Peter Huemer im Gespräch

In-Frage-Steller

Am 2. Mai 2012 bekam der große österreichische Publizist, Radio- und Fernsehmacher und Historiker Peter Huemer im Wiener Rathaus das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Stadt Wien verliehen. Ich durfte dabei die Laudatio halten – und es war mir eine Ehre:


Meine erste Begegnung mit Peter Huemer war nur eine indirekte aber ich möchte Sie Ihnen trotzdem nicht vorenthalten. Es war auf einem Familienausflug ins Tiroler Unterland im August 1979 und ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie die Erwachsenen beim Mittagstisch hoch erregt über eine Fernsehsendung wenige Tage zuvor debattierten. Und in diesem Gespräch, an dem ich als knapp 13jähriger nur als Zuhörer beteiligt war, habe ich zwei neue Wörter gelernt, die beide in den folgenden Jahren noch deutlich an Bedeutung für mich gewinnen sollten:  das eine Wort war „Selbstbefriedigung“, das andere „Club 2“.

Ich wusste damals nicht, dass für die offensichtlich sehr aufregende Fernsehsendung mit diesem Namen unter Beteiligung einer mir unbekannten Person namens Nina Hagen eben Peter Huemer verantwortlich war – aber so ist er mir doch indirekt schon mit 13 genau so begegnet, wie ich ihn auch in den mehr als drei Jahrzehnten seither wahrgenommen habe: als Aufklärer.

Genau das ist Peter Huemer nämlich Zeit seines überaus produktiven Berufslebens gewesen – und zwar in allen drei wesentlichen Facetten dieses Berufslebens: als ORF-Journalist, als Publizist und als Historiker.

Ein paar Jahre später bin ich ihm dann tatsächlich begegnet, Ende 1987 – auch wenn das auf mich logischerweise wesentlich größeren Eindruck gemacht hat als auf ihn. Damals sind wir beide zu Ö1 gewechselt. Ich kam als ganz junger freier Mitarbeiter aus dem Landesstudio Tirol. Peter Huemer kam vom Fernsehen, als der schon legendäre langjährige Leiter des Club 2. Für mich war das damals ein toller Aufstieg, für Peter war es ein Umstieg – ein sehr lohnender Umstieg, wie sich letztlich herausstellen sollte. Aber damals hat es – jedenfalls von außen – wie ein Abstieg ausgesehen.

Formal war es ein freiwilliger Wechsel, aber in Wahrheit natürlich nicht. Peter Huemer hatte den jahrelangen Kampf um die Autonomie seines Club 2 letztlich verloren. Er wollte aber nicht Sendungschef bleiben – sondern Sendungsmacher. Immerhin hatte er elf Jahre lang die erste moderne Talkshow gemacht – ein radikale Versuchsanordnung für herrschaftsfreien Diskurs im Fernsehen, mit Menschen statt mit Menschen-Vertretern im Studio. Ein Experiment, das in halb Europa bis hin zum britischen Channel Four nachgeahmt oder gar millimetergenau kopiert wurde.

Was später aus Talkshows werden sollte, v. a. im Kommerz-Fernsehen, aber auch im öffentlich-rechtlichen – das konnte damals noch keiner ahnen. Und ganz bestimmt können wir Peter Huemer dafür nicht verantwortlich machen. Er hat darüber allerdings einige höchst scharfsinnige Texte geschrieben. Huemers Abgang aus dem Club 2 wurde damals im gesamten deutschen Feuilleton beklagt, von der Süddeutschen bis zum Spiegel. Vergleichbares ist für einen österreichischen Fernsehmacher schon sehr, sehr lange nicht mehr vorgekommen.

KEIN INTERVIEW, EIN GESPRÄCH

Im Radio hätte er ursprünglich eine einstündige Sendefläche am Donnerstag Abend nur verantworten sollen – aber wieder wollte er nicht Sendungschef sein, sondern Sendungsmacher. Er wollte etwas machen, das mit dem Aufkommen der Kommerz-Radios viele für unmöglich und für völlig aus der Zeit gefallen hielten: Eine Gesprächs-Sendung, eine Stunde lang, ohne Musik, ohne Zuspielungen, nur zwei Menschen, die reden. Kein Interview – das war ihm wichtig – sondern ein Gespräch. Er hat das einmal so definiert: „Nicht Frage und Antwort, sondern miteinander reden.“ Glücklicherweise ließ man ihn gewähren, weil er ziemlich lästig und beharrlich sein kann. Und binnen kurzer Zeit war Im Gespräch die erfolgreichste Abendsendung von Ö1. Und zu Recht sind viele dieser Gespräche auch als Editionen erschienen, weil sie weit über das Tagesaktuelle hinaus spannend, lehrreich und aufregend sind.

Das Faszinierende an Gesprächen mit Peter Huemer – on air und off air – ist neben seiner beeindruckenden Bildung, seinem präzisen, extrem strukturierten Denken und seiner Bereitschaft, auch seine eigenen Argumente jederzeit in Frage zu stellen, vor allem die völlige Abwesenheit von Zynismus. Er nimmt seine Gegenüber ernst: Seine Gesprächspartner und sein Publikum. Und das zeigt sich in erster Linie darin, dass er sie niemals unterfordert.

Dass ihn der ORF, sobald er 60 wurde, in Pension geschickt hat, gehört übrigens nicht nur zu den schändlichen Kapiteln in der Geschichte dieses Unternehmens, sondern auch zu den besonderen Dummheiten. Jeder vernünftige Generalintendant hätte Huemer nicht nur angeboten, sondern ihn angefleht, weiterzumachen, solange er nur irgendwie Lust und Kraft dazu hat.

