Opfer und Täter zugleich. JournalistInnen als Adressaten und Kontrukteure medialer Inszenierungen von Politik

In: Filzmaier, Peter/Karmasin, Matthias/Klepp, Cornelia (Hg.): Politik und Medien. Medien und Politik. Wien 2006: 51-66


Für das Verhältnis zwischen Medien und Politik in Österreich war das Frühjahr 2005 eine aufschlussreiche Zeit. Drei Episoden aus diesen Monaten illustrieren beispielhaft bestimmte Entwicklungen in diesem an sich prekären Verhältnis, um die es im Folgenden gehen soll.

Am 17. März 2005 ist Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zu Gast in der Fernseh-Talkshow Vera. Zu diesem Zeitpunkt tobt der FPÖ-interne Fraktionskampf, der zwei Wochen später zur Parteispaltung führen sollte, bereits seit einigen Tagen. Der ÖVP-Chef hat sich bis zu diesem Donnerstag mit keinem Wort zur Existenzkrise seines Koalitionspartners geäußert. Um 21.35 Uhr nimmt er auf der Couch von Vera Platz. Und in den nächsten 15 Minuten werden ihm von der Gastgeberin u. a. folgende Fragen gestellt:

„Sie feiern heuer auch ein großes Jubiläum: 60 Jahre Wolfgang Schüssel …”
„Gerade in diesem Jahr der Jubiläen sind Sie bei vielen Festakten unterwegs. Denken Sie da auch mehr als sonst an ihre Kindheit zurück?”
„Sie sind in die Nachkriegszeit hinein geboren worden, in eine arme Zeit. Was haben Sie am meisten vermisst an materiellen Dingen?”
„Ich gehe gerne Eislaufen und auf dem Eislaufplatz, auf den ich immer gehe, erzählt man mir ganz stolz, dass Sie dort regelmäßig Eishockey spielen. Ist das auch richtig?”
„Leider haben wir nicht die Zeit alle Ihre Hobbys aufzuzählen. Sie sind Fußball-Spieler, das sieht man immer wieder in der Zeitung. Ein begeisterter Schifahrer, ein Tourengeher, was auch noch alles. Ich frage mich — das ist mir wirklich ein Rätsel — wie schafft man als Bundeskanzler mit einem blattlvollen Terminkalender so viele Hobbys und wie es scheint auch noch eine sehr intakte Familie —das alles unter einen Hut zu bringen?”

Nun könnte man einwenden, Vera sei eben keine Nachrichtensendung und kein Politikmagazin. Dort müsste man den Kanzler zu seinem Koalitionspartner befragen. Und das stimmt. Das Problem ist nur: Der Bundeskanzler nahm zu dieser Zeit keine Einladung in eine Politiksendung an. Er ging zu Vera.

Andreas Dörner (2001) hat dafür den Begriff Politainment in die deutschsprachige Debatte eingeführt — für die Verschmelzung von Unterhaltung und Politik. (1) Wenn Politiker lieber in Talkshows oder zu Wetten, dass… kommen als in ein Politikmagazin, weil sie wissen, dass sie dort nicht kritisch befragt werden, sondern sich als Menschen zeigen können, mit Hobbys, Wünschen und Sorgen wie die Zuseher (meist Zuseherinnen übrigens) vor dem Fernsehschirm.

Das Kalkül von Herrn Schüssel ist dabei natürlich nachvollziehbar. Jeder Regierungspolitiker würde in dieser Situation lieber über seine Hobbys reden als über den Zustand der FPÖ. Aber dass er das kann, setzt auch voraus, dass er in dieser Situation in eine Unterhaltungssendung eingeladen wird.

Und hier stellt sich zum ersten Mal die Frage: Wer ist eigentlich Opfer und wer ist Täter? Wer ist verantwortlich für diese seltsame Form von Depolitisierung? Wir sehen einen Politiker 15 Minuten lang im Fernsehen reden. Und es geht in keiner einzigen Frage um Politik. Und doch ist es Politik — Image-Politik: „Mensch Schüssel” eben. Durchaus nützlich für einen Politiker, dem jede Meinungsumfrage zwar hohe Kompetenzwerte zumisst, aber ein erhebliches Defizit in allem, was menschelt.

E-Politik vs. U-Politik

In der Musik gibt es die etwas unscharfen Begriffe E- und U-Musik. Ich möchte das — in Anlehnung an Peter Radunski (1996, 34) — auf die Politik umlegen und zwischen E-Politik und U-Politik, also zwischen Ernster Politik und Unterhaltungs-Politik, unterscheiden.

Ernste Politik wäre es, wenn sich Herr Schüssel von einem/einer kompetenten Gesprächspartnerln über Themen befragen ließe, aus denen sich die Zuseherlnnen ein besseres Bild machen könnten, ob sie Herrn Schüssel und seine Partei beim nächsten Mal wählen sollen. Und wir wollen hier einmal hoffen, dass das nicht nach der Frage entschieden wird, wie oft oder wie gut Herr Schüssel Cello spielt. Was in Vera zu sehen war, ist hingegen Unterhaltungspolitik: Es sieht ein bisschen wie Politik aus, lässt aber anschließend keineN ZuseherIn qualifizierter am demokratischen Diskurs teilhaben.

