“Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus”

Die Weihnachtsfeiertage habe ich diesmal damit verbracht, den Historikerbericht der FPÖ zu lesen. 668 Seiten, die – ziemlich überraschend – am 23. Dezember, dem Fenstertag vor Weihnachten, veröffentlicht wurden.

An so einem Tag ist nicht nur das halbe Land bereits in den Weihnachtsferien sondern auch ein Großteil der Journalist*innen und der Historiker*innen an den Unis. Und es erscheinen an den Feiertagen kaum Zeitungen. Dementsprechend gab es bisher noch keine ausführliche Rezension des Berichts. Ich musste ihn für ein ZiB2-Interview mit Andreas Mölzer am 27. Dezember aber ohnehin lesen – und fand ihn in vielerlei Hinsicht erstaunlich.

Entstanden ist die FPÖ-Historikerkommission ja aus der Debatte rund um ein Liederbuch der schlagenden Burschenschaft Germania Anfang 2018, wenige Wochen nach dem Regierungseintritt der FPÖ. Damals regte Parteichef Strache in einer Presseaussendung an, “dass sich die Korporationen und das Dritte Lager einer Aufarbeitung der Vergangenheit widmen. Dies könne durch eine Historikerkommission erfolgen, die sich schonungslos mit den Fehlern der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen solle.”

Den Vorsitz der Kommission übernahm der Rechtshistoriker und ehemalige FPÖ-Abgeordnete Wilhelm Brauneder. Zusätzlich wurde eine “Koordinierungsgruppe” aus früheren FPÖ-Politikern eingesetzt, die Andreas Mölzer leitete und deren Sinn nie wirklich erklärt wurde. Noch im Lauf des “Gedenkjahres” 2018 sollten Ergebnisse vorliegen, tatsächlich wurde ein erster kurzer Zwischenbericht im Sommer 2019 von allen einschlägigen Expert*innen in Grund und Boden kritisiert. Jetzt liegt also der Endbericht (PDF) vor. Zur Präsentation wurde übrigens weder der Kommissions-Vorsitzende eingeladen noch die anderen Autoren, die den Bericht auch Tage später noch nicht bekommen hatten, wie Brauneder der ZiB2 erzählt hat.

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Prag, November 1989

Ich bin seit meiner Matura Journalist und bis heute habe ich nichts Eindrucksvolleres erlebt als die Novembertage in Prag vor genau dreißig Jahren, die sehr schnell als “Samtene Revolution” berühmt geworden sind.

Wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer sollte ich als Radioreporter für Ö1 ins damalige Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) fahren, als am 17. November 1989 die ersten Meldungen von einer Massendemonstration in Prag kamen. Außenpolitik-Chef Roland Machatschke bat mich, statt in die DDR doch in die Hauptstadt der Tschechoslowakei zu fahren.

Es war ein nasser, kalter, grauslicher Novemberabend, als ich im Hotel Forum an der Stadtautobahn aus dem Auto stieg und mit der U-Bahn ins Zentrum weiterfuhr – zum ersten Mal in meinem Leben in Prag, mit 23, ohne ein Wort Tschechisch zu verstehen. Die nächsten 14 Tage blieb ich dann da, fror jeden Abend mit zehntausenden, später hunderttausenden Menschen am Wenzelsplatz – und beobachtete eine friedliche, fröhliche Revolution beim Siegen, eine kommunistischen Diktatur beim Zusammenbrechen und die Geburt einer Demokratie.

Am wenigsten vergessen werde ich den Abend des 24. November, eine Woche nach meiner Ankunft: Wie jeden Tag informierten die Dissidenten des “Bürgerforums” nach der Massendemonstration am Wenzelsplatz im nahen Theater “Laterna Magica” die Journalisten aus aller Welt.

Dubcek und Havel
Prag, 24. 11. 1989: Dubček und Havel in der Laterna Magica (Foto: Wikipedia)

Auch an diesem Abend sitzt Vaclav Havel auf der Bühne, neben ihm Alexander Dubček, der tragische Held des “Prager Frühlings” von 1968, der an diesem Nachmittag erstmals seit dreißig Jahren wieder öffentlich aufgetreten war, die Ökonomin Rita Klimova, die ins Englische übersetzt, Havels enger Freund Jiri Dienstbier und der Priester Vaclav Maly, der die Pressekonferenz moderiert.

