp und präzise in einem aktuellen Lehrbuch heißt: „Jedes Interview ist also ein Gespräch mit einem Zweiten für Dritte.” (14)

Journalist und Politiker stehen dabei in einem Grundkonflikt — vor dem selben Publikum verfolgen sie zwei grundsätzlich verschiedene Ziele: Aufklärung vs. Überzeugung. Der Journalist agiert als Vertreter und Anwalt der Seher und Leser — er konfrontiert einen Politiker mit Fragen, die sich potentielle Wähler stellen könnten und die ihnen helfen sollen, politische Entscheidungen oder Absichten besser zu verstehen. Nach einem alten Leitsatz der BBC geht es darum, den Zusehern zu ermöglichen, qualifizierter am demokratischen Diskurs teilzunehmen.

Politische Kommunikations-Profis sehen die Einladung in ein TV- Studio oder zu einem Zeitungsinterview freilich ganz anders: als Chance auf x Minuten freie Sendezeit vor Hunderttausenden Sehern (statt des üblichen 15-Sekunden-Soundbites in einem redaktionellen Beitrag) oder zur ausführlichen Eigenpromotion vor Hunderttausenden Lesern. Vor allem ein Live-Interview im Fernsehen, in dem nichts gekürzt oder geschnitten werden kann, gilt mittlerweile vielen Gästen schlicht als Gelegenheit für eine Art kostenlose Werbeeinschaltung möglichst zur Hauptsendezeit. Die Fragen des Interviewers sind aus dieser Warte lediglich störende Hindernisse, die im Idealfall einen Anknüpfungspunkt für die geplante Botschaft bieten. Falls nicht, wird eben versucht, sie möglichst elegant zu umschiffen oder schlicht zu ignorieren.

Oberstes Ziel ist jedenfalls Message Discipline. Stefan Wagner, ein führender österreichischer Medientrainer, spricht das ganz offen aus. In einem Lehrbuch, das sich nicht an Journalisten richtet, sondern eben an Interviewte, gibt er als wichtige Leitlinie vor: „Wer seine Botschaft im Medium platzieren möchte, nimmt den Umweg über Journalisten zwar gerne in Kauf, doch nur dann, wenn er ihn trotz lästiger Fragen zu seinem Publikum führt.” (15) Und dann werden da auf vielen Seiten „Tools”, „dramaturgische Strategien” und „thetorische Tricks” ausgebreitet, mit denen sich die Situation optimal ausnützen lässt. Immer unter dem Motto: „Niemand zwingt Sie oder kann von Ihnen verlangen, auf redaktionelle Ziele Rücksicht zu nehmen, die nicht die Ihren sind.” (16) Der frühere Fernseh-Journalist Klaus Edlinger, der heute Politiker und Manager trainiert, empfiehlt Interviewten dazu die „3 T” und versteht darunter Folgendes: „1. touch = die Frage kurz berühren, 2. turn = die Kurve kratzen, 3. tell = sagen, was man sagen will.” (17)

Das Ergebnis solcher Kommunikationsstrategien lässt sich nahezu täglich im Fernsehen besichtigen. Bereits 1986 hat der Publizistikwissenschaftler Klaus Merten anhand eines ausführlichen TV-Interviews von Helmut Kohl nachgewiesen, dass die Antworten des damaligen deutschen Bundeskanzlers in 23,6 Prozent inhaltlich „mit den gestellten Fragen nichts zu tun” hatten. Und bei weiteren 50,9 Prozent der Fragen replizierte Kohl zumindest „ungenau”, (18) Heutzutage wäre man als Fernseh-Interviewer allerdings über Gespräche, in denen zumindest rund ein Viertel der Fragen konkret beantwortet wird, durchaus dankbar. Es ist noch schlimmer geworden.

„Wer gibt, speziell in TV-Interviews, die leblosesten Flos- keln zum Besten?” fragte „Die Presse” kürzlich angeödet und regte einen „Wettbewerb im Leersprechen” unter heimischen Politikern an. Der „Falter” widmete dem Phänomen des zunehmend sinnentleerten politischen Interviews wenig später sogar eine ganze Titelge- schichte, mit dem nicht unzutreffenden Titel: „Bla blablablabla blabla.” (19) In seinem legendären Buch „The Image” hat der amerikanische Historiker Daniel Boorstin Interviews als prototypische „Pseudo-Events” kritisiert: Als Ereignisse, die lediglich geschaffen werden, damit die Medien etwas zu berichten haben. (20)

Tatsächlich: Im Gegensatz zu Erdbeben oder Zugsunglücken würden Interviews nicht stattfinden, gäbe es keine Journalisten. Trotzdem erfüllen sie — wie Medien an sich — in demokratischen Gesellschaften eine wesentliche Funktion, als besondere Form des öffentlichen Diskurses über Politik. Diese Besonderheit liegt eben in der Möglichkeit, stellvertretend für das Publikum Antworten, Erklärungen und Begründungen einzufordern. Wird auf diese Forderung nicht mehr eingegangen, sondern die Gesprächssituation lediglich zum Abspulen vorgefertigter Text- bausteine missbraucht, verliert sie jedoch ihren spezifischen Wert. Der Interviewer wird zum „O-Ton-Spediteur” degradiert.