Kommen wir zum zweiten Beispiel. Im Frühjahr 2005 sahen wir auf vielen Fotos den Finanzminister der Republik im amourösen Nahkampf mit einer Frau, die nicht seine damalige Verlobte war. Diese Bilder, die zuerst in der Zeitschrift News veröffentlicht wurden, waren ein Tabubruch im österreichischen Journalismus und im Verhältnis zwischen Medien und Politik in diesem Land. Bis dahin galt eine eherne Grundregel im — ansonsten mit Regeln eher schlampigen — heimischen Journalismus und die lautete: Über das Privatleben von PolitikerInnen wird nicht berichtet, solange es nicht unmittelbar mit ihrer Amtsführung zu tun hat.

Deshalb war auch die erste Ausnahme der Fall Thomas Klestil. Und deshalb hatten wir das Wort „Affäre” bei Karl-Heinz Grasser zuvor nur in Kombination mit dem Wort „Homepage” gehört. In den USA würden solche Bilder nicht weiter überraschen. Die Re- cherchen über außereheliche Eskapaden von Politikern werden dort ganz schlicht begründet: If his wife cannot trust him, how shall the nation trust him? Das scheint mir eine etwas billige Legitimation für diese Art von Voyeurismus und ich bin nach wie vor ein Anhänger der österreichischen Tradition, dass keineswegs alles Private politisch ist und auch Politikerlnnen ein Anrecht auf ein unbeobachtetes Privatleben haben.

Allerdings: Ist trotzdem so klar, wer in diesem konkreten Fall der Täter war und wer ein Opfer? Zu Regeln gehört eben auch, dass sich alle Beteiligten daran halten. Und wer beansprucht, dass über die eigenen Affären nichts an die Öffentlichkeit gelangt, sollte diese zumindest nicht allzu öffentlich ausleben. Wer vor mehreren hundert Menschen auf einem der belebtesten Flughäfen Europas herumknutscht und sich dabei auch noch freizügig von Touristen- gruppen fotografieren lässt, legt offenbar keinen gesteigerten Wert auf Diskretion.

Und dieses Verhalten zeigt noch etwas darüber hinaus: die offensichtliche Abwesenheit politischen Einschätzungsvermögens: Was geht noch und was geht nicht mehr? Und hier wird die Sache bereits wieder politisch. Herr Grasser sieht das anders. Er hat angekündigt, sämtliche Medien, die diese Fotos abgedruckt haben, zu klagen. (2) Aber egal, wie die Prozesse letztlich ausgehen: Diese Bilder waren jedenfalls ein Dammbruch. Die Kombination aus neuer Toleranzgrenze in den Medien und massenhafter Ver- breitung von Foto-Handys wird die Barriere zwischen privat und öffentlich in den nächsten Jahren auch in Österreich dramatisch verschieben. Das wird den politischen Diskurs nicht gehaltvoller machen.

Denn man würde sich doch wünschen, dass Herr Grasser an seiner Bilanz als Finanzminister gemessen wird und an seinem Verhalten als Politiker. Aber nicht daran, ob der Lieblingsschwiegersohn des Landes durch öffentliches Schmusen mit einer Jetset-Diva die Schwiegermütter des Landes nachhaltig verstört.

Beispiel Nummer Drei: Der so genannte „Reformdialog” der Regierung zum Thema Arbeitslosigkeit vom 1. Mai 2005. Tags darauf sind in österreichischen Tageszeitungen 14 verschiedene Artikel mit insgesamt 449 Zeilen über diesen „Reformdialog” erschienen. Da muss also einiges los gewesen sein, müsste man glauben. War aber nicht.

Zwar wurde eine zusätzliche Milliarde Euro an Infrastruktur-Investitionen bekannt gegeben. Aber die wurde ja nun keineswegs bei diesem „Arbeitsmarkt-Gipfel” ausgehandelt, sondern vorher fixiert. Auf dem „Gipfel” wurde überhaupt nicht ausgehandelt. Die Regierung hat verkündet, was sie sich vorher Schlagzeilenträchtiges ausgedacht hat. Die Opposition wiederum sprach erwartungsgemäß von „Null-Ergebnis”. Und Der Standard titelte am nächsten Tag wahrheitsgetreu: „Heiße Luft am Gipfel”.

Inszenierung als Schlagbilder-Produktion

Daniel Boorstin hat 1961 in seinem richtungweisenden Buch „The Image” den Begriff Pseudo-Event geprägt: Ein Ereignis, dass ausschließlich stattfindet, damit darüber berichtet wird. Ein Ereignis, dass es ohne Medien nicht gäbe, weil es nur für Medien gemacht wird. Wie der „Reformdialog” vom 1. Mai zum Beispiel. Oder all die anderen „Gipfel” der letzten Monate, die einen daran erinnern, dass Österreich tatsächlich ein Gebirgsland ist. Auch politisch.

Solche Pseudo-Ereignisse sind eine typische Variante medialer Inszenierung von Politik. Wobei man Inszenierung wörtlich verstehen kann, als „in Szene setzen”, was das Wort ja ursprünglich bedeutet. Michael Diers hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Schlagbilder” in die politische Kommunikationsforschung eingeführt, analog zur Schlagzeile und zum Schlagwort. Schlagbilder sind Bilder, „über die in der Öffentlichkeit politische Vorstellungs- und Erscheinungsbilder geformt und propagiert werden”, schreibt Diers (1997, 13). Die mediale Inszenierung von Politik möchte ich ihn Anlehnung dran als die zielgerichtete Produktion von Schlagbildern definieren.