Plötzlich tritt von hinten ein Mann auf die Bühne und flüstert Maly etwas ins Ohr, der schüttelt ungläubig den Kopf, der Mann sagt nochmal was – der Priester fängt zu lächeln an und nimmt sich das Mikrofon: “Wir sollten für eine wichtige Nachricht unterbrechen.“

Die Führung der KPČ war zurückgetreten.

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Für wenige Interviews habe ich in 17 Jahren ZiB2 so viele Reaktionen bekommen wie auf eines, das ich gar nicht geführt sondern gegeben habe. Und es ist bisher auch mein einziges Interview, auf das es ausschließlich positive Reaktionen gab…

Im Sommer letzten Jahres hat mich Andre Heller, den ich seit langem sehr schätze, in seine ORFIII-Gesprächsreihe “Menschenkinder” eingeladen. Wie alle Sendungen wurde sie in seiner prachtvollen Wiener Wohnung aufgezeichnet, am heißesten Tag des ganzen Jahres. Wir haben fast drei Stunden lang miteinander gesprochen, was man aber nicht sieht, weil Andre Heller – außer in der Signation – gar nicht vorkommt.

Ende September 2019 wurde die Sendung ausgestrahlt und hier kann man das Gespräch nachsehen:

Screenshot

Heller saß hinter den Scheinwerfern und Kameras und bat mich, die Antworten so zu formulieren, dass sie auch ohne Fragen für sich stehen können. Deshalb ist die fertige Sendung ein rund 70-minütiger Monolog aus aneinander gefügten Antworten. Das klingt ziemlich fad, aber sehr viele Menschen, die mir geschrieben oder mich auf die Sendung angesprochen haben, sahen das offenbar gar nicht so, was mich sehr freut.

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Felix Krull mit Laptop

Vor nicht mal einem Jahr ist der größte Skandal im deutschsprachigen Journalismus seit den falschen Hitler-Tagebüchern des STERN explodiert: Die Relotius-Affäre im SPIEGEL. Ausgerechnet der zigfach preisgekrönte Jung-Star des Magazins hatte jahrelang Reportagen gefälscht und erfunden.

Enttarnt hatte ihn letztlich ein Kollege: Juan Moreno ist seit 2007 freier Autor beim SPIEGEL und wurde vor einem Jahr mit Relotius an die amerikanisch-mexikanischen Grenze geschickt. Moreno begleitete einen Flüchtlingszug in Mexiko, Relotius angeblich eine selbsternannte „Bürgerwehr“ nördlich der Grenze. Doch schon bald kamen Moreno die Angaben seines Kollegen seltsam vor: Regieanweisungen, Details in seinen Recherchen, wesentliche Stellen im Text.

Moreno begann damit, einzelne Punkte zu überprüfen und stieß sehr rasch auf offensichtliche Widersprüche: Protagonisten, die schon in einer großen US-Reportage – aber unter anderem Namen – aufgetreten waren, offensichtlich falsche Einzelheiten, unplausible Schilderungen. Er informierte seine Vorgesetzten in Hamburg – fand dort aber kein Gehör.

Ab dann wird die Geschichte zum Krimi: Auf der einen Seite der junge Superstar des deutschen Journalismus, ausgezeichnet mit rund vierzig (!) Preisen binnen weniger Jahre, erst wenige Wochen zuvor mit seinem vierten Reporterpreis; der Liebling der SPIEGEL-Chefetage, unmittelbar vor der Beförderung zum Chef des Reportage-Ressorts, von den meisten Kollegen als bescheidener, hilfsbereiter, sympathischer Kollege geschätzt.

Auf der anderen Seite der freie Reporter ohne Netzwerk in der Redaktion, den der SPIEGEL-Portier auch mal mit einem Taxifahrer verwechselt und der bei seinen Recherchen auf so viele Ungereimtheiten stößt, dass er sie zuerst selbst nicht glauben kann. Und dem seine Vorgesetzten unverhohlen damit drohen, dass er mit der „Anschwärzung“ seines Kollegen seinen eigenen Job gefährde.

Das alles beschreibt Moreno ein knappes Jahr danach in seinem höchst lesenswerten Buch Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus.

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Etwas, das nicht ohne Folgen geblieben ist

Wow, was für eine Woche! Am Dienstag habe ich in Leipzig den “Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” bekommen – und gestern Abend wurde ich in Potsdam als “Europäischer Journalist des Jahres 2019” geehrt. Damit hatte ich – v.a. angesichts der großartigen, mit mir gemeinsam nominierten Kolleg*innen – wirklich nicht gerechnet.

“Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann”, hatte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky zu mir gesagt, als wir im April ein eher heftiges Interview miteinander hatten. Und Folgen hatte das Gespräch nun tatsächlich.

Beim Prix Europa werden in 15 verschiedenen Kategorien die besten Radio-, TV- und Online-Poduktionen des Jahres gekürt und eben ein*e “Journalist*in des Jahres”. Es gibt von der Preisverleihung gestern auch ein Video online (die Laudatio zum Journalisten des Jahres beginnt bei 1h36’45, meine kleine Dankesrede bei 1h45’00):

Screenshot Rede + Link

Und hier das Manuskript meiner Dankesworte:


I’m humbled to have been selected among so many brilliant journalists, all of whom would probably deserve this honor at least as much as I do.

Of course, this is the opportunity to thank everybody, from the jury to my colleagues, my kindergarten teacher and my grandmother – but first and foremost I want to thank a man without whom I would not be standing here tonight: Harald Vilimsky, the man, you just saw in the video.

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So viel Pressefreiheit – und so bedroht

Heute vor 30 Jahren sind in Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße gegangen, um unter dem Slogan “Wir sind das Volk” gegen die SED-Diktatur zu demonstrieren. Einen Monat später ist in Berlin die Mauer gefallen. Jedes Jahr wird in Leipzig der großen Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 gedacht, heute – zum 30. Jahrestag – besonders aufwändig. Und jedes Jahr wird am Vorabend des 9. Oktober der “Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” vergeben.

Unter den bisherigen Preisträger*innen sind u.a. Anna Politkowskaja, Seymour Hersh, James Nachtwey, Roberto Saviano, Glenn Greenwald, Can Dündar, Deniz Yücel oder Asli Erdogan. Den Leipziger  Medienpreis 2019 hat die Jury den deutschen Investigativ-Journalisten Arndt Ginzel und Gerald Gerber und mir zugesprochen. Bei der – sehr schönen – Preisverleihung gestern Abend im Mediencampus Leipzig waren das meine Dankesworte:


Ich werde immer wieder von Zuseher*innen dafür gelobt, dass ich “mutig” wäre – und so steht es ja auch in der Begründung für diese wunderbare Auszeichnung, die mich sehr ehrt und für die ich mich sehr herzlich bedanken möchte!

Dabei glaube ich gar nicht, dass ich für die Arbeit, die ich mache, besonders mutig sein muss. Jedenfalls nicht so, wie man das üblicherweise versteht.

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Wirklich spannend wird’s ab Montag

Am Sonntag kurz nach 17 Uhr wissen wir, wie diese Nationalratswahl ausgegangen ist, aber die wirklich spannende Phase beginnt erst danach. Denn schon jetzt ist klar, dass der praktisch sichere Wahlsieger ÖVP zum Regieren Koalitionspartner braucht. Aber wen? Und da könnte sich Sebastian Kurz am Montag in einer Situation wiederfinden, für die Amerikaner einen sehr bildhaften Ausdruck haben: Between a rock and a hard place.

Laut allen Umfragen der letzten Wochen wird die ÖVP nach der Wahl drei Koalitions-Optionen haben – und alle drei sind zumindest schwierig.


Grafik Umfragen
Quelle: Laurenz Ennser-Jedenastik

TÜRKIS-BLAU, DIE ZWEITE?

Programmatisch am leichtesten wäre es logischerweise mit der FPÖ. Inhaltliche Verhandlungen könnte man sich nahezu sparen, mit dem Regierungsprogramm von 2017 liegt de facto ein fertiges Koalitionsabkommen vor. Personell dürfte es auch keine wesentlichen Probleme geben: Die FPÖ beharrt zwar formhalber auf dem Innenministerium, idealerweise besetzt von Herbert Kickl, weiß aber, dass sie beides nicht bekommen wird (und hat es deshalb – im Gegensatz zu 2017 – auch nicht zur Koalitionsbedingung erklärt).

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Das Geheimnis meiner “geheimen Investition”

Seit einigen Wochen tauchen auf Facebook ständig neue Werbe-Postings mit Fotos von mir auf, in denen ich angeblich das Geheimnis meiner “jüngsten geheimen Investition” oder meines “Reichtums” verraten würde. Das ist natürlich alles FAKE.

