Das war ein seltsam zwiespältiger Abend für mich gestern. Ich habe ihn in der deutschen Stadt Marl verbracht, wo seit 1964 jedes Jahr der Grimme-Preis vergeben wird, der angesehenste Fernsehpreis im deutschen Sprachraum, benannt nach Adolf Grimme, einem der Gründerväter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.
Ich wurde dort gestern mit einer „besonderen Ehrung“ ausgezeichnet, was die Jury u.a. so begründet hat:
„Die Kenntnis der Hintergründe und Fakten sind Leitlinien seines Erkenntnisinteresses in der Berichterstattung, nicht das Vorurteil. Mit seiner Expertise und journalistischen Hartnäckigkeit klärt er auf und demaskiert demokratiezersetzende Strömungen in Gesellschaft und Politik.“
Ich habe mich über diese große Auszeichnung natürlich sehr gefreut und hatte bei der Preisverleihung einen wunderbaren Abend – bis ich auf meinem Handy vom jüngsten Interview des ehemaligen FPÖ-Vizekanzlers Norbert Steger gelesen habe. Steger ist schon seit über drei Jahrzehnten nicht mehr Vizekanzler, aber er sitzt seit einigen Jahren als FPÖ-Vertreter im ORF-Stiftungsrat (die im Nationalrat vertretenen Parteien dürfen insgesamt 6 der 35 Stiftungsräte nominieren).
Schon vor einigen Monaten hatte Steger ein Interview, das Claudia Reiterer und ich mit Vizekanzler Strache und Bundeskanzler Kurz geführt hatten, „unbotmäßig“ genannt, also – laut Duden – „sich nicht so verhaltend wie es (von der Obrigkeit) gefordert wird“. Aber gestern ging er in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten noch deutlich weiter.
Die künftigen Chefredakteure und Channel-Manager im ORF-Fernsehen, die demnächst besetzt werden sollen, müssten „Schritte in eine objektivere Berichterstattung“ setzen, fordert Steger – und lässt auch keinen Zweifel daran, wie er sich das vorstellt: „Von den Auslandskorrespondenten werden wir ein Drittel streichen, wenn diese sich nicht korrekt verhalten.“ Als Beispiel nennt er die Berichterstattung von Ernst Gelegs über die Ungarn-Wahl vor einer Woche. Die sei nämlich „einseitig“ gewesen.
Was er damit gemeint hat, kann man bei Martin Glier, dem Pressesprecher von FPÖ-Chef Strache, auf Twitter nachlesen: „Diese Anti-Orban-Hetze im ORF wird schön langsam ein bissi peinlich. Nehmt demokratische Wahlergebnisse zur Kenntnis, auch wenn sie euch nicht passen. #zib2“.
FPÖ-Stiftungsrat Steger fordert in den SN auch zum wiederholten Mal eine neue Social Media-Richtlinie für ORF-Redakteure und erklärt auch gleich: „Wer dagegen verstößt, wird zunächst verwarnt – und dann entlassen.“
Nun haben Stiftungsräte vielfältige Aufgaben, wie man im ORF-Gesetz nachlesen kann – die Verwarnung oder Entlassung von RedakteurInnen gehört allerdings ebenso wenig dazu wie die Streichung von Korrespondentenstellen, weil die Berichterstattung über befreundete Parteien nicht gefällt.
Es hat viele gute Gründe, warum die Einhaltung der Vorschriften des Rundfunkgesetzes über eine objektive, ausgewogene, unparteiische Berichterstattung nicht vom Stiftungsrat kontrolliert wird (den ja großteils politische Parteien, die Bundesregierung und die Landesregierungen besetzen), sondern eine unabhängige Behörde: die KommAustria. Die kann angerufen werden, wenn jemand vermutet, dass in der ORF-Berichterstattung das Objektivitätsgebot verletzt wurde.
Dass ein langjähriger Politiker, der von seiner Partei in den Stiftungsrat entsandt wurde, eher keine so geeignete Instanz ist, um über die Objektivität von Journalismus zu urteilen, ist eigentlich naheliegend. Dass ein Partei-Stiftungsrat aber auch noch gleich mit der Entlassung von Redakteuren oder dem Streichen von Stellen droht, wenn ihm die Berichterstattung nicht passt, ist in der langen Geschichte des ORF allerdings einmalig.
Die ORF-Redakteursvertretung nennt es in einer Aussendung heute „einen Tiefpunkt der Medienpolitik“. Es gehe Steger offensichtlich vor allem um die Durchsetzung von Parteiinteressen: „Kritische RedakteurInnen sollen mundtot gemacht werden.“ Die Redakteursvertretung spricht von „Einschüchterung“ und einer „Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.
Schon nach der letzten Generaldirektor-Wahl hatte Steger vor Journalisten erklärt, er habe bereits ein neues ORF-Gesetz „in der Schublade“. Bei den Koalitionsgesprächen war er einer der offiziellen FPÖ-Verhandler zum Kapitel Medienpolitik. Und laut einer Vereinbarung zwischen ÖVP und FPÖ soll Steger der nächste Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates werden.
Ich wüsste sehr gerne, was Rundfunk-Pionier Adolf Grimme dazu einfiele. In seiner Antrittsrede als erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks im Jahr 1948 (!) sagte er jedenfalls folgendes:
„Ist doch der Rundfunk kein Instrument bestimmter Gruppen und Mächte. Er ist ein Instrument des Dienstes am ganzen Volk. … In ihm kommen Vertreter der SPD und CDU wie jeder anderen Partei zu Wort, die das Prinzip der Achtung jeder Überzeugung vertritt, dies Grundprinzip des demokratischen Zusammenlebens; doch darum wird er nicht selbst Machtinstrument der SPD und keins der CDU noch irgendeines sonstigen parteipolitischen Gebildes.“
Grimmes berühmte Antrittsrede trug den Titel „Das Ethos des Rundfunks“ – und gegen Ende dieser Rede sagt er noch etwas über die Journalisten in seinem Sender: „Hier gibt es keine Untertanen.“
Ich muss gestehen, ich habe die sehr alte Rede von Herrn Grimme deutlich lieber gelesen als das jüngste Interview von Herrn Steger.
NACHTRAG vom 16.4.2018:
Mittlerweile berichten neben allen österreichischen Tageszeitungen auch alle wichtigen deutschen Medien über Stegers Drohungen gegen ORF-JournalistInnen, etwa die SÜDDEUTSCHE, die FAZ, die WELT, der DEUTSCHLANDFUNK oder der SPIEGEL.