Am 1. Mai 2005 sollte das Bild geformt und propagiert werden, dass sich die Regierung sehr wohl jenes Problems annimmt, dass die Wähler derzeit laut Umfragen am meisten beschäftigt: Die Arbeitslosigkeit. Das Datum war natürlich mit Bedacht gewählt — der „Tag der Arbeit”. Und die Regierung arbeitet auch am Feiertag. Und nicht zufällig hieß die Veranstaltung Reformdialog. Eine Reform ist laut Wörterbuch eine „Veränderung hin zum Besseren”. Und außerdem das politische Narrativ der ÖVP, die sich nach Aussage ihres Wahlkampf-Chefs als die Reform-Partei Österreichs positionieren will. Das Wort Dialog ist wahrscheinlich noch positiver besetzt. Auch wenn es mit einem Dialog nur wenig zu tun hat, wenn Vertreter aller Parteien und Verbände ihre vorbereiteten Statements vortragen. Aber man suggeriert: die Opposition ist eingebunden, man hört sich ihre Vorschläge an, entscheidet nicht im Alleingang

Rüstungswettlauf und politisch-medialer Komplex

An diesen Beispielen politischer Inszenierungen lassen sich zwei große Trends festmachen, die in den letzten Jahren in der politischen Kommunikation in Österreich zu beobachten sind:

— ein Trend zur Professionalisierung und
— ein Trend zur Polarisierung.

Politische Öffentlichkeitsarbeit war in Österreich lange eine Angelegenheit von ein paar Parteisekretärlnnen und PressesprecherInnen. Vor einem wichtigen Fernseh-Auftritt wurde ein ehemaliger Nachrichtensprecher konsultiert, der hellblaue Hemden mit bordeauxroten Krawatten und kurze, langsam gesprochene Sätzen empfahl — das galt damals schon als Amerikanisierung.

Heute kann man in der Branchen-Zeitschrift Der österreichische Journalist ein Inserat der Magistratsabteilung für Öffentlichkeitsarbeit im Wiener Rathaus finden, mit den Pressesprecherlnnen der Stadtregierung. Es sind exakt 30. Ich möchte behaupten, dass damit mehr Pressesprecherlnnen im Wiener Rathaus arbeiten als hauptberufliche JournalistInnen in der Berichterstattung über Wiener Politik. Und zwar deutlich mehr. Allein die Umweltstadträtin hat drei Pressesprecherlnnen. Der Bürgermeister sowieso. Die Öffentlichkeitsarbeiterlnnen der Stadtparteien und verschiedenster kommunaler Einrichtungen sind hier noch gar nicht eingerechnet. Und das ist nur eines von vielen möglichen Beispielen.

Nahezu jedeR Bundesministerln beschäftigt mittlenweile zwei Presse-SprecherInnen — zusätzlich zu Presseabteilung des Ministeriums. JouralistInnen sind mit einem politischen Apparat konfrontiert, der massiv aufgerüstet hat. Während in den Redaktionen tendenziell eher das Gegenteil der Fall ist. Eine sehr große Innenpolitik-Redaktion in einer österreichischen Tageszeitung verfügt über sechs oder sieben RedakteurInnen. Die sind für alles zuständig, vom Frauenministerium bis zur Eurofighter-Beschaffung, von der Pensionsreform bis zur Bildungspolitik, von der E-card bis zum Kärntner Ortstafel-Streit. In einer kleineren Innenpolitik-Redaktion finden Sie drei oder vier Redakteurlnnen und in manchen gar nur einen. Die Tiroler Tageszeitung zum Beispiel, immerhin eine der wichtigsten und größten Bundesländerzeitungen dieses Landes, beschäftigt in Wien noch genau einen Korrespondenten für Innenpolitik.

Die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen der Politik sind aber nicht nur mehr geworden — sie arbeiten auch immer professioneller. Das beginnt bei banalen Kleinigkeiten. Kein politischer Profi hält heute seine Pressekonferenz noch vor der braunen Holzvertäfelung des Wiener Cafe Landtmann ab. Das Mindeste ist eine anständig designte Plakatwand mit einem griffigen Slogan, vor der man spricht.

Der Kommunikationsprofi weiß allerdings auch, dass selbst die spannendste Pressekonferenz bildmäßig eher Fadesse verströmt. Also wird ein optisch spannenderes Event organisiert: Die Regierung besucht gemeinsam den Zoo. Oder sie erntet Weintrauben. Der SPÖ-Chef zeigt sich in der Chemie Linz „startklar” “. Alles natürlich vor TV-Kameras und Fotografen. Und die Grünen bilanzieren „1 Jahr Schwarz- Blau” — vor einem regelrechten Bühnenbild voller Requisiten. Ebenso wie Jörg Haider, wenn er gegen die Großbanken mobilisiert. Oder er gibt Al Jazeera ein Interview – mit einem Falken auf der Schulter. Jeder Schülerverein weiß mittlerweile, dass er ein Schlagbild produzieren muss, um ein Foto in der Zeitung oder einen Auftritt im Fernsehen zu bekommen. Also überreicht man der Unterrichtsministerin die längste Protest-Unterschriftenliste der Welt.

Und was tun wir JournalistInnen? Wir fotografieren es und drucken es und filmen es und senden es.

Warum eigentlich? Vielleicht wäre mehr Selbstbeschränkung angesagt? Unter dem Motto: Da ist nichts Relevantes passiert, also verschwenden wir damit keine Zeitungsspalten und keine Sendezeit. Denn dass die Politik immer mehr zur Event-Politik wird, geschieht ja nicht aus Langeweile ihrer PressesprecherInnen. Sondern weil diese von den JournalistInnen gelernt haben, dass die Auftrittschancen umso größer werden, je ungewöhnlicher und spektakulärer die Bilder sind, die sie anliefern. Frag nach bei Greenpeace!

