Nun hat Joe Biden doch seine Kandidatur zurückgezogen – erst als dritter US-Präsident in einem laufenden Wahlkampf (Truman 1952 und Johnson 1968 gab ihren überraschenden Verzicht allerdings schon Ende März bekannt). Wer ihm als Kandidat der Demokraten nachfolgt, entscheidet formal der Wahlparteitag ab 19. August in Chicago. Aber Biden hat schon heute seine Vizepräsidentin Kamala Harris vorgeschlagen – und damit wohl de facto einzementiert.
Gegen den mehrfach verurteilten Donald Trump wäre Harris an sich eine Kandidatin wie von Wahlkampf-Strategen auf dem Reißbrett entworfen: eine ehemalige Staatsanwältin und Chefanklägerin mit dem Image „tough on crime“ zu sein, eine Frau, schwarz, mit asiatischen Wurzeln.
Und trotzdem schlägt ihr – auch in ihrer eigenen Partei – sehr viel Skepsis entgegen. Als Vizepräsidentin hat sie sich nach anfänglichen Patzern kaum profiliert, ihre öffentlichen Auftritte wirken mitunter seltsam und ihre Umfragewerte sind kaum besser als die des Präsidenten. Aber es gibt auch US-Kommentator·innen, die Harris für schwer unterschätzt halten: Jenseits großer Bühnen sei sie charismatisch, schlagfertig, klug, fleißig und präzise – und ihr Imageproblem sei auch vom Weißen Haus produziert.
Sehr viel davon findet sich in diesem sehr langen, differenzierten und lesenswerten Porträt vom vergangenen Herbst, das informativste, das ich bisher kenne.
THE ATLANTIC, 10.10.2023