Aber extrem ärgerlich. Zum einen, weil vielleicht Menschen auf diesen Schwindel hineinfallen und zum anderen, weil ich grundsätzlich keine Werbung mache (und aufgrund des ORF-Gesetzes auch gar nicht dürfte).

Mittlerweile wird aber klarer, warum diese Fake-Postings immer mehr werden. Der IT-Experte Martin Haunschmid hat sich das näher angeschaut (danke !!!) und ist dabei auf einige interessante Details gestoßen.

Letztlich geht es um Werbung für irgendwelche Kryptowährungs-Spekulationsgeschäfte (Mein tatsächlicher Tipp: Lassen Sie die Finger davon!). Die werden jedoch auf Facebook nicht mehr so einfach ausgespielt, weil es sich dabei sehr häufig um betrügerische Angebote handelt. Deshalb verstecken sich die neuen Anzeigen mit Fotos von Prominenten häufig auch hinter scheinbar harmlosen Seiten, etwa mit Kochrezepten (mit denen habe ich aber auch nichts zu tun, ich kann – zum Verdruss meiner Frau – gar nicht kochen).

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Ibiza – Das Buch zum Film (und ein Vorwort)

Heute ist das Buch “Die Ibiza-Affäre” von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer erschienen. “Die Obermayers”, wie das Reporter-Duo mitunter genannt wird, sind Investigativ-Journalisten bei der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und mit der Enthüllung der Panama-Papers – jedenfalls in der Medienbranche – berühmt geworden.

Ihnen wurde letztes Jahr jenes Bildmaterial angeboten, aus dem am 17. Mai, Schlag 18 Uhr knapp sieben Minuten als “Ibiza-Video” online und um die Welt gegangen sind. Gemeinsam mit Kollegen vom SPIEGEL hatten sie die vielen Stunden Videomaterial wochenlang geprüft und ausgewertet. Wie sie das gemacht haben und was in den Filmen zu sehen ist, das beschreiben sie in ihrem Buch spannend wie in einem Krimi.

Buch-CoverAbwechselnd erzählt immer ein Kapitel vom Abend in der Mietvilla im Juli 2017 und eines, wie die Reporter zu ihrem Material gekommen sind. Neu ist, dass ihnen das Video bereits im Spätsommer 2018 angeboten wurde. Die Kontakte mit “der anderen Seite” zogen sich dann – mühsam und teils sehr frustrierend – über viele Monate. Erstmals offenbaren die Autoren, dass sie auch die berühmte russisch-lettische “Oligarchin” getroffen haben, deren Identität – als einzige im Video – nie bekannt geworden ist. Sie bleibt auch im Buch anonym, versichert aber “entspannt und glaubhaft”, sie hätte gewusst, worauf sie sie einlasse, sei nicht erpresst worden und habe auch kein Geld bekommen. Und: Sie hätte es sich “wesentlich schwerer vorgestellt”.

Anonym bleiben auch jene Menschen, die der SZ und dem SPIEGEL das Bildmaterial angeboten und letztlich übergeben haben. Über allfällige Auftraggeber weiß man auch nach den 269 Seiten nicht mehr.

Die beiden Reporter berichten, wie Ihnen das Video erstmals auf einem manipulierten Laptop vorgeführt wurde, auf dessen Bildschirm ohne Spezialbrille nichts zu erkennen war (um zu verhindern, dass sie etwas abfilmen). Und sie schreiben ausführlich über ihre Zweifel und ihre Ängste, dass sie Fälschern aufsitzen könnten und mit welchem Aufwand das Material – gemeinsam mit dem (Relotius-geschädigten) SPIEGEL – bis ins kleinste Detail überprüft wurde. Gerade diese Kapitel machen “Die Ibiza-Affäre” auch zu einem Lehrbuch über professionelle Recherche und investigativen Journalismus.

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“Wenn’s nicht krumm war, dann war’s erstaunlich dumm”

Im Schweizer Radiosender SRF3 hat mich Moderator Dominic Dillier für die Talk-Sendung Focus knapp eine Stunde lang über die aktuelle Politik in Österreich, unsere bemerkenswerte Medienlandschaft und meine Arbeit befragt. Hier zum Nachhören:

Screenshot mit Audiolink

Armin Wolf ist Journalist und TV-Moderator. Sein Blog befasst sich v.a. mit Medien und Politik.

Armin Wolf