Auch hier stellt sich also die Frage: Wer ist Opfer und wer ist Täter? Der die Inszenierung liefert, weil er weiß, dass sie genommen wird oder der, der sie nimmt?

Jetzt ist natürlich nicht jede Inszenierung von Politik abzulehnen, im Gegenteil. In einer Demokratie muss Politik öffentlich dargestellt werden. „Politische Herrschaft ist zustimmungsabhängig und deshalb grundsätzlich begründungspflichtig”, sagt Ulrich Sarcinelli (1998a, 551). Gegen die Darstellung von Politik ist also nichts zu sagen. Problematisch wird sie dort, wo die dargestellte Politik mit der hergestellten nur mehr wenig oder möglicherweise gar nichts zu tun hat. Wo die Darstellung die Herstellung verdeckt. Oder noch schlimmer: Wo die Darstellung eine Politik vortäuscht, die gar nicht hergestellt wird.

Die USA haben in den 1970er und 80er Jahre zwei große Entwicklungstrends im Verhältnis zwischen Politik und Medien erlebt: Das eine war ein dramatischer Vertrauensverlust im Zuge der Berichterstattung über den Vietnam-Krieg und die Watergate-Affäre (vgl. Patterson 1998). Erstmals wurde deutlich, dass die Regierung die Öffentlichkeit über lange Zeit hinweg systematisch belügt. Gleichzeitig bekam die Politik aber auch den Einfluss der Medien zu spüren. Von Lyndon B. Johnson ist ein berühmtes Zitat über den damaligen CBS-Anchor Walter Cronkite überliefert, der sich immer kritischer zum Vietnam-Krieg geäußert hatte: „If l’ve lost Cronkite, l’ve lost Middle America.”

Und die Watergate-Berichterstattung hat nicht nur Richard Nixon gestürzt, sondern den investigativen Journalismus populär gemacht. Die Folge war ein zunehmend antagonistisches Verhältnis zwischen Medien und Politik. Politische JournalistInnen verstanden sich nicht mehr als Teil des politischen Establishments wie noch in den 1960er Jahren und PolitikerInnen wussten, dass sie sich nicht mehr auf die Kooperation der führenden politischen JournalistInnen verlassen konnten. (3)

Das Verhältnis zwischen politischen und medialen Eliten ist seither vor allem von Misstrauen und Skepsis bestimmt. Damit einher ging der gewaltige Aufschwung des politischen Marketings, der Dauer-Inszenierung von Politik. Die Anpassung der Präsentation von Politik an die redaktionelle Logik, vor allem an die Anforderungen des Fernsehens. Damit hat so etwas begonnen wie ein Rüstungswettlauf um die Vorherrschaft im politisch-medialen Komplex. Die einen rüsten ihre PR-Stäbe auf, die anderen versuchen, das beständige Inszenierungsbombardement zu unterlaufen. Und beide Seiten leben dabei ständig im Gefühl, vom anderen gelegt zu werden.

Neusprech und Leersprech

Ganz ähnlich hat sich das auch in Österreich entwickelt, wo es nicht Watergate und Vietnam gab, sondern den Bauring- und den AKH-Skandal, die Lucona-Affäre und die Waldheim-Diskussion. Und wo mit dem Rundfunk- Volksbegehren, der Informationsexplosion im ORF, der Gründung des Profil und einer Entwicklung weg vom Verlautbarungsjournalismus im Rundfunk und in den Tageszeitungen ebenfalls eine neue Art der Politikbe- richterstattung entstanden ist. (Vgl. Lengauer et. al. 2004)

Dafür gibt es viele sichtbare Anzeichen: dass ein immer größerer Teil der Berichterstattung auf Meta-Themen entfällt, wo nicht nur mehr nüchtern darüber berichtet wird, was passiert, sondern auch, welche Interessen und Motive dahinter stecken könnten, wem es nützt und wem es schadet, wer sich durchgesetzt und wer verloren hat. Damit verbunden ist auch der Boom des Umfrage-Journalimus. Politik wird immer öfter als Wettkampf rezipiert, horse race-journalism eben.

Das dominierende Muster in der Politikberichterstattung ist der Konflikt: 45 Prozent der politischen Beiträge in österreichischen Printmedien und im Rundfunk in der zweiten Jahreshälfte 2003 hatten eine Kontroverse im Mittelpunkt. 30 Prozent der Aufmacher in Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen befassten sich mit „Konflikten, Krisen, Protesten, Skandalen und Affären”. Und knapp die Hälfte aller Beiträge verbreitet, so eine aufwändige Untersuchung der Gruppe Mediawatch, ,ein insgesamt negatives Bild der Politik” (a. a. O., 174ff.)

Der kommentierende, interpretative und analytische Journalismus hat einen enormen Aufschwung erlebt. Und damit einher geht eine Verknappung der Selbstdarstellungsmöglichkeiten von Politik. Der durchschnittliche Originalton, also Redeausschnitt, eines Politikers im Fernsehen war in Österreich 2003 knapp 15 Sekunden lang. Es gibt keine verlässlichen Daten im Zeitvergleich, obwohl man sicher sagen kann, dass das aus den USA bekannte Phänomen des shrinking sound bites auch hierzulande festzustellen ist.

