Am 21. Oktober war es exakt 100 Jahre her, dass sich im Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse die Provisorische Nationalversammlung zusammengefunden hat – um nach dem Ende der Monarchie in Österreich eine Republik zu begründen (ausgerufen wurde sie erst drei Wochen später, am 12. November 1918). Zu diesem Jahrestag haben Nationalrat und Bundesrat eine Festsitzung abgehalten, bei der Politikberater Thomas Hofer eine Rede an die versammelten Abgeordneten gehalten hat, mit dem sehr grundsätzlichen Titel „Entscheidungsfragen der Gegenwart“. Thomas Hofer, den wir als blitzgescheiten Analytiker auch häufig für die ZiB2 interviewen, hat mir das Manuskript seiner sehr lesenswerten Rede als Gastbeitrag zur Verfügung gestellt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin gebeten worden, zu den politischen Herausforderungen des Jahres 2018 zu sprechen. Das ist keine kleine Aufgabe. Angesichts der historischen Schilderungen erscheinen tagespolitische Ereignisse immer ein Stück unbedeutender.
Von den Abgeordneten des Jahres 1918 heißt es, sie wären sich der historischen Tragweite ihres Tuns sehr bewusst gewesen. Wer kann das heute schon von sich behaupten? Damals kam es zu einer fühlbaren Zäsur, einem sichtbaren Anbrechen eines neuen Zeitalters.
Heute ist das anders. Ein Blick auf die jüngere Vergangenheit zeigt, wie wandelbar Ereignisse – und Einschätzungen geworden sind. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR rief Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ aus und prophezeite den globalen Triumph der liberalen Demokratie.15 Jahre später stellte Colin Crouch seine These von der „Postdemokratie“ auf, in der politische und wirtschaftliche Eliten die Bedürfnisse der breiten Masse manipulieren.
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