Ich habe mir zum Jahresabschluss eine hübsche Idee eines New York Times-Kolumnisten ausgeborgt. Er hat die Redaktionsleiter wichtiger US-Medien gefragt, welche Geschichte aus ihrem Medium man zum Jahresende nochmal lesen sollte. Entstanden ist so eine wirklich interessante Liste.
Aber es ist natürlich eine US-amerikanische Sammlung. Deshalb habe ich diese Woche die ChefredakteurInnen von österreichischen Tageszeitungen und Magazinen um die Geschichten aus ihren Medien gebeten, die man „dieses Jahr gelesen haben sollte“.
Die einzigen Bedingungen waren: Pro Zeitung nur ein Text und alle Artikel sollten im Netz frei zugänglich sein. Und das ist das Ergebnis (chronologisch nach Erscheinen gereiht):
Die TIROLER TAGESZEITUNG hat das Jahr eher pessimistisch begonnen. Michael Sprenger sprach mit Franz Fischler über die EU: „Europa steht am Abgrund“
Wenige Tage später hat Gerold Riedmann in den VORARLBERGER NACHRICHTEN eine Gesprächs-Serie mit dem 70jährigen Alt-Landeshauptmann Herbert Sausgruber gestartet. In ihrem ersten Treffen geht es um Gemeinschaft, Identität und Feindbilder: „Das offene Wir“
Für den KURIER haben Paul Batruel, Thomas Trescher und Peter Draxler eine aufwändige Multimedia-Reportage produziert – über einen 24jährigen Vorarlberger, der als Freiwilliger in der Ukraine gegen russische Soldaten und im Irak und Syrien gegen den IS gekämpft hat. Die Geschichte ist auch in der Zeitung erschienen, online funktioniert sie mit Videos, Fotos und Karten aber noch besser: „Fischer zieht in den Krieg“
Auch NEWS hat einige Monate später einen Österreicher porträtiert, der gegen den IS in den Krieg gezogen ist. Christoph Lehermayr und Saskia Wolfesberger haben den 34jährigen Wiener Familienvater getroffen: „Ein Österreicher im Antiterrorkrieg“
Der spannendste heimische Wahlkampf seit vielen Jahren hat im Mai mit einem völlig überraschenden Rücktritt begonnen: dem von Reinhold Mitterlehner. Im TREND hat Andreas Weber nur wenige Tage später ein detailpralles Protokoll des spektakulären Abgangs veröffentlicht: „Macht euren Dreck alleine“
Für die WIENER ZEITUNG hat sich Solmaz Khorsand die von vielen gefeierte Organisatorin einer „Oma-Revolte“ näher angeschaut – und eine langjährige rechtsextreme Aktivistin gefunden: „Oma von rechts“
Kann man vom „Helfen“ abhängig werden? Delna Antia von BIBER hat fünf „Flüchtlings-Mütter“ für eine beeindruckende Reportage getroffen: „Droge Flüchtling – Frauen im Helferrausch“
Auf der Website der SALZBURGER NACHRICHTEN hat User „Hans Wurscht“ innerhalb von drei Jahren 9.319 Kommentare gepostet. Gudrun Doringer hat versucht, mit ihm eine Art Gespräch zu führen: „Ein Troll trollt sich“
Auf keinen anderen Text hat DATUM im Jahr 2017 so viele Reaktionen bekommen, wie auf das Porträt der 82jährigen Grete, die an Demenz und Parkinson erkrankt ist. Stefan Apfl hat es aufgeschrieben. Ich weiß noch, dass ich beim Lesen geweint habe: „Jo mei“
FLEISCH müsste natürlich seine „Letzte Ausfahrt“ mit Christian Kern nominieren, finde ich, aber daraus ist ein Buch geworden und der Text steht nicht online. Dafür gibt es aber Christoph Wagners Versuch, mit Sprüchen von Sebastian Kurz in der Pratersauna sowas wie Anschluss zu finden: „Being Sebastian Kurz“
Im FALTER beschreibt Sibylle Hamann anlässlich der #metoo-Debatte, wie unterschiedlich Frauen und Männer die Welt erleben – und warum wir dringend darüber reden sollten: „Von allein merkt der andere nie etwas“
Wenige Geschichten haben 2017 soviel Aufsehen erregt wie Nicola Werdeniggs berührendes Gespräch mit dem STANDARD über Missbrauch im heimischen Schisport, aufgezeichnet von Philip Bauer: „Es hat Übergriffe gegeben. Von Trainern, Betreuern, Kollegen“
Die PRESSE beschäftigt sich ja gerne mit den grundlegenden Fragen unserer Existenz – wie dem Rätsel „Was ist Glück?“ Die Antwort hat Anfang Dezember Karl Gaulhofer versucht. Zu seinem Glück hat sein Chef diesen Text nominiert: „Der scheue Vogel lässt sich nicht vermessen“
Die meistdiskutierte Affäre des vergangenen Wahlkampfs hat im großen Jahresrückblicks-Heft von PROFIL Gernot Bauer bilanziert: „Nichts als die Wahrheit: Hat Silberstein die Wahlen entschieden?“
Die Rolling Stones waren in Spielberg. Und Gerhard Nöhrer von der KLEINEN ZEITUNG durfte die berühmten Herren hinter der Bühne besuchen. Exakt sieben Minuten lang und unter klaren Auflagen: „Nicht küssen – und ist jemand verkühlt?“
Und den aktuellsten Text haben am vorletzten Tag des Jahres die OBERÖSTERREICHISCHEN NACHRICHEN online gestellt. Christoph Zöpfl über einen Mann, der 2017 mehr als 15.000 Kilometer gelaufen ist: „365 Marathons in 365 Tagen“
Und wenn Sie auch was schauen wollen: Unter den vielen großartigen ORF-Sendungen dieses Jahres hat mir eine AM SCHAUPLATZ-Reportage besonders gut gefallen, für die Nina Horowitz vor ein paar Tagen mit dem Renner-Preis ausgezeichnet wurde. Ein wunderbarer Film über die Menschen, die unseren Müll wegräumen. Und über Würde: „Letzter Dreck“
Und die Fernsehgeschichte, die mich 2017 am meisten beschäftigt hat, war eine sehr persönliche. Für unsere ZiB 2-Sommerserie habe ich das Olympische Dorf in Innsbruck besucht, wo ich in den 1970er und 80er Jahren aufgewachsen bin und schon sehr lange nicht mehr war. Meine ZiB 2-Homestory:
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Gutes neues Jahr allseits!