In den US-Networks ist der durchschnittliche Originalton eines Politikers von 42 Sekunden im Jahr 1968 auf 7,8 Sekunden im Jahr 2000 geschrumpft. Die gleiche Tendenz gibt es übrigens auch bei Zitaten in Printmedien, die ein Journalist der Washington Post mal sehr hübsch inkbites nannte: Zwischen 1960 und 1992 hat sich die Länge der direkten oder indirekten Politikerzitate auf der Titelseite der New York Times mehr als halbiert, von 20 Zeilen auf 7. Das durchschnittliche Politiker-Zitat in einer österreichischen Tageszeitung hat heute 71 Anschläge (a.a. O., 197f.) — auf Sprechtempo umgerechnet sind das knapp 5 Sekunden.

Das reicht auch völlig, könnte man einwenden, denn die Politiker sagen in Interviews ohnehin nichts mehr. Und dafür reichen auch ein paar Zeilen oder Sekunden. Die Presse (17. 5. 2003, 3) hat kürzlich von einem „Wettbewerb im Leersprechen” geschrieben: „Wer gibt, speziell in TV-Interviews, die leblosesten Floskeln zum Besten?”. Die Zeitung hat sogar ein „Leersprech-Ranking” erstellt: Auf Platz eins die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, gefolgt von ÖVP-Fraktionschef Wilhelm Molterer. Auf Platz drei ex aequo: Familienministerin Ursula Haubner und SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer. Der Falter (27. 4. 2005, 20) hat diesem Phänomen sogar eine ganze Titelgeschichte gewidmet mit dem hübschen — und nicht unzutreffenden — Titel: „Bla blablablabla blabla”.

Aber auch das kann man natürlich von einer anderen Seite sehen: EinE PolitikerIn würde wahrscheinlich sagen, dass die JournalistInnen die Schuld dafür tragen. Weil sie in jeder klaren Aussage oder Festlegung sofort einen Widerspruch suchen, zu früher oder zu ParteikollegInnen oder zum Koalitionspartner, um daraus einen Konflikt oder gleich eine Regierungskrise zu konstruieren. Je weniger man also sagt, desto weniger kann einem passieren.

Es gibt jedoch auch das andere Extrem: Etwas klar und deutlich zu sagen, das zwar offenkundig mit der Realität nur wenig zu tun hat, aber trotzdem mit Vehemenz vorzugeben, man meine es ernst. Jüngstes Beispiel: Bundeskanzler Schüssel. Zitat: „Jörg Haider ist eine konstruktive Persönlichkeit”. Wie geht man als Journalistin mit so etwas um?

Oder als Ursula Haubner, damals noch als FPÖ-Parteichefin, am 13. März 2005 in der ORF-Pressestunde mehrere Zitate eines parteiinternen Kritikers vorgelesen wurden. Auf die Frage, ob sie wisse, von wem diese stammen, sagte Frau Haubner: „Ich weiß es nicht, aber ich sage, es sind Zitate von jemanden wahrscheinlich, der in der ersten Reihe fußfrei sitzt und noch nie eine Funktion gehabt hat und das ist etwas, was ich so nicht akzeptiere.” Als sie darüber aufgeklärt wurde, dass sämtliche Zitate von ihrem Bruder Jörg Haider stammten, klang es plötzlich so: „Ich akzeptiere Kritik von jemandem, der erfolgreich ist, der zeigt, wie man es macht und daher kann ich mit so einer Kritik auf jeden Fall umgehen.” Da wird man als JournalistIn irgendwie ratlos.

Es gibt für PolitikerInnen aber noch eine Alternative zum sinnlosen Interview: Gar kein Interview. Ich kann es nicht empirisch belegen, aber viele KollegInnen teilen mit mir die Beobachtung, dass der Zugang zu Informationen und zu Interviews von PolitikerInnen immer strategischer und restriktiver eingesetzt wird. Die taktische Gesprächsverweigerung nimmt eindeutig zu und wo PolitikerInnen zum Interview erscheinen, nützen sie es als Gelegenheit zur Wahlrede, bei der die Fragen nur stören. ZeitungskollegInnen berichten von immer mühsameren Verhandlungen bei der Autorisierung von Gesprächen. Da wird das letzte knackige Zitat herausredigiert, da werden Fragen gestrichen oder sogar ganz neue hineingeschrieben. Von den PressesprecherInnen, nicht von den JournalistInnen wohlgemerkt.

Die Polarisierung zwischen PolitikerInnen und Journalistlnnen, die in den 1970er und 80er Jahren begann, hat in Österreich in den letzten Jahren eine eindeutige Intensivierung erfahren hat — am 4. Februar 2000 und danach. Die Bildung der schwarz-blauen Koalition hatte in der österreichischen Medienlandschaft sicher nicht allzu viele Anhänger, was sich in unzähligen, teilweise außergewöhnlich kritischen Kommentaren äußerte.

Und dazu kam das traditionell schlechte bis katastrophale Verhältnis der FPÖ zu den Medien. Diese atmosphärische Veränderung war offenkundig. Der politisch-mediale Komplex in Österreich ist ja ein ziemlich kleiner. Wir reden hier letztlich von vielleicht 200 bis 300 Menschen: SpitzenpolitikerInnen, ihre PR-Leute sowie Innenpolitik-JournalistInnen und -kommentatorInnen, die sich zum Großteil ewig kennen und zu einem hohen Prozentsatz gegenseitig duzen. Diese permanente „Verhaberung” war ja schon immer ein Spezifikum der heimischen Politik-Berichterstattung.

Aber in den letzten Jahren wurde dieses gemütlich-schlampige, also typisch österreichische Verhältnis durch eben diese politische Polarisierung gestört. Vor allem unmittelbar nach der so genannten „Wende” wurden JournalistInnen immer öfter als Feinde gesehen, denen es in Wahrheit nur darum ginge, die neue Koalition in die Luft zu sprengen. Und ganz so falsch war das ja auch nicht in jedem Fall.

