Am Dienstag enden die berühmten ersten hundert Tage für das Kabinett Kurz I. Und egal, was man von dieser Regierung hält, kann man eines ziemlich klar konstatieren: Sebastian Kurz ist nicht nur der jüngste Kanzler, den Österreich je hatte, sondern auch der mächtigste Regierungschef seit sehr langer Zeit. In Wahrheit: Der mächtigste seit Bruno Kreisky – und der regierte noch mit absoluter Mehrheit, während Kurz und die ÖVP im Oktober auf gerade mal 31,5 Prozent gekommen sind.
Warum sollte Sebastian Kurz dann besonders mächtig sein?
In der klassischen Definition von Max Weber ist Macht ja die „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Und die Chancen von Sebastian Kurz, seinen Willen durchzusetzen, sind ziemlich groß – wegen vieler günstiger Umstände, die gleichzeitig zusammenspielen.
Nach wie vor ist der Kanzler der mit Abstand populärste Politiker im Land und daran hat sich seit dem Antritt der Regierung auch nichts geändert. Auf absehbare Zeit wird ihm hier niemand zur Konkurrenz.
DIE QUEREINSTEIGER OHNE BASIS
In seinem Kabinett ist Kurz allerdings der einzige mit Regierungsroutine – alle anderen Minister sind Neulinge, jene aus der ÖVP fast alle politische Quereinsteiger ohne Erfahrung. Sie haben – bis auf Kurz‘ Vertraute Gernot Blümel (ÖVP Wien) und Elisabeth Köstinger (Bauernbund) – keinerlei Hausmacht in der Partei und hängen völlig vom Wohlwollen des Parteichefs ab.
Sollte Kurz von den Herren Löger, Moser oder Faßmann, von Frau Bogner-Strauß oder Frau Schramböck irgendwann enttäuscht sein, wird sich weder eine Landespartei noch eine mächtige Teilorganisation für sie in die Schlacht werfen. (Während z.B. Reinhold Mitterlehner nichtmal daran denken konnte, Innenminister Sobotka oder Klubchef Lopatka auszuwechseln.)
ALLE MACHT DEM OBMANN
Selbst im Parlamentsklub sind mehr als die Hälfte der ÖVP-Abgeordneten neu – und die Promi-Quereinsteiger aus dem Wahlkampf (Taschner, Grünberg, Mahrer, Großbauer, Engelberg, Schwarz) sind in der Volkspartei null verankert. Ihre Mandate verdanken sie ausschließlich dem Parteichef.
Und der ist auch formal so stark wie kein ÖVP-Obmann vor ihm. Laut neuem Parteistatut (S. 25) kann Kurz eminent wichtige Entscheidungen wie Koalitionsverhandlungen oder die Besetzung von Generalsekretariat und Kandidatenlisten im Alleingang treffen, ohne den Parteivorstand auch nur zu konsultieren.
DER ABGANG DER MÄCHTIGEN MÄNNER
Nun waren in der ÖVP traditionell aber ohnehin informelle Machtzentren viel wichtiger als das Statut, die drei großen „Bünde“ nämlich (Wirtschaftsbund, ÖAAB, Bauernbund) sowie die mächtigen Länder. Und genau bei diesen möglichen einflussreichen „Veto-Spielern“ hat es einen fundamentalen Generationswechsel gegeben, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Alle drei wichtigen Bünde haben zuletzt neue Obmänner bekommen (Harald Mahrer, August Wöginger, Georg Strasser) und die früher innerparteilich belächelte Junge ÖVP hat Kurz zu einer schlagkräftigen Kaderorganisation umgebaut mit Vertretern (und Kurz-Vertrauten) in allen relevanten Regierungs- und Parteibüros.
Die jahrzehntelang einflussreichsten Männer der ÖVP sind – nahezu gleichzeitig – abgetreten: Wirtschaftsbund-Chef Leitl, Raiffeisen-General Christian Konrad und die beiden mächtigsten Landesfürsten Erwin Pröll und Josef Pühringer.