Mark Twain hat ein Interview einmal knapp und treffend beschrieben: „Üblicherweise besteht es aus einem Interviewer, der Fragen stellt, und einem Interviewten, der sie beantwortet.” (21) Wenn diese wesentliche Regel jedoch beharrlich missachtet wird — und der Interviewte die gestellen Fragen einfach nicht beantwortet —, verkommt das vorgebliche Gespräch zur Pseudo-Kommunikation. Mit wenig Nutzen für das Publikum. Statt „kon- troversieller Rede und Gegenrede” hört es Wahlreden, die vom Interviewer bestenfalls kurz unterbrochen werden. Statt Argumentation: Propaganda.

Ob sich Politiker damit langfristig sehr viel Gutes tun, ist fraglich. In der „hochgradigen Ritualisierung und plakativen Formelhaftigkeit” vieler TV-Auftritte sah der Politologe Fritz Plasser schon vor mehr als zehn Jahren eine wesentliche Ursache für die verbreitete Politikerverdrossenheit. (22)

Aber immerhin: Sechs Minuten ZiB 2-Interview oder 45 Minuten „Sommergespräch” sind auf diese Weise durchaus unfallfrei zu überstehen. Die Botschaft ist durchgebracht, kein grober Fehler passiert und man hat sich auf nichts festgelegt, das einem später vorgehalten werden könnte. Und dass ein Journalist zwölf Mal nachfragt, wie Jeremy Paxman in der „Newsnight” der BBC, ist hierzulande nicht zu befürchten. Das mögen die österreichischen Zuschauer nicht. Und das wissen auch die Politiker.


(1) https://www.bbc.co.uk/programmes/p00r2912

(2) Zitiert nach: Screenonline: Paxman, Jeremy (1950-): http://www.screenonline.org.uk/people/id/ 571500/

(3) Weiner, Richard: Webster’s New World Dictionary of Media and Communications, New York 1996: 311. Im Original lautet die Definition: „Interview – a colloquy or dialogue, with the interviewer asking questions and the interviewee providing responses.”

(4) Noelle-Neumann, Elisabeth et al. (Hg.): Fischer Lexikon Publizistik/Massenkommunikation, Frankfurt 1997: 105

(5) Brady, John: The Craft of Interviewing, New York 1976: 223

(6) a. a. O.: 227

(7) Haller, Michael: Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten, Konstanz 2001: 25

(8) Sarcinelli, Ulrich: Repräsentation oder Diskurs? Zu Legitimität und Legitimationswandel durch politische Kommunikation. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 8. Jg., 2/98: 547-567

(9) Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1996: 9

(19) Zur Situation in Österreich grundsätzlich: Plasser, Fritz (Hg.): Politische Kommunikation in Österreich, Wien 2004 und noch aktueller: Hofer, Thomas: Spin-Doktoren in Osterreich, Wien 2005

(11) Seit der Neufassung des ORF-Gesetzes erfüllt diese Aufgabe der Bundeskommunikationssenat (http://www. bks.gv.at).

(12) Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes, Bescheid vom 3. Mai 1988, Z 438/ s-RFK/88

(13) Verfassungsgerichtshof, Erkenntnis vom 21. Juni 1989, B1701/88-13 B1847/88-10

(14) Wagner, Stefan: Das intoMedia-Prinzip. Strategische Inszenierung von Image und Inhalt in den Massenmedien, Wien 2006: 20

(15) a. a. O.: 22

(16) a. a. O.: 173. Die nützlichste Anleitung für Interviewer in Radio und TV ist im deutschsprachigen Raum übrigens noch immer der Beitrag von Rudolf Nagiller und Hans Besenböck in: Pürer, Heinz (Hg.): Praktischer Journalismus in Zeitung, Radio und Fernsehen, 4. Auflage, Salzburg 1996: 99-117. (Leider in der aktuellen, völlig überarbeiteten 5. Auflage von 2004 nicht mehr enthalten.)

(17) Zitiert nach: Kronen Zeitung vom 23. 8. 2005: 70

(18) Zitiert nach: Haller, Interview: 50

(19) Die Presse vom 17. 3. 2005: 3 bzw. FALTER vom 27. 4. 2005: 20

(20) Vgl. Boorstin, Daniel: The Image. A Guide to Pseudo-Events in America, New York 1992 (ursprgl. 1961): 11 ff.

(21) Zitiert nach Brady, Interviewing: 227

(22) Plasser, Fritz: Tele-Politik, Tele-Image und die Transformation politischer Führung. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 1993/4: 409-426

* Nachtrag: Wie ich nach der Veröffentlichung von Peter Rabl (via E-Mail) erfahren habe, hat nicht der ORF beim VfGH gegen den Bescheid der Rundfunkkommission berufen, sondern Rabl selbst als Betroffener.

Armin Wolf ist Journalist und TV-Moderator. Sein Blog befasst sich v.a. mit Medien und Politik.

Armin Wolf