Wer dominiert hier wen?

Das Verhältnis zwischen Medien und Politik in Österreich hat aber noch eine ganz andere Komponente: Natürlich gehorchen Medien einer bestimmten Prozesslogik, der sich die Politik unterordnen muss, wenn sie vorkommen will. Damit beeinflussen Medien zweifellos die Präsentation von Politik. Fritz Plasser (2000, 211) sieht als Ergebnis ein „redaktionelles Politikverständnis”: Regierungshandeln „vorrangig als medienzentriertes Aufmerksamkeits- und Akzeptanzmangement” unter dem Diktat journalistischer Selektionsdominanz.

Und mitunter versuchen Medien auch ganz konkret Politik zu machen, siehe Kronenzeitung. Beispiele für erfolgreiche Medienkampagnen gibt es allerdings nur wenige: Das Rundfunkvolksbegehren in den 1960er Jahren, die Hainburg-Kampagne, die Einführung der 0,5 Promille-Regelung im Straßenverkehr und zuletzt der Wahlerfolg von Hans-Peter Martin bei der EU-Wahl 2004, der ohne die massive Unterstützung der Krone undenkbar gewesen wäre.

Umgekehrt hat die Politik allerdings jenseits aller Inszenierung und PR noch ganz andere Einflussmöglichkeiten auf die Medien: Indem sie Mediengesetze beschließt oder ein strengeres oder großzügigeres Kartell-Gesetz; indem sie Rundfunk-Lizenzen vergibt oder ein neues ORF-Gesetz samt Werbeschränkungen beschließt, die Presseförderung erhöht, senkt oder neu verteilt oder Vergünstigungen für die Postzustellung von Zeitschriften neu reguliert. Dazu kommen noch die vielen Millionen Euro, die die Regierung für Werbemaßnahmen ausgeben kann, wobei ihr niemand vorschreibt, in welchen Zeitungen sie ganze Seiten inseriert. Auf diese Weise kann die Politik wesentlich auf die Existenz-Bedingungen von Medienbetrieben Einfluss nehmen, eine Möglichkeit, die sich — rein theoretisch natürlich — auch als Disziplinierungsmaßnahme eignete.

Dazu kommt die einmalige Konzentration der österreichischen Me- dienlandschaft. Was bedeutet es für die politische Berichterstattung, wenn praktisch alle Magazine des Landes in einem Konzern erscheinen, der auch mit zwei der größten Tageszeitungen verbunden ist und mit einer Genossenschaft, die wiederum der Regierung nicht ganz fern steht? Wenn das Medium, aus dem laut allen Umfragen die meisten Menschen ihre politischen Informationen beziehen — das Fernsehen also —, sich zwar in einem brutalen Konkurrenzkampf mit dutzenden anderen Sendern befindet, allerdings nur im Unterhaltungsbereich? Was politische Information aus Österreich betrifft, hat der ORF natürlich nach wie vor ein Quasi-Monopol. Deutsche Sender leisten das nicht und die kurzen Nachrichtensendungen der wenigen kommerziellen heimischen Anbieter erscheinen de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Für die JournalistInnen in diesem Land hat das eine ganz simple und ziemlich fatale Konsequenz: Ihr Arbeitsmarkt ist nur geringfügig größer als der für Eisenbahner oder Polizisten.

In der Politikwissenschaft und in der Publizistik existiert mittlerweile eine fast unüberschaubare Anzahl von Thesen und Theorien über das Verhältnis von Medien und Politik. Da ist von einer „Kolonisierung der Politik durch die Medien” und einer „Mediokratie” die Rede wie bei Thomas Meyer (2002). Oder von „Medifizierung” und einem „politisch technokatschen Supersystem”, wie bei Fritz Plasser (1985). Ulrich Saxer (1993) spricht on „struktureller und prozessuraler Interdependenz”, Hans Heinz Fabris (1993) von einem „Umarmungsdiskurs” und Ulrich Sarcinell (1998b) von einer „Art Beziehungskorruption, in der sich die Unterscheidung zwischen politischen und journalistischen Rollen verwischen”.

Jürgen Bentele (1998) führt den Terminus „Intereffikationbeziehung” ein — also gegenseitige Ermöglichung. Und zuletzt haben Jarren und Donges (2002) schließlich von einer „Produktionsgemeinschaft” zwischen politischen und medialen Ak- teuren geschrieben. Aber alle diese Modelle beschäftigen sich vorrangig mit einer Zweier-Beziehung zwischen Politik und Medien und sie lassen meiner Einschätzung nach einen dritten, ganz zentralen Akteur außen vor.

Der unsichtbare Dritte

Das Verhältnis zwischen Politik und Medien ist aber ohne diesen Akteur in Wahrheit nicht zu verstehen — und das ist das Publikum in seiner Eigenschaft als Wähler, Leser, Seher und Hörer. Hier liegt die tatsächliche Interessensgemeinschaft von Medien und Politik: Beide wollen ein möglichst großes Publikum erreichen. Politiker, weil sie gewählt werden wollen. Und Medienunternehmen aus zwei Motiven: Bei jenen, die nicht nur ökonomisch, sondern auch publizistisch orientiert sind: weil Information — oder patheti- scher ausgedrückt: so etwas wie Aufklärung — Publikum braucht. Sonst ist sie sinnlos und man müsste kein Massenmedium betreiben sondern könnte auch Tagebuch schreiben.

Und alle Medienunternehmen brauchen Seher, Hörer und Leser, um ökonomisch zu existieren. Weil sie die Aufmerksamkeit ihres Publikums, umgerechnet in Tausenderkontakte, an ihre Werbekunden verkaufen.