DIE FRIEDLICHEN LÄNDER
Aus den oft so störrischen Bundesländern hat Kurz in nächster Zeit keinen Ärger zu erwarten: Die Landtagswahlen in Niederösterreich und Tirol sind besser ausgegangen als erwartet, auch in Salzburg dürfte ein Wahlerfolg bevorstehen. Das stärkt zwar das Selbstbewusstsein der (eher schwarzen als türkisen) Landeschefs, liefert aber gleichzeitig wenig Grund für Störfeuer. Kärnten ist für die ÖVP seit jeher unbedeutend und immerhin bleibt die kleine Landespartei dort weiter in der Regierung.
In den nächsten Jahren stehen keine wichtigen Landtagswahlen mehr an – außer in Wien, wo es aber nach dem Desaster von 2015 nur mehr aufwärts gehen kann. Zumindest vorerst also: Ruhe an der Länderfront, ein Luxus, den wirklich selten ein ÖVP-Obmann hat.
DER WILLIGE PARTNER
Der Koalitionspartner hat zwar sichtlich Probleme bei der Umstellung von der Opposition auf die Regierungsbank – aber zwei entscheidende Vorteile: Programmatisch stehen sich ÖVP und FPÖ sehr viel näher als ÖVP und SPÖ. Große ideologische Konfliktpunkte sind hier nicht zu erwarten.
Und im Gegensatz zu den letzten schwarz-blauen Koalitionen sitzen die prominentesten Führungspersönlichkeiten der FPÖ alle in der Regierung – bis auf den Oberösterreicher Manfred Haimbuchner. Aber dass er ein ähnliches Störpotential entwickelt wie einst Jörg Haider (der die Partei 2002 und 2005 gespalten hat), ist jedenfalls vorerst nicht zu erwarten.
DIE UNSICHERE OPPOSITION
Bleiben die Opposition und die „roten“ Sozialpartner. Die SPÖ tut sich mit dem Wechsel von der Regierung auf die Oppositionsbänke derzeit ähnlich schwer wie die FPÖ auf dem umgekehrten Weg (siehe BVT-U-Ausschuss). Sie legt zwar in den jüngsten Umfragen zu, aber noch nicht annähernd so, dass es für Kurz problematisch wäre. Der Kärntner Wahlsieg für Peter Kaiser war erwartbar, in den anderen Bundesländern kam die SPÖ respektabel aber doch unter „ferner liefen“ ins Ziel.
Und die wichtige Wiener Landespartei braucht nach dem holprigen Wechsel zu Michael Ludwig erstmal politische Familientherapie. (Möglicherweise gibt es in Wien genau aus diesem Grund – um die Partei zu einen – vorgezogene Neuwahlen. Aber die ÖVP hat dabei nichts zu verlieren. Niemand erwartet, dass Gernot Blümel Wiener Bürgermeister wird.)
Die Grünen sind bundesweit mehr in Auflösung als in Opposition, die Liste Pilz fasst im Parlament bisher nicht Tritt und bei den durchaus umtriebigen, aber kleinen Neos gelangt neben ihrem Parteichef kaum wer ins Scheinwerferlicht.
ÖGB & ARBEITERKAMMER IM WECHSEL
Sehr viel größer – und potentiell unangenehmer – wären Gewerkschaft und Arbeiterkammer. Aber auch dort treten die routinierten heavy weights Erich Foglar und Rudolf Kaske demnächst ab. AK-Präsidentin wird die bisher wenig profilierte ÖGB-Frauenchefin Renate Anderl. Und zur Not kann die Regierung der AK mit einer schmerzhaften Kürzung der Mitgliedsbeiträge drohen.
Die Gewerkschaft übernimmt der erfahrene und gar nicht konfliktscheue Politprofi Wolfgang Katzian – doch auch er muss sich an der Spitze des hochkomplexen Gefüges ÖGB erstmal etablieren. Und schon die – wesentlich unpopulärere – schwarz-blaue Koalition von Wolfgang Schüssel ist damals nicht an den Gewerkschafts-Protesten gescheitert.
KANZLER WITH BENEFITS
Und schließlich hat Sebastian Kurz noch echtes Glück: Er ist just während des stabilsten Wirtschaftsaufschwungs seit über zehn Jahren ins Kanzleramt eingezogen. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Regierung kann ein Nulldefizit präsentieren – und trotzdem bleibt noch etwas zu verteilen.
Es gab schon 100-Tage-Jubiläen unter schlechteren Bedingungen.