MANN DES WORTES

Peter Huemer hat seine journalistische Karriere im Fernsehen und im Radio als Fragesteller gemacht – genauer gesagt als In-Frage-Steller. Und das zeichnet ihn grundsätzlich aus. Er ist einer, der die Verhältnisse in Frage stellt.

Von Anfang an hat er seine Tätigkeit so verstanden. Deshalb hat er sich als junger Geschichte-Student der österreichischen Zeitgeschichte zugewandt und mit seinen Kollegen die Gründungsmythen der Republik in Frage gestellt.  Das Ergebnis waren zahllose zeithistorische Texte bis in die Gegenwart, seine heutige Tätigkeit als Lehrender an der Uni Wien und an der Filmakademie und vor allem auch ein Buch, das aus seiner Dissertation entstanden ist: Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich – bis heute ein Standardwerk zum Verständnis der Ersten Republik und ihres Scheiterns. Und bis heute das in seinem Berufsleben, auf das er – trotz aller anderen Großtaten –  am meisten stolz ist.

Peter Huemer ist übrigens – was neben seiner fabelhaften Karriere in Fernsehen und Radio leider etwas untergeht – ein exzellenter Schreiber, wie sich jederzeit nachlesen lässt, etwa in einem Sammelband mit dem schönen Titel Heimat. Lügen. Literatur oder im Nachdruck seiner Theodor-Herzl-Vorlesungen.

Er ist ein Mann des Wortes in der umfassendst möglichen Form – aber letztlich genügen ihm die Worte alleine doch nicht.  Er will die Welt nicht nur verschieden interpretieren – er wollte und will  sie, wo es nötig ist, auch verändern.

MANN DER TAT

Und nötig war das in diesem Land immer wieder: Von der ersten Unterschriftenaktion gegen Friedrich Peter als Nationalrats-Präsident, über die Mahnwache gegen Kurt Waldheim; vom Konzert für Österreich mit Eli Wiesel am Heldenplatz und dem legendären Lichtermeer bis zu SOS Mitmensch, das im Huemerschen Wohnzimmer entstanden ist; vom Fest zu 50 Jahre Republik bis hin zu SOS ORF, wo wir 2006 gemeinsam gegen die politische Unterwerfung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestritten haben. Bis hin zu seinem aktuellen Versuch nun sechs Jahre später, die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit des ORF tatsächlich einzuklagen. Ausgang noch offen.

Und jetzt will ja der Bundeskanzler den ORF mit einem neuen Gesetz, wie er wörtlich sagt, vor „falscher Einflussnahme“ schützen. Auch hier zähle ich wieder auf Peter Huemer als Verbündeten, wenn es darum gehen wird, der Regierung klar zu machen, dass sie es mit der richtigen Einflussnahme auf den ORF gleich gar nicht probieren soll.

Sie merken: Neben der beständigen Konfrontation mit Österreichs jüngster Geschichte und dem Umgang damit lässt Peter Huemer auch der ORF nicht los. Er spricht selbst von einer „libidinösen Beziehung“, aber ich hoffe doch, er meint das nicht  wörtlich… Dazu kommt noch sein Engagement bei unzähligen anderen Initiativen. Man sieht das  zum Beispiel, wenn Peter Huemer das Cafe Engländer betritt und quer durchs Lokal von einem der Tische mit dem Ruf begrüßt wird: „Da kommt der Held der Akademie der Wissenschaften!“. Ich war dabei.

NIEMALS EIN IDIOT

Was zivilgesellschaftliches Engagement angeht, könnte man Peter Huemer also zu den „üblichen Verdächtigen“ zählen, gemeinsam mit seinen üblichen Verbündeten wie Daniel Charim, Andre Heller und natürlich seiner Frau. Aber man müsste wohl sagen: Eigentlich ist Peter Huemer der übliche Verdächtige, wenn man in Österreich an einen engagierten Bürger denkt. Einen, der seinen Mund aufmacht und was tut, wenn etwas zu tun ist. Einen, den die Schlechtmenschen gerne einen Gutmenschen nennen – auch wenn sie das nicht als das Kompliment meinen, das es natürlich ist.

Müsste man sich die österreichische Zivilgesellschaft als eine einzige Person vorstellen – dann käme Peter Huemer heraus. Er ist im klassischen Sinne ein Citoyen. Einer, der sich dem Gemeinwesen verpflichtet fühlt, der nachdenkt, mitdenkt und vordenkt, der mitredet und sich einmischt. Ein engagierter und auch etwas sentimentaler Patriot, der sich über die Ambivalenz dieses Begriffes gerade in Österreich kluge Gedanken gemacht hat, etwa in seinem beeindruckenden Text „Österreich lieben“ für einen lesenswerten Sammelband, herausgegeben von Erwin Ringel.

Über den „Rückzug ins Private“ hat er mal geschrieben: „Das tun nur Idioten“. Denn im ursprünglichen griechischen Wortsinn sei der Idiot ja einer gewesen, der nicht an den öffentlichen Geschäften teilnahm. Und deshalb können wir uns schon per defintionem sicher sein, dass sich Peter Huemer nicht ins Private zurückziehen wird. Und das ist ein Glücksfall für dieses Land und für diese Stadt. Die könnten nämlich von diesen Huemers noch einige mehr ganz dringend brauchen.


Nachtrag: Nach seiner ORF-Zeit hat Peter Huemer fünfzehn Jahre lang die „Wiener Stadtgespräche“ geführt, mehr als fünfzig große öffentliche Gespräche mit Künstler·innen und Intellektuellen. 2022 hat er die Reihe an Barbara Toth übergeben – mit einem Vortrag und einem sehr sehenswerten biografischen Gespräch, in dem einmal er der Befragte war.

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