Sowohl für die Politik als auch für die Medien ist diese Publikums- Orientierung in den letzten Jahrzehnten noch deutlich wichtiger geworden. Die Gründe dafür heißen partisan dealignment und Ökonomisierung. Wegen der anhaltenden Erosion traditionell fest gefügter Parteibindungen müssen Parteien ihre potentiellen Wähler heute permanent umwerben, nicht nur durch Plakatwellen und Inserate zu Wahlkampfzeiten. Stichwort: permanent campaign. Und in der Medienbranche erhöhen die verstärkte Konkurrenz durch neue Mitbewerber, schwindelerregend teure Bildrechte, die Rendite-Vorstellunge der Eigentümerkonzerne, also die ständig zunehmende Kommerzialisierung und Okonomisierung, den Quotendruck.

Wenn wir davon ausgehen — auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer so aussieht —, dass PolitikerInnen und JournalistInnen nicht völlig irrational und selbstdestruktiv handeln; dass sie also versuchen, ihr Publikum nicht vorsätzlich zu verschrecken — dann muss man zu dem Schluss kommen, auch wenn das jetzt hart klingt: Das Publikum hat die politische Berichterstattung, die es sich wünscht.

Tatsächlich hat es ja noch nie derart viel gute, ausführliche und kluge Politikberichterstattung gegeben wie heute. Jeden Tag sind auf Phoenix, Arte oder 3SAT stundenlange politische Debatten und Dokumentationen zu sehen. Ö1 ist das vielleicht intelligenteste Radio-Programm Europas und allein in Deutschland ist vergangenes Jahr ein rundes Dutzend ambi- tionierter und kluger Magazine entstanden, von Cicero bis Monopol und in Österreich von Datum bis Fleisch. Dumm nur, dass nicht klar ist, welche von diesen Zeitschriften es in einem oder fünf Jahren noch geben wird, weil unendlich viel mehr Leute eben doch lieber Bunte oder Frau im Spiegel lesen, Die Ganze Woche oder TV-Media.

Oder ein Beispiel aus dem Fernsehen: die ORF-Pressestunde ist wahrscheinlich eines der inzenierungsfreiesten politischen Programme im Fernsehen. Da sitzt eine PolitikerIn eine Stunde lang zwei sachkundigen JournalistInnen gegenüber, die sie oder ihn nachhaltig befragen. Hier kann man wirklich etwas über Politik lernen, soweit das in einem Gespräch grundsätzlich möglich ist. Im April 2005 war Arbeitsminister Bartenstein zu Gast, am Höhepunkt der FPO- BZÖ-Krise und nach neuen, erschreckend hohen Arbeitslosenzahlen. Dieses Interview interessierte genau 189.000 Zuseher. Das war gerade mal ein gutes Viertel der 700.000 Menschen, die an diesem Sonntag Vormittag um elf ferngesehen haben. Und die waren im Schnitt 60,5 Jahre alt.

Die Qualität politischer Kommunikation wird ganz entscheidend vom Publikum bestimmt. Wenn der Bundeskanzler bei Vera eine schlechte Quote produziert, wird er nicht mehr eingeladen. Wenn eine kluge Dokumentation einen Marktanteil von 40 Prozent erreicht, wird sie eine Fortsetzung bekommen. Wenn der Chefredakteur einer Zeitung meint, dass seine LeserInnen wissen wollen, was in der neuen EU-Verfassung steht, wird er einen Sonderteil produzieren oder gar den gesamten Verfassungstext bei- legen, wie das in Frankreich passiert ist. Und wäre die Pressestunde ein Quotenhit, könnten wir sie in der prime time sehen.

Hier allzu viel Hoffnung auf das Internet zu setzen, wie es manche tun, könnte übrigens enttäuschend ausfallen. Zwar findet sich im Netz eine unglaubliche Fülle politischer Information, von den teilweise höchst professionell gemachten Seiten der politischen Parteien, über brillante politische Analysen, spannende weblogs, Originalmaterialien … was auch immer Sie suchen.

Nur auch hier zeigt jede Reichweitenzählung: Die meistbesuchten Seiten sind jene großer Medienunternehmen, die nach redaktioneller Logik Inhalte strukturieren und präsentieren. Es gibt zwar (fast) alles im Netz, aber nur wenige user machen sich die Mühe, es zu suchen. Der allergrößte Teil der KonsumentInnen verlässt sich auch hier auf mediale gate keeper, die die unüberblickbare Fülle der Information für sie auswählen und aufbereiten.

Das Verhältnis zwischen Politik und Medien ist als Zweier-Beziehung nicht zu verstehen. Hier geht es um eine komplizierte Dreiecks-Affäre, in der PolitikerInnen und JournalistInnen gleichzeitig einen massiven Interessensgegensatz haben und eine Interessensgemeinschaft bilden. Der Interessensgegensatz hat mit den Inhalten zu tun. Grob gesagt: Politik will überzeugen —Journalismus will informieren. Und dieser Interessenskonflikt wird meiner Beobachtung nach immer heftiger ausgetragen. Das ist das, was ich mit dem Begriff Rüstungswettlauf umschrieben habe.

Und gleichzeitig verbindet Politik und Medien eine Interessengemeinschaft: gemeinsam um die Aufmerksamkeit des Publikums zu buhlen. Hier orientiert sich das Angebot jedoch an der Nachfrage. Da regieren die Marktlogiken von politischem und medialem System. Gespielt wird, was gesehen wird. Gedruckt wird, was gelesen wird. Und nicht umgekehrt.

Das heißt nicht, dass wir JournalistInnen immer alles richtig machen — ganz und gar nicht. Und das heißt noch weniger, dass der Politik nichts vorzuwerfen ist. Aber auch das Publikum kann nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Es leidet zwar an dem, was es geboten bekommt. Genauso wie PolitikerInnen an dem leiden, was über sie in der Zeitung steht und JournalistInnen darunter leiden, worüber sie berichten sollen. Doch gleichzeitig tragen alle Beteiligten dieser Dreiecks-Affäre ein gehöriges Maß an Verantwortung dafür, dass die Politik in den Medien so aussieht, wie sie aussieht. Alle drei — Politik, Medien und Publikum — sind Opfer und Täter zugleich.


ANMERKUNGEN:

(1) Ursprünglich stammen die Begriffe Politainer, Politainment und Politainer Politics aus einer Arbeit der US-Autoren Conley und Schultz (2000), die damit am Beispiel des ehemaligen Wrestling– und Hollywood-Stars und späteren Gouverneurs von Minnesota, Jesse Ventura, einen neuen Politiker-Typus charakterisieren.

(2) Bis zu Redaktionsschluss dieses Beitrages hatte der Finanzminister einen Prozess gegen die Zeitschrift News in der ersten Instanz gewonnen. News ging in die Berufung. Das Verfahren ist anhängig.

(3) Sehr aufschlussreich dazu: die Biografie des legendären Politik-Chefs der New York Times, James „Scotty” Reston (Stacks 2003).

LITERATUR:

Bentele, Günter (1998). Politische Öffentlichkeitsarbeit, in: Ulrich Sarcinelli (Hg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur, Opladen/Wiesbaden: 124-145

Boorstin, Daniel (1992). The Image. A Guide to Pseudo-Events in America. New York (ursprgl. 1961)

Conley, Ann/Schultz, David (2000). Jesse Ventura and the Brave New World of Politainer Politics, in: Journal of American & Comperative Cultures 23, No. 2/2000: 49-59

Diers, Michael (1997). Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt a. M.

Dörner, Andreas (2001). Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a. M.

Fabris, Hans Heinz (1993). Zwischen Politik und Politikinszenierung. Mediendiskurse der achtziger Jahre, in: Wolfgang Langenbucher (Hg.). Politische Kommunikation. Grundlagen, Strukturen, Prozesse, Wien: 164-173

Jarren, Otfried/Donges, Patrick (2002). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Band 2: Akteure, Prozesse und Inhalte, Wiesbaden

Lengauer, Günther/Pallaver, Günther/Pig, Clemens (2004). Redaktionelle Politikvermittlung in der Mediendemokratie, in: Fritz Plasser (Hg.). Politische Kommunikation in Österreich. Ein praxisnahes Handbuch, Wien: 149-236

Meyer, Thomas (2002), Mediokratie. Auf dem Weg in eine andere Demokratie?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15-16/2002: 7-14

Patterson, Tomas E. (1998). Political Roles of the Journalist, in: Doris Grabel Denis McQuail/Pippa Norris (Ed.). The Politics of News. The News of Politics, Washington D. C.:17-32

Plasser, Fritz (1985). Elektronische Politik und politische Technostruktur reifer Industriegesellschaften. Ein Orientierungsversuch, in: Fritz Plasser/Peter Ulram/Manfried Welan (Hg.). Demokratierituale. Zur Politischen Kultur der Informationsgesellschaft, Wien/Köln/Graz: 9-31

Plasser, Fritz (2000). Medienzentrierte Demokratie. Die „Amerikanisierung” des politischen Wettbewerbs in Österreich, in: Anton Pelinka/Fritz Plasser| Wolfgang Meixner (Hg.): Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarien, Wien: 203-230

Plasser, Fritz/Ulram, Peter A. (2004). Öffentliche Aufmerksamkeit in der Mediendemokratie, in: Fritz Plasser (Hg.). Politische Kommunikation in Österreich. Ein praxisnahes Handbuch, Wien: 37-99

Radunski, Peter (1996). Politisches Kommunikationsmanagement. Die Amerikanisierung der Wahlkämpfe, in: Bertelsmann-Stiftung (Hg.). Politik überzeugend vermitteln. Wahlkampfstrategien in Deutschland und den USA, Güthersloh: 33-52

Sarcinelli, Ulrich (1998a). Repräsentation oder Diskurs? Zu Legitimität und Legitimationswandel durch politische Kommunikation, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 8. Jahrgang, 2/98: 547-567

Sarcinelli, Ulrich (1998b). Politische Inszenierung im Kontext des aktuellen Politikvermittlungsgeschäfts, in: Sabine R. Arnold/Christian Fuhrmeister| Dietmar Schiller (Hg.). Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht, Wien/Köln/Weimar: 146-157

Saxer, Ulrich (1993). Politische Funktion der Publizistik aus der Sicht der Publizistikwissenschaft, in: Wolfgang Langenbucher (Hg.). Politische Kommunikation. Grundlagen, Strukturen, Prozesse, Wien: 116-131

Stacks, John F. (2003): Scotty. James B. Reston and the Rise and Fall of American Journalism, Boston/New York/London

Tenscher, Jens (2003). Professionalisierung der Politikvermittlung. Politikvermittlungsexperten im Spannungsfeld von Politik und Medien, Wiesbaden

Armin Wolf ist Journalist und TV-Moderator. Sein Blog befasst sich v.a. mit Medien und Politik.

